Empörer sei. Metternich selbst empfand zuweilen die Last seiner Jahre und sagte mehrmals zu Maltzan: "In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht zu schaffen suchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr- scheinlich nicht mehr selbst beendigen kann."*) Der alte unfruchtbare Streit zwischen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, so kam unter der Herrschaft dieses traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börse nahe be- freundete Finanzminister Eichhoff endlich den Abschied erhalten hatte. Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd sagte, "in fast unglaub- lichem Grade" Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, starb General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenlose Routine herrschten überall; nur das italienische Heer unter Radetzky's Führung zeigte sich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oesterreich für einen schweren Kampf weniger vorbereitet gewesen. Unter solchen Umständen konnte der greise König von Preußen, der für das stille Erstarken seines Landes so dringend des Friedens bedurfte, nur den bescheidenen Wunsch hegen, daß die Kriegsgefahr im Osten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geschah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver- mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüstungen nicht mehr zu ertragen, der Sultan seinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und endigte mit einem Schