Endlich giebt auch Schelver(t) einen unrich- tigen Charakter des Lebens an, wenn er sagt: "Die ganze Natur ist organisch, aber nur ein Theil "derselben ist es als Phänomen, d. h. erscheint uns "als ein vollendetes organisches Ganzes. Diese "Theile der organischen Natur, die uns als vollen- "dete Organisationen erscheinen, nennen wir die "lebenden Körper". Nach dieser Erklärung wäre also Leben ein blos relativer Begriff, und die Gränze, die wir zwischen der lebenden und leblo- sen Natur ziehen, verdankte ihren Ursprung nur unserm engen Gesichtskreise. Die oben erwiese- nen Sätze aber widerlegen diese Behauptung. Jeder lebende Körper ist zwar ein organisches Ganze; aber nicht jedes organische Ganze ist auch lebend.
Dies mag zum Beweise der Unzulänglichkeit aller bisherigen Erklärungen des Lebens genug seyn. Wir gehen jetzt zur Anwendung des von uns aufgestellten Charakters dieses Zustandes über. Der Weg, den wir hierbey einschlagen werden, ist folgender. Wir werden zuerst aus denjenigen Sätzen, worauf uns die Zergliederung des Begriffs der Materie führt, und aus dem Charakter des Lebens die Möglichkeit der letztern darthun; wir werden hieraus die verschiedenen Erscheinungen und Modifikationen des Lebens ohne empirische Voraussetzungen herzuleiten und zu erklären su-
chen,
(t) Elementarlehre der organischen Natur. Th. 1. S. 32.
Endlich giebt auch Schelver(t) einen unrich- tigen Charakter des Lebens an, wenn er sagt: “Die ganze Natur ist organisch, aber nur ein Theil „derselben ist es als Phänomen, d. h. erscheint uns „als ein vollendetes organisches Ganzes. Diese „Theile der organischen Natur, die uns als vollen- „dete Organisationen erscheinen, nennen wir die „lebenden Körper”. Nach dieser Erklärung wäre also Leben ein blos relativer Begriff, und die Gränze, die wir zwischen der lebenden und leblo- sen Natur ziehen, verdankte ihren Ursprung nur unserm engen Gesichtskreise. Die oben erwiese- nen Sätze aber widerlegen diese Behauptung. Jeder lebende Körper ist zwar ein organisches Ganze; aber nicht jedes organische Ganze ist auch lebend.
Dies mag zum Beweise der Unzulänglichkeit aller bisherigen Erklärungen des Lebens genug seyn. Wir gehen jetzt zur Anwendung des von uns aufgestellten Charakters dieses Zustandes über. Der Weg, den wir hierbey einschlagen werden, ist folgender. Wir werden zuerst aus denjenigen Sätzen, worauf uns die Zergliederung des Begriffs der Materie führt, und aus dem Charakter des Lebens die Möglichkeit der letztern darthun; wir werden hieraus die verschiedenen Erscheinungen und Modifikationen des Lebens ohne empirische Voraussetzungen herzuleiten und zu erklären su-
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(t) Elementarlehre der organischen Natur. Th. 1. S. 32.
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Endlich giebt auch Schelver (t) einen unrich-
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“Die ganze Natur ist organisch, aber nur ein Theil
„derselben ist es als Phänomen, d. h. erscheint uns
„als ein vollendetes organisches Ganzes. Diese
„Theile der organischen Natur, die uns als vollen-
„dete Organisationen erscheinen, nennen wir die
„lebenden Körper”. Nach dieser Erklärung
wäre also Leben ein blos relativer Begriff, und die
Gränze, die wir zwischen der lebenden und leblo-
sen Natur ziehen, verdankte ihren Ursprung nur
unserm engen Gesichtskreise. Die oben erwiese-
nen Sätze aber widerlegen diese Behauptung. Jeder
lebende Körper ist zwar ein organisches Ganze;
aber nicht jedes organische Ganze ist auch lebend.
Dies mag zum Beweise der Unzulänglichkeit
aller bisherigen Erklärungen des Lebens genug
seyn. Wir gehen jetzt zur Anwendung des von
uns aufgestellten Charakters dieses Zustandes über.
Der Weg, den wir hierbey einschlagen werden,
ist folgender. Wir werden zuerst aus denjenigen
Sätzen, worauf uns die Zergliederung des Begriffs
der Materie führt, und aus dem Charakter des
Lebens die Möglichkeit der letztern darthun; wir
werden hieraus die verschiedenen Erscheinungen
und Modifikationen des Lebens ohne empirische
Voraussetzungen herzuleiten und zu erklären su-
chen,
(t) Elementarlehre der organischen Natur. Th. 1. S. 32.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/63>, abgerufen am 04.12.2024.
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