darin gerade liegt das Unerklärbare dieses Phäno- mens, weil dabey eine gewisse Unabhängigkeit von äussern Einwirkungen statt findet.
Pflanzen, die unter so ungünstigen Um- ständen vegetiren, dass sie kaum das Leben zu fristen vermögen, eilen, Blüthen und Früchte hervorzubringen, ehe sie vergehen, und aus ih- rem Saamen keimt unter günstigen Verhältnissen wieder eine gesunde Nachkommenschaft hervor. Die Vegetation würde, wenn sie Wirkung eines geistigen Princips wäre, sich gerade so verhalten, wie sie sich in diesem Falle verhält. Eben diese Aehnlichkeit zwischen den Handlungen eines gei- stigen Wesens und den Wirkungen des Lebens- princips deutet aber auf eine Art von Sponta- neität des letztern hin.
Zu einer andern Classe von Erscheinungen, woran sich dieses unbedingte Wirken des Lebens- princips äussert, gehören die Missgeburten. Ich habe im dritten Bande dieses Werks (S. 453.) zu zeigen gesucht, dass diese Körper im Innern so zweckmässig organisirt sind, wie es der Grad der äussern Deformität nur immer zulässt, bey allen sich ein Bestreben ihres Bildungstriebs äussert, auch unter den ungünstigsten Umständen einen möglichst vollkommenen Organismus hervorzu- bringen. Jede Hypothese, die es wagt, dieses Ge- setz aus der Voraussetzung einer ganz von äus-
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darin gerade liegt das Unerklärbare dieses Phäno- mens, weil dabey eine gewisse Unabhängigkeit von äussern Einwirkungen statt findet.
Pflanzen, die unter so ungünstigen Um- ständen vegetiren, daſs sie kaum das Leben zu fristen vermögen, eilen, Blüthen und Früchte hervorzubringen, ehe sie vergehen, und aus ih- rem Saamen keimt unter günstigen Verhältnissen wieder eine gesunde Nachkommenschaft hervor. Die Vegetation würde, wenn sie Wirkung eines geistigen Princips wäre, sich gerade so verhalten, wie sie sich in diesem Falle verhält. Eben diese Aehnlichkeit zwischen den Handlungen eines gei- stigen Wesens und den Wirkungen des Lebens- princips deutet aber auf eine Art von Sponta- neität des letztern hin.
Zu einer andern Classe von Erscheinungen, woran sich dieses unbedingte Wirken des Lebens- princips äussert, gehören die Miſsgeburten. Ich habe im dritten Bande dieses Werks (S. 453.) zu zeigen gesucht, daſs diese Körper im Innern so zweckmäſsig organisirt sind, wie es der Grad der äussern Deformität nur immer zuläſst, bey allen sich ein Bestreben ihres Bildungstriebs äussert, auch unter den ungünstigsten Umständen einen möglichst vollkommenen Organismus hervorzu- bringen. Jede Hypothese, die es wagt, dieses Ge- setz aus der Voraussetzung einer ganz von äus-
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[627/0643]
darin gerade liegt das Unerklärbare dieses Phäno-
mens, weil dabey eine gewisse Unabhängigkeit
von äussern Einwirkungen statt findet.
Pflanzen, die unter so ungünstigen Um-
ständen vegetiren, daſs sie kaum das Leben zu
fristen vermögen, eilen, Blüthen und Früchte
hervorzubringen, ehe sie vergehen, und aus ih-
rem Saamen keimt unter günstigen Verhältnissen
wieder eine gesunde Nachkommenschaft hervor.
Die Vegetation würde, wenn sie Wirkung eines
geistigen Princips wäre, sich gerade so verhalten,
wie sie sich in diesem Falle verhält. Eben diese
Aehnlichkeit zwischen den Handlungen eines gei-
stigen Wesens und den Wirkungen des Lebens-
princips deutet aber auf eine Art von Sponta-
neität des letztern hin.
Zu einer andern Classe von Erscheinungen,
woran sich dieses unbedingte Wirken des Lebens-
princips äussert, gehören die Miſsgeburten. Ich
habe im dritten Bande dieses Werks (S. 453.) zu
zeigen gesucht, daſs diese Körper im Innern so
zweckmäſsig organisirt sind, wie es der Grad der
äussern Deformität nur immer zuläſst, bey allen
sich ein Bestreben ihres Bildungstriebs äussert,
auch unter den ungünstigsten Umständen einen
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen, 1814, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie04_1814/643>, abgerufen am 22.11.2024.
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