tigte den persönlichen Charakter des Monarchen mit einer Unehrerbietigkeit, welche dies illegitime Königthum nicht ertragen konnte. Timon-Cormenin, seit Courrier's Tode der wirksamste Publicist der Radikalen, schrieb die wüthenden "Fragen eines Jacobiners;" er hielt den Franzosen vor, wie viel unfreier sie seien als die Preußen, denen ihr absoluter König die altherkömmliche Prinzessinnensteuer regelmäßig erlassen habe. Die Dota- tion ward verworfen, das Ministerium Soult trat zurück, und durch die liberale Opposition emporgehoben bildete Thiers am 1. März ein neues Cabinet -- der Staatsmann, der von jeher dem Bürgerkönige besonders widerwärtig und in der gegenwärtigen Kriegsgefahr dreifach unwillkommen war. Auch die vier Mächte verhehlten ihr Mißtrauen nicht. Graf Maltzan schrieb aus Wien schwer besorgt: "die Grundsätze von 1830 sind wieder am Ruder,"*) und der französische Gesandte auf der Londoner Conferenz sah sich fortan noch weniger rücksichtsvoll als bisher behandelt. Er fühlte, wie die Vier hinter seinem Rücken beriethen.
Thiers stand bei den Höfen im Rufe eines radikalen Chauvinisten, weil er zur Zeit der Julirevolution für die reine Parlamentsherrschaft gearbeitet, während des Carlistenkrieges sehr übermüthig geredet und durch seine Geschichtswerke die napoleonische Legende mächtig gefördert hatte. Indeß war der kluge, bildsame Mann, obwohl noch weit entfernt von der ruhigen Weisheit seines Alters, doch schon durch die Erfahrung etwas gereift. Die peinliche diplomatische Lage, die er vorfand, war nicht durch ihn verschuldet, sondern durch den König. Als er die Regierung übernahm, hegte er noch keineswegs kriegerische Absichten; dem ungleichen Kampfe mit vier Großmächten dachte er sein leidenschaftlich geliebtes Vaterland nicht auszusetzen. Am wenigsten wollte er an dem englisch-französischen Bünd- niß rütteln, das ihm für den Hort der Völkerfreiheit galt. Darum ließ er durch den Gesandten Guizot dem englischen Hofe ernst aber freundschaftlich erklären: zur Integrität der Türkei gehöre die Macht des Paschas so gut wie die Macht des Sultans, und ohne Syrien könne der Aegypter nicht bestehen. Nachdrücklich verwahrte er sich gegen die be- waffnete Einmischung Europas, die den alten Grundsätzen der Westmächte offenbar widerspreche.**) Und allerdings bewährte Palmerston nur von Neuem den grundsatzlosen Wankelmuth seiner Staatskunst, wenn er, der so oft die Lehre der Nichteinmischung feierlich verkündigt hatte, jetzt zu den Ansichten des Troppauer Congresses zurückkehrte und die gewaltsame Intervention der Großmächte wider den ägyptischen Rebellen empfahl.
Thiers' Warnungen waren ehrlich gemeint; denn wie alle Franzosen überschätzte er die Macht Mehemed Ali's bei Weitem und fürchtete, der Pascha würde der Einmischung Europas einen so hartnäckigen Widerstand
*) Maltzan's Bericht, 4. März 1840.
**) Berichte von Bülow, London 17. März, 3. Apr., von Arnim, Paris 20. Apr. 1840.
Miniſterium Thiers.
tigte den perſönlichen Charakter des Monarchen mit einer Unehrerbietigkeit, welche dies illegitime Königthum nicht ertragen konnte. Timon-Cormenin, ſeit Courrier’s Tode der wirkſamſte Publiciſt der Radikalen, ſchrieb die wüthenden „Fragen eines Jacobiners;“ er hielt den Franzoſen vor, wie viel unfreier ſie ſeien als die Preußen, denen ihr abſoluter König die altherkömmliche Prinzeſſinnenſteuer regelmäßig erlaſſen habe. Die Dota- tion ward verworfen, das Miniſterium Soult trat zurück, und durch die liberale Oppoſition emporgehoben bildete Thiers am 1. März ein neues Cabinet — der Staatsmann, der von jeher dem Bürgerkönige beſonders widerwärtig und in der gegenwärtigen Kriegsgefahr dreifach unwillkommen war. Auch die vier Mächte verhehlten ihr Mißtrauen nicht. Graf Maltzan ſchrieb aus Wien ſchwer beſorgt: „die Grundſätze von 1830 ſind wieder am Ruder,“*) und der franzöſiſche Geſandte auf der Londoner Conferenz ſah ſich fortan noch weniger rückſichtsvoll als bisher behandelt. Er fühlte, wie die Vier hinter ſeinem Rücken beriethen.
