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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen, 1814.

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So wenig deutlich auch die Begriffe waren,
die man bis auf die neuern Zeiten vom Wesen
des Lebens hatte, so ist doch so viel offenbar, dass
man sich diesen Zustand als das Resultat entwe-
der eines unbedingten, oder eines beding-
ten
Wirkens dachte. Jenes war die Vorstellung,
die sich Helmont und Stahl von ihm machten;
diesen Begriff findet man in den meisten, seit
Haller's Zeit entstandenen, biologischen Syste-
men, besonders in der Lehre Brown's.

Aber nur die Fortdauer, nicht der Ursprung
des Lebens ist das Produkt einer Wechselwirkung
zwischen einer erregbaren Substanz und äussern
erregenden Potenzen. Wir suchen vergeblich eine
Erklärung der wichtigsten Erscheinungen des Le-
bens, wenn wir nicht als Grundsatz annehmen,

dass das Entstehen des Lebens in einem
Princip begründet ist, dem ein gewisser Grad
der Unabhängigkeit von äussern Einflüssen,
von Selbstbestimmung zur Wirksamkeit, ein
Analogon von Spontaneität zugeschrieben
werden muss.

Eine Erscheinung, wobey dieser Grundsatz
Anwendung findet, ist die Fortpflanzung des Ge-
schlechts. Alle biologische Systeme erklären nur
das Warum, nicht das Wie derselben v). Aber

darin
v) M. vergl. Biol. Bd. 1. S. 86. 93.

So wenig deutlich auch die Begriffe waren,
die man bis auf die neuern Zeiten vom Wesen
des Lebens hatte, so ist doch so viel offenbar, daſs
man sich diesen Zustand als das Resultat entwe-
der eines unbedingten, oder eines beding-
ten
Wirkens dachte. Jenes war die Vorstellung,
die sich Helmont und Stahl von ihm machten;
diesen Begriff findet man in den meisten, seit
Haller’s Zeit entstandenen, biologischen Syste-
men, besonders in der Lehre Brown’s.

Aber nur die Fortdauer, nicht der Ursprung
des Lebens ist das Produkt einer Wechselwirkung
zwischen einer erregbaren Substanz und äussern
erregenden Potenzen. Wir suchen vergeblich eine
Erklärung der wichtigsten Erscheinungen des Le-
bens, wenn wir nicht als Grundsatz annehmen,

daſs das Entstehen des Lebens in einem
Princip begründet ist, dem ein gewisser Grad
der Unabhängigkeit von äussern Einflüssen,
von Selbstbestimmung zur Wirksamkeit, ein
Analogon von Spontaneität zugeschrieben
werden muſs.

Eine Erscheinung, wobey dieser Grundsatz
Anwendung findet, ist die Fortpflanzung des Ge-
schlechts. Alle biologische Systeme erklären nur
das Warum, nicht das Wie derselben v). Aber

darin
v) M. vergl. Biol. Bd. 1. S. 86. 93.
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[626/0642] So wenig deutlich auch die Begriffe waren, die man bis auf die neuern Zeiten vom Wesen des Lebens hatte, so ist doch so viel offenbar, daſs man sich diesen Zustand als das Resultat entwe- der eines unbedingten, oder eines beding- ten Wirkens dachte. Jenes war die Vorstellung, die sich Helmont und Stahl von ihm machten; diesen Begriff findet man in den meisten, seit Haller’s Zeit entstandenen, biologischen Syste- men, besonders in der Lehre Brown’s. Aber nur die Fortdauer, nicht der Ursprung des Lebens ist das Produkt einer Wechselwirkung zwischen einer erregbaren Substanz und äussern erregenden Potenzen. Wir suchen vergeblich eine Erklärung der wichtigsten Erscheinungen des Le- bens, wenn wir nicht als Grundsatz annehmen, daſs das Entstehen des Lebens in einem Princip begründet ist, dem ein gewisser Grad der Unabhängigkeit von äussern Einflüssen, von Selbstbestimmung zur Wirksamkeit, ein Analogon von Spontaneität zugeschrieben werden muſs. Eine Erscheinung, wobey dieser Grundsatz Anwendung findet, ist die Fortpflanzung des Ge- schlechts. Alle biologische Systeme erklären nur das Warum, nicht das Wie derselben v). Aber darin v) M. vergl. Biol. Bd. 1. S. 86. 93.

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 4. Göttingen, 1814, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie04_1814/642>, abgerufen am 22.11.2024.