Nicht weniger auffallend zeigt sich der Mangel höherer Principien in der Heilkunde bey allen Ge- legenheiten, wo es nothwendig war, zu bestim- men, ob eine Erscheinung Resultat des Lebens, oder Wirkung lebloser Agentien sey. Hätte man früher eine Wissenschaft gehabt, deren Zweck die Untersuchung der Formen, Bedingungen, Gesetze und Ursachen des Lebens gewesen wäre, so würde man eingesehen haben, dass erst im Allgemeinen ausgemacht werden müsse, was Leben sey, ehe man über die Vitalität einzelner Erscheinungen ur- theilen könne. Statt aber diesen Weg zu gehen, disputirte man über die Vitalität einzelner Phäno- mene, ohne mit Leben überhaupt einen bestimm- ten Begriff zu verbinden, und disputirte immer fort,
ohne
quem statum restituendae sint, quando a sua vera atque debita constitutione defecerunt: cujus ipsius etiam defectus gradum necunde agnoscere aut metiri possit, nisi veram atque debitam constitutionem in se ipsa recte cognitam atque perspectam habeat. An- te omnia itaque scire convenit, quid sit illud, quod vulgata appellatione Vita dicitur? In quo consistat formaliter? circa quid versetur et occupetur, tam materialiter seu subjective, quam fina- liter et objective? cui usui, imo cui ne- cessitati, in corpore serviat? quid cor- pori praestet? an et quando utilis sit corpori, vel absolute necessaria? (G. E. Stahlii Theoria med. vera. p. 253).
Nicht weniger auffallend zeigt sich der Mangel höherer Principien in der Heilkunde bey allen Ge- legenheiten, wo es nothwendig war, zu bestim- men, ob eine Erscheinung Resultat des Lebens, oder Wirkung lebloser Agentien sey. Hätte man früher eine Wissenschaft gehabt, deren Zweck die Untersuchung der Formen, Bedingungen, Gesetze und Ursachen des Lebens gewesen wäre, so würde man eingesehen haben, daſs erst im Allgemeinen ausgemacht werden müsse, was Leben sey, ehe man über die Vitalität einzelner Erscheinungen ur- theilen könne. Statt aber diesen Weg zu gehen, disputirte man über die Vitalität einzelner Phäno- mene, ohne mit Leben überhaupt einen bestimm- ten Begriff zu verbinden, und disputirte immer fort,
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quem statum restituendae sint, quando a sua vera atque debita constitutione defecerunt: cujus ipsius etiam defectus gradum necunde agnoscere aut metiri possit, nisi veram atque debitam constitutionem in se ipsa recte cognitam atque perspectam habeat. An- te omnia itaque scire convenit, quid sit illud, quod vulgata appellatione Vita dicitur? In quo consistat formaliter? circa quid versetur et occupetur, tam materialiter seu subjective, quam fina- liter et objective? cui usui, imo cui ne- cessitati, in corpore serviat? quid cor- pori praestet? an et quando utilis sit corpori, vel absolute necessaria? (G. E. Stahlii Theoria med. vera. p. 253).
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Nicht weniger auffallend zeigt sich der Mangel
höherer Principien in der Heilkunde bey allen Ge-
legenheiten, wo es nothwendig war, zu bestim-
men, ob eine Erscheinung Resultat des Lebens,
oder Wirkung lebloser Agentien sey. Hätte man
früher eine Wissenschaft gehabt, deren Zweck die
Untersuchung der Formen, Bedingungen, Gesetze
und Ursachen des Lebens gewesen wäre, so würde
man eingesehen haben, daſs erst im Allgemeinen
ausgemacht werden müsse, was Leben sey, ehe
man über die Vitalität einzelner Erscheinungen ur-
theilen könne. Statt aber diesen Weg zu gehen,
disputirte man über die Vitalität einzelner Phäno-
mene, ohne mit Leben überhaupt einen bestimm-
ten Begriff zu verbinden, und disputirte immer fort,
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(a) quem statum restituendae sint, quando a sua vera
atque debita constitutione defecerunt: cujus ipsius
etiam defectus gradum necunde agnoscere aut metiri
possit, nisi veram atque debitam constitutionem in
se ipsa recte cognitam atque perspectam habeat. An-
te omnia itaque scire convenit, quid sit
illud, quod vulgata appellatione Vita
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circa quid versetur et occupetur, tam
materialiter seu subjective, quam fina-
liter et objective? cui usui, imo cui ne-
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Stahlii Theoria med. vera. p. 253).
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/31>, abgerufen am 16.02.2025.
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