bereinstimmung, oder Nicht-Uebereinstimmung der Beobachtungen Anderer mit den seinigen ist ebenfalls zum Beweise oder zur Widerlegung der letztern nicht immer hinreichend: denn diese An- dern sind ebenfalls der Täuschung aus vorgefass- ten Meinungen unterworfen, und überdies kann den Sinnen derselben die zu jener Beobachtung erforderliche Stimmung fehlen. Hier ist also nicht einmal bey einem und demselben Menschen, und noch viel weniger bey verschiedenen Personen Ue- bereinstimmung zu erwarten. -- Dies übrigens giebt den Schlüssel zur Erklärung der bekannten That- sache, dass auch die unsinnigsten Meinungen und Systeme sich den medicinischen Erfahrungen an- passen lassen, und es zeigt zugleich, dass keine Widerlegung derselben aus der Erfahrung möglich ist. Wenn Helmont die Seele in den Magen ver- setzte, und sich dabey auf sein Gefühl berief, wer konnte ihn widerlegen? Und wenn der Arzt, der dem Blutlassen hold ist, da einen harten und vollen Puls fühlet, wo der Freund von reitzen- den Mitteln Schwäche und Weichheit im Schlage der Arterien findet, wer vermag den Zwist auszu- gleichen?
Gesetzt aber auch, diese Schwürigkeiten stän- den dem beobachtenden Arzte nicht im Wege, wo- her wissen wir, dass er seine Beobachtungen uns unverfälscht überliefert hat? Die Erfahrungen des
Phy-
I 3
bereinstimmung, oder Nicht-Uebereinstimmung der Beobachtungen Anderer mit den seinigen ist ebenfalls zum Beweise oder zur Widerlegung der letztern nicht immer hinreichend: denn diese An- dern sind ebenfalls der Täuschung aus vorgefaſs- ten Meinungen unterworfen, und überdies kann den Sinnen derselben die zu jener Beobachtung erforderliche Stimmung fehlen. Hier ist also nicht einmal bey einem und demselben Menschen, und noch viel weniger bey verschiedenen Personen Ue- bereinstimmung zu erwarten. — Dies übrigens giebt den Schlüssel zur Erklärung der bekannten That- sache, daſs auch die unsinnigsten Meinungen und Systeme sich den medicinischen Erfahrungen an- passen lassen, und es zeigt zugleich, daſs keine Widerlegung derselben aus der Erfahrung möglich ist. Wenn Helmont die Seele in den Magen ver- setzte, und sich dabey auf sein Gefühl berief, wer konnte ihn widerlegen? Und wenn der Arzt, der dem Blutlassen hold ist, da einen harten und vollen Puls fühlet, wo der Freund von reitzen- den Mitteln Schwäche und Weichheit im Schlage der Arterien findet, wer vermag den Zwist auszu- gleichen?
Gesetzt aber auch, diese Schwürigkeiten stän- den dem beobachtenden Arzte nicht im Wege, wo- her wissen wir, daſs er seine Beobachtungen uns unverfälscht überliefert hat? Die Erfahrungen des
Phy-
I 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="133"/>
bereinstimmung, oder Nicht-Uebereinstimmung<lb/>
der Beobachtungen Anderer mit den seinigen ist<lb/>
ebenfalls zum Beweise oder zur Widerlegung der<lb/>
letztern nicht immer hinreichend: denn diese An-<lb/>
dern sind ebenfalls der Täuschung aus vorgefaſs-<lb/>
ten Meinungen unterworfen, und überdies kann<lb/>
den Sinnen derselben die zu jener Beobachtung<lb/>
erforderliche Stimmung fehlen. Hier ist also nicht<lb/>
einmal bey einem und demselben Menschen, und<lb/>
noch viel weniger bey verschiedenen Personen Ue-<lb/>
bereinstimmung zu erwarten. — Dies übrigens giebt<lb/>
den Schlüssel zur Erklärung der bekannten That-<lb/>
sache, daſs auch die unsinnigsten Meinungen und<lb/>
Systeme sich den medicinischen Erfahrungen an-<lb/>
passen lassen, und es zeigt zugleich, daſs keine<lb/>
Widerlegung derselben aus der Erfahrung möglich<lb/>
ist. Wenn <hirendition="#k">Helmont</hi> die Seele in den Magen ver-<lb/>
setzte, und sich dabey auf sein Gefühl berief, wer<lb/>
konnte ihn widerlegen? Und wenn der Arzt, der<lb/>
dem Blutlassen hold ist, da einen harten und<lb/>
vollen Puls fühlet, wo der Freund von reitzen-<lb/>
den Mitteln Schwäche und Weichheit im Schlage<lb/>
der Arterien findet, wer vermag den Zwist auszu-<lb/>
gleichen?</p><lb/><p>Gesetzt aber auch, diese Schwürigkeiten stän-<lb/>
den dem beobachtenden Arzte nicht im Wege, wo-<lb/>
her wissen wir, daſs er seine Beobachtungen uns<lb/>
unverfälscht überliefert hat? Die Erfahrungen des<lb/><fwplace="bottom"type="sig">I 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Phy-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[133/0153]
bereinstimmung, oder Nicht-Uebereinstimmung
der Beobachtungen Anderer mit den seinigen ist
ebenfalls zum Beweise oder zur Widerlegung der
letztern nicht immer hinreichend: denn diese An-
dern sind ebenfalls der Täuschung aus vorgefaſs-
ten Meinungen unterworfen, und überdies kann
den Sinnen derselben die zu jener Beobachtung
erforderliche Stimmung fehlen. Hier ist also nicht
einmal bey einem und demselben Menschen, und
noch viel weniger bey verschiedenen Personen Ue-
bereinstimmung zu erwarten. — Dies übrigens giebt
den Schlüssel zur Erklärung der bekannten That-
sache, daſs auch die unsinnigsten Meinungen und
Systeme sich den medicinischen Erfahrungen an-
passen lassen, und es zeigt zugleich, daſs keine
Widerlegung derselben aus der Erfahrung möglich
ist. Wenn Helmont die Seele in den Magen ver-
setzte, und sich dabey auf sein Gefühl berief, wer
konnte ihn widerlegen? Und wenn der Arzt, der
dem Blutlassen hold ist, da einen harten und
vollen Puls fühlet, wo der Freund von reitzen-
den Mitteln Schwäche und Weichheit im Schlage
der Arterien findet, wer vermag den Zwist auszu-
gleichen?
Gesetzt aber auch, diese Schwürigkeiten stän-
den dem beobachtenden Arzte nicht im Wege, wo-
her wissen wir, daſs er seine Beobachtungen uns
unverfälscht überliefert hat? Die Erfahrungen des
Phy-
I 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/153>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.