Thiers ſtand bei den Höfen im Rufe eines radikalen Chauviniſten, weil er zur Zeit der Julirevolution für die reine Parlamentsherrſchaft gearbeitet, während des Carliſtenkrieges ſehr übermüthig geredet und durch ſeine Geſchichtswerke die napoleoniſche Legende mächtig gefördert hatte. Indeß war der kluge, bildſame Mann, obwohl noch weit entfernt von der ruhigen Weisheit ſeines Alters, doch ſchon durch die Erfahrung etwas gereift. Die peinliche diplomatiſche Lage, die er vorfand, war nicht durch ihn verſchuldet, ſondern durch den König. Als er die Regierung übernahm, hegte er noch keineswegs kriegeriſche Abſichten; dem ungleichen Kampfe mit vier Großmächten dachte er ſein leidenſchaftlich geliebtes Vaterland nicht auszuſetzen. Am wenigſten wollte er an dem engliſch-franzöſiſchen Bünd- niß rütteln, das ihm für den Hort der Völkerfreiheit galt. Darum ließ er durch den Geſandten Guizot dem engliſchen Hofe ernſt aber freundſchaftlich erklären: zur Integrität der Türkei gehöre die Macht des Paſchas ſo gut wie die Macht des Sultans, und ohne Syrien könne der Aegypter nicht beſtehen. Nachdrücklich verwahrte er ſich gegen die be- waffnete Einmiſchung Europas, die den alten Grundſätzen der Weſtmächte offenbar widerſpreche.**) Und allerdings bewährte Palmerſton nur von Neuem den grundſatzloſen Wankelmuth ſeiner Staatskunſt, wenn er, der ſo oft die Lehre der Nichteinmiſchung feierlich verkündigt hatte, jetzt zu den Anſichten des Troppauer Congreſſes zurückkehrte und die gewaltſame Intervention der Großmächte wider den ägyptiſchen Rebellen empfahl.
Thiers’ Warnungen waren ehrlich gemeint; denn wie alle Franzoſen überſchätzte er die Macht Mehemed Ali’s bei Weitem und fürchtete, der Paſcha würde der Einmiſchung Europas einen ſo hartnäckigen Widerſtand
*) Maltzan’s Bericht, 4. März 1840.
**) Berichte von Bülow, London 17. März, 3. Apr., von Arnim, Paris 20. Apr. 1840.
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Miniſterium Thiers.
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welche dies illegitime Königthum nicht ertragen konnte. Timon-Cormenin,
ſeit Courrier’s Tode der wirkſamſte Publiciſt der Radikalen, ſchrieb die
wüthenden „Fragen eines Jacobiners;“ er hielt den Franzoſen vor,
wie viel unfreier ſie ſeien als die Preußen, denen ihr abſoluter König die
altherkömmliche Prinzeſſinnenſteuer regelmäßig erlaſſen habe. Die Dota-
tion ward verworfen, das Miniſterium Soult trat zurück, und durch die
liberale Oppoſition emporgehoben bildete Thiers am 1. März ein neues
Cabinet — der Staatsmann, der von jeher dem Bürgerkönige beſonders
widerwärtig und in der gegenwärtigen Kriegsgefahr dreifach unwillkommen
war. Auch die vier Mächte verhehlten ihr Mißtrauen nicht. Graf Maltzan
ſchrieb aus Wien ſchwer beſorgt: „die Grundſätze von 1830 ſind wieder
am Ruder,“ *) und der franzöſiſche Geſandte auf der Londoner Conferenz
ſah ſich fortan noch weniger rückſichtsvoll als bisher behandelt. Er fühlte,
wie die Vier hinter ſeinem Rücken beriethen.
Thiers ſtand bei den Höfen im Rufe eines radikalen Chauviniſten,
weil er zur Zeit der Julirevolution für die reine Parlamentsherrſchaft
gearbeitet, während des Carliſtenkrieges ſehr übermüthig geredet und durch
ſeine Geſchichtswerke die napoleoniſche Legende mächtig gefördert hatte.
Indeß war der kluge, bildſame Mann, obwohl noch weit entfernt von
der ruhigen Weisheit ſeines Alters, doch ſchon durch die Erfahrung etwas
gereift. Die peinliche diplomatiſche Lage, die er vorfand, war nicht durch
ihn verſchuldet, ſondern durch den König. Als er die Regierung übernahm,
hegte er noch keineswegs kriegeriſche Abſichten; dem ungleichen Kampfe mit
vier Großmächten dachte er ſein leidenſchaftlich geliebtes Vaterland nicht
auszuſetzen. Am wenigſten wollte er an dem engliſch-franzöſiſchen Bünd-
niß rütteln, das ihm für den Hort der Völkerfreiheit galt. Darum
ließ er durch den Geſandten Guizot dem engliſchen Hofe ernſt aber
freundſchaftlich erklären: zur Integrität der Türkei gehöre die Macht
des Paſchas ſo gut wie die Macht des Sultans, und ohne Syrien könne
der Aegypter nicht beſtehen. Nachdrücklich verwahrte er ſich gegen die be-
waffnete Einmiſchung Europas, die den alten Grundſätzen der Weſtmächte
offenbar widerſpreche. **) Und allerdings bewährte Palmerſton nur von
Neuem den grundſatzloſen Wankelmuth ſeiner Staatskunſt, wenn er, der
ſo oft die Lehre der Nichteinmiſchung feierlich verkündigt hatte, jetzt zu
den Anſichten des Troppauer Congreſſes zurückkehrte und die gewaltſame
Intervention der Großmächte wider den ägyptiſchen Rebellen empfahl.
Thiers’ Warnungen waren ehrlich gemeint; denn wie alle Franzoſen
überſchätzte er die Macht Mehemed Ali’s bei Weitem und fürchtete, der
Paſcha würde der Einmiſchung Europas einen ſo hartnäckigen Widerſtand
*) Maltzan’s Bericht, 4. März 1840.
**) Berichte von Bülow, London 17. März, 3. Apr., von Arnim, Paris 20. Apr. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/87>, abgerufen am 23.07.2024.
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