Rorarius schrieb einen Beweis, dass die Thiere oft vernünftiger handeln als der Mensch i). Seine Abhandlung ist das Werk eines guten Red- ners, aber nicht eines tiefen Denkers. Man würde ihm Recht geben müssen, wenn er manche Thiere in Betreff einer gewissen Art von Klug- heit über den Menschen erhoben hätte. Auch würde er die Wahrheit auf seiner Seite haben, wenn er behauptet hätte, unter vielen Tausen- den des Menschengeschlechts und in vielen Men- schenaltern würde oft nicht Einer geboren, der sich aus eigener Kraft zu allgemeinen Ideen zu erheben vermöchte, der zur klaren Einsicht des Rechts und der Wahrheit gelangte, in welchem die Ahnung des Ewigen und Unendlichen er- wachte. Aber dass von Zeit zu Zeit in Einzel- nen der göttliche Funke zur Flamme auflodert, dass das Feuer dieser Einzelnen sich Andern mittheilt, von Geschlecht zu Geschlecht weiter angefacht wird: eben dies beweist, dass jeder Mensch, stehe er auf einer noch so niedrigen Stufe der geistigen Bildung, ein höheres Etwas, wenn auch nicht als Kraft, doch als Vermögen zur Mitgift erhielt.
Unter
i) H. Rorarii quod animalia bruta saepe ratione utantur melius homine libri II. Helmstadii 1729.
Rorarius schrieb einen Beweis, daſs die Thiere oft vernünftiger handeln als der Mensch i). Seine Abhandlung ist das Werk eines guten Red- ners, aber nicht eines tiefen Denkers. Man würde ihm Recht geben müssen, wenn er manche Thiere in Betreff einer gewissen Art von Klug- heit über den Menschen erhoben hätte. Auch würde er die Wahrheit auf seiner Seite haben, wenn er behauptet hätte, unter vielen Tausen- den des Menschengeschlechts und in vielen Men- schenaltern würde oft nicht Einer geboren, der sich aus eigener Kraft zu allgemeinen Ideen zu erheben vermöchte, der zur klaren Einsicht des Rechts und der Wahrheit gelangte, in welchem die Ahnung des Ewigen und Unendlichen er- wachte. Aber daſs von Zeit zu Zeit in Einzel- nen der göttliche Funke zur Flamme auflodert, daſs das Feuer dieser Einzelnen sich Andern mittheilt, von Geschlecht zu Geschlecht weiter angefacht wird: eben dies beweist, daſs jeder Mensch, stehe er auf einer noch so niedrigen Stufe der geistigen Bildung, ein höheres Etwas, wenn auch nicht als Kraft, doch als Vermögen zur Mitgift erhielt.
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[11/0023]
Rorarius schrieb einen Beweis, daſs die
Thiere oft vernünftiger handeln als der Mensch i).
Seine Abhandlung ist das Werk eines guten Red-
ners, aber nicht eines tiefen Denkers. Man würde
ihm Recht geben müssen, wenn er manche
Thiere in Betreff einer gewissen Art von Klug-
heit über den Menschen erhoben hätte. Auch
würde er die Wahrheit auf seiner Seite haben,
wenn er behauptet hätte, unter vielen Tausen-
den des Menschengeschlechts und in vielen Men-
schenaltern würde oft nicht Einer geboren, der
sich aus eigener Kraft zu allgemeinen Ideen zu
erheben vermöchte, der zur klaren Einsicht des
Rechts und der Wahrheit gelangte, in welchem
die Ahnung des Ewigen und Unendlichen er-
wachte. Aber daſs von Zeit zu Zeit in Einzel-
nen der göttliche Funke zur Flamme auflodert,
daſs das Feuer dieser Einzelnen sich Andern
mittheilt, von Geschlecht zu Geschlecht weiter
angefacht wird: eben dies beweist, daſs jeder
Mensch, stehe er auf einer noch so niedrigen
Stufe der geistigen Bildung, ein höheres Etwas,
wenn auch nicht als Kraft, doch als Vermögen
zur Mitgift erhielt.
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i) H. Rorarii quod animalia bruta saepe ratione
utantur melius homine libri II. Helmstadii 1729.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/23>, abgerufen am 23.11.2024.
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