zung nicht wahrnehmen lässt, so macht doch der Lauf jener Fasern, die divergirend aus der mit- telsten Spalte des vierten Ventrikels hervorkom- men, es wahrscheinlich, dass im Innern des ver- längerten Marks, oberhalb der Brücke, eine De- cussation derselben statt findet.
Es ist noch eine zweyte Stelle am Gehirn vorhanden, in welcher etwas Aehnliches vor- geht, aus deren innerm Bau sich ebenfalls viele pathologische Erscheinungen erklären lassen, und wodurch also auch die Befugniss, aus dem Lauf und der Verbindung der Hirnfasern auf die Funktionen der Hirnorgane zu schliessen, ge- rechtfertigt wird. Diese Stelle ist das Chiasma der Sehenerven. Man nahm hierin von Ga- len's Zeiten her bald gar keine, bald eine gänz- liche und bald eine partielle Kreuzung der Sehe- nerven an, und brachte für jede dieser Meinun- gen Gründe bey. Zu Gunsten der ersten Mei- nung sprechen Fälle, wo das Schwinden des einen Sehenerven beym schwarzen Staar sich durch das Chiasma bis zum Sehehügel der näm- lichen Seite erstreckte. Aus einer merkwürdi- gen, von Vesal gemachten Beobachtung, wo bey unveränderter Sehekraft gar keine Verbin- dung der Sehenerven vorhanden gewesen war, liesse sich sogar auf gänzlichen Mangel an Zu- sammenhang zwischen beyden Sehenerven schlie-
ssen.
zung nicht wahrnehmen läſst, so macht doch der Lauf jener Fasern, die divergirend aus der mit- telsten Spalte des vierten Ventrikels hervorkom- men, es wahrscheinlich, daſs im Innern des ver- längerten Marks, oberhalb der Brücke, eine De- cussation derselben statt findet.
Es ist noch eine zweyte Stelle am Gehirn vorhanden, in welcher etwas Aehnliches vor- geht, aus deren innerm Bau sich ebenfalls viele pathologische Erscheinungen erklären lassen, und wodurch also auch die Befugniſs, aus dem Lauf und der Verbindung der Hirnfasern auf die Funktionen der Hirnorgane zu schlieſsen, ge- rechtfertigt wird. Diese Stelle ist das Chiasma der Sehenerven. Man nahm hierin von Ga- len’s Zeiten her bald gar keine, bald eine gänz- liche und bald eine partielle Kreuzung der Sehe- nerven an, und brachte für jede dieser Meinun- gen Gründe bey. Zu Gunsten der ersten Mei- nung sprechen Fälle, wo das Schwinden des einen Sehenerven beym schwarzen Staar sich durch das Chiasma bis zum Sehehügel der näm- lichen Seite erstreckte. Aus einer merkwürdi- gen, von Vesal gemachten Beobachtung, wo bey unveränderter Sehekraft gar keine Verbin- dung der Sehenerven vorhanden gewesen war, lieſse sich sogar auf gänzlichen Mangel an Zu- sammenhang zwischen beyden Sehenerven schlie-
ſsen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0143"n="127"/>
zung nicht wahrnehmen läſst, so macht doch der<lb/>
Lauf jener Fasern, die divergirend aus der mit-<lb/>
telsten Spalte des vierten Ventrikels hervorkom-<lb/>
men, es wahrscheinlich, daſs im Innern des ver-<lb/>
längerten Marks, oberhalb der Brücke, eine De-<lb/>
cussation derselben statt findet.</p><lb/><p>Es ist noch eine zweyte Stelle am Gehirn<lb/>
vorhanden, in welcher etwas Aehnliches vor-<lb/>
geht, aus deren innerm Bau sich ebenfalls viele<lb/>
pathologische Erscheinungen erklären lassen, und<lb/>
wodurch also auch die Befugniſs, aus dem<lb/>
Lauf und der Verbindung der Hirnfasern auf die<lb/>
Funktionen der Hirnorgane zu schlieſsen, ge-<lb/>
rechtfertigt wird. Diese Stelle ist das Chiasma<lb/>
der Sehenerven. Man nahm hierin von <hirendition="#k">Ga-<lb/>
len</hi>’s Zeiten her bald gar keine, bald eine gänz-<lb/>
liche und bald eine partielle Kreuzung der Sehe-<lb/>
nerven an, und brachte für jede dieser Meinun-<lb/>
gen Gründe bey. Zu Gunsten der ersten Mei-<lb/>
nung sprechen Fälle, wo das Schwinden des<lb/>
einen Sehenerven beym schwarzen Staar sich<lb/>
durch das Chiasma bis zum Sehehügel der näm-<lb/>
lichen Seite erstreckte. Aus einer merkwürdi-<lb/>
gen, von <hirendition="#k">Vesal</hi> gemachten Beobachtung, wo<lb/>
bey unveränderter Sehekraft gar keine Verbin-<lb/>
dung der Sehenerven vorhanden gewesen war,<lb/>
lieſse sich sogar auf gänzlichen Mangel an Zu-<lb/>
sammenhang zwischen beyden Sehenerven schlie-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſsen.</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[127/0143]
zung nicht wahrnehmen läſst, so macht doch der
Lauf jener Fasern, die divergirend aus der mit-
telsten Spalte des vierten Ventrikels hervorkom-
men, es wahrscheinlich, daſs im Innern des ver-
längerten Marks, oberhalb der Brücke, eine De-
cussation derselben statt findet.
Es ist noch eine zweyte Stelle am Gehirn
vorhanden, in welcher etwas Aehnliches vor-
geht, aus deren innerm Bau sich ebenfalls viele
pathologische Erscheinungen erklären lassen, und
wodurch also auch die Befugniſs, aus dem
Lauf und der Verbindung der Hirnfasern auf die
Funktionen der Hirnorgane zu schlieſsen, ge-
rechtfertigt wird. Diese Stelle ist das Chiasma
der Sehenerven. Man nahm hierin von Ga-
len’s Zeiten her bald gar keine, bald eine gänz-
liche und bald eine partielle Kreuzung der Sehe-
nerven an, und brachte für jede dieser Meinun-
gen Gründe bey. Zu Gunsten der ersten Mei-
nung sprechen Fälle, wo das Schwinden des
einen Sehenerven beym schwarzen Staar sich
durch das Chiasma bis zum Sehehügel der näm-
lichen Seite erstreckte. Aus einer merkwürdi-
gen, von Vesal gemachten Beobachtung, wo
bey unveränderter Sehekraft gar keine Verbin-
dung der Sehenerven vorhanden gewesen war,
lieſse sich sogar auf gänzlichen Mangel an Zu-
sammenhang zwischen beyden Sehenerven schlie-
ſsen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 6. Göttingen, 1822, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie06_1822/143>, abgerufen am 30.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.