Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 2. Die Kriegsgefahr. Empörer sei. Metternich selbst empfand zuweilen die Last seiner Jahre undsagte mehrmals zu Maltzan: "In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht zu schaffen suchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr- scheinlich nicht mehr selbst beendigen kann."*) Der alte unfruchtbare Streit zwischen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, so kam unter der Herrschaft dieses traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börse nahe be- freundete Finanzminister Eichhoff endlich den Abschied erhalten hatte. Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd sagte, "in fast unglaub- lichem Grade" Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, starb General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenlose Routine herrschten überall; nur das italienische Heer unter Radetzky's Führung zeigte sich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oesterreich für einen schweren Kampf weniger vorbereitet gewesen. Unter solchen Umständen konnte der greise König von Preußen, der für das stille Erstarken seines Landes so dringend des Friedens bedurfte, nur den bescheidenen Wunsch hegen, daß die Kriegsgefahr im Osten vorübergehen möchte. Gleichwohl geschah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver- *) Maltzan's Berichte, März 1840.
V. 2. Die Kriegsgefahr. Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre undſagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr- ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann.“*) Der alte unfruchtbare Streit zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be- freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte. Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „in faſt unglaub- lichem Grade“ Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte. Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver- *) Maltzan’s Berichte, März 1840.
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V. 2. Die Kriegsgefahr.
Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre und
ſagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht
zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr-
ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann.“ *) Der alte unfruchtbare Streit
zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und
da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter
der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten
Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der
gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be-
freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte.
Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „in faſt unglaub-
lichem Grade“ Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb
General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für
ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine
herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung
zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen
ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden
konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines
Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch
hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver-
mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüſtungen nicht mehr zu ertragen, der
Sultan ſeinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und
endigte mit einem Schlage. Die türkiſchen Truppen hatten Dank der
einſichtigen Thätigkeit der preußiſchen Generalſtabsoffiziere ſchon Einiges
gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht-
bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinaſiatiſchen Heeres war unter
Hafiz Paſchas Führung bei Niſib vereinigt, und dieſe Hälfte beſtand zum
guten Theile aus feindſeligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er-
ſehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden ſeiner Mollahs und
Aſtrologen als auf den großen fränkiſchen Rathgeber, der ihm zur Seite
ſtand. Er verſäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer
Ibrahim Paſchas bei einem Umgehungsverſuche zur rechten Zeit in der
Flanke anzugreifen. Er verſchmähte ſodann, die Truppen an den Euphrat
in die feſte Stellung von Biredſchik zurückzuführen; und der Preuße legte,
das ſichere Verderben vorausſagend, ſein Amt als Rathgeber förmlich
nieder. Am nächſten Tage, 23. Juni, ward der Paſcha von dem ſieg-
gewohnten ägyptiſchen Feldherrn in höchſt ungünſtiger Stellung ange-
griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerſtande ſtob ſein Heer ausein-
ander. Wie einſt König Friedrich ſein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte
von Mollwitz eröffnete, ſo begann der größte deutſche Krieger des neun-
*) Maltzan’s Berichte, März 1840.
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