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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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Wissenschaft, deren Gegenstand und Umfang nie
gehörig bestimmt war, gehören hierher die Bota-
nik und Zoologie, so wie die Mineralogie einen
Theil der Physik ausmacht. Was jene beyden Fä-
cher uns zu unserm Zwecke Dienliches liefern
können, betrifft indess meist nur die verschiedenen
Formen, unter welchen sich das Leben äussert.
Den Bedingungen, Gesetzen und Ursachen des
Lebens forschten bisher fast allein die Aerzte nach,
und aus deren Schriften werden wir daher die
Materialien zu diesem Theile unserer künftigen
Untersuchungen sammeln müssen.

Also nur bekannte Dinge unter einer neuen
Form! ruft man uns entgegen. Aber gesetzt wir
lieferten auch weiter nichts, als dies, so könnte
doch auch blos die neue Form schon von wichtigem
Nutzen seyn. Rechnet ihr es denn für nichts,
grosse Wahrheiten unter einen allgemeinen Ge-
sichtspunkt zu bringen? Leben ist das Einzige auf
Erden, was Reitz für den Menschen hat, das
Einzige, was den Sinn für Einfalt, Schönheit und
Erhabenheit nährt und erhält, das Einzige, was
dem Verstande immer neuen Stoff zum Denken
giebt, und zugleich für die Einbildungskraft eine
unerschöpfliche Quelle der lieblichsten Bilder ist.
Bey dem Leblosen weilt der Mensch nur, insofern
er in ihm einen Abglanz des Lebens, oder Lösun-
gen der vielen Räthsel zu finden glaubt, die ihm

bey
A 3

Wissenschaft, deren Gegenstand und Umfang nie
gehörig bestimmt war, gehören hierher die Bota-
nik und Zoologie, so wie die Mineralogie einen
Theil der Physik ausmacht. Was jene beyden Fä-
cher uns zu unserm Zwecke Dienliches liefern
können, betrifft indeſs meist nur die verschiedenen
Formen, unter welchen sich das Leben äussert.
Den Bedingungen, Gesetzen und Ursachen des
Lebens forschten bisher fast allein die Aerzte nach,
und aus deren Schriften werden wir daher die
Materialien zu diesem Theile unserer künftigen
Untersuchungen sammeln müssen.

Also nur bekannte Dinge unter einer neuen
Form! ruft man uns entgegen. Aber gesetzt wir
lieferten auch weiter nichts, als dies, so könnte
doch auch blos die neue Form schon von wichtigem
Nutzen seyn. Rechnet ihr es denn für nichts,
groſse Wahrheiten unter einen allgemeinen Ge-
sichtspunkt zu bringen? Leben ist das Einzige auf
Erden, was Reitz für den Menschen hat, das
Einzige, was den Sinn für Einfalt, Schönheit und
Erhabenheit nährt und erhält, das Einzige, was
dem Verstande immer neuen Stoff zum Denken
giebt, und zugleich für die Einbildungskraft eine
unerschöpfliche Quelle der lieblichsten Bilder ist.
Bey dem Leblosen weilt der Mensch nur, insofern
er in ihm einen Abglanz des Lebens, oder Lösun-
gen der vielen Räthsel zu finden glaubt, die ihm

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[5/0025] Wissenschaft, deren Gegenstand und Umfang nie gehörig bestimmt war, gehören hierher die Bota- nik und Zoologie, so wie die Mineralogie einen Theil der Physik ausmacht. Was jene beyden Fä- cher uns zu unserm Zwecke Dienliches liefern können, betrifft indeſs meist nur die verschiedenen Formen, unter welchen sich das Leben äussert. Den Bedingungen, Gesetzen und Ursachen des Lebens forschten bisher fast allein die Aerzte nach, und aus deren Schriften werden wir daher die Materialien zu diesem Theile unserer künftigen Untersuchungen sammeln müssen. Also nur bekannte Dinge unter einer neuen Form! ruft man uns entgegen. Aber gesetzt wir lieferten auch weiter nichts, als dies, so könnte doch auch blos die neue Form schon von wichtigem Nutzen seyn. Rechnet ihr es denn für nichts, groſse Wahrheiten unter einen allgemeinen Ge- sichtspunkt zu bringen? Leben ist das Einzige auf Erden, was Reitz für den Menschen hat, das Einzige, was den Sinn für Einfalt, Schönheit und Erhabenheit nährt und erhält, das Einzige, was dem Verstande immer neuen Stoff zum Denken giebt, und zugleich für die Einbildungskraft eine unerschöpfliche Quelle der lieblichsten Bilder ist. Bey dem Leblosen weilt der Mensch nur, insofern er in ihm einen Abglanz des Lebens, oder Lösun- gen der vielen Räthsel zu finden glaubt, die ihm bey A 3

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/25>, abgerufen am 26.04.2024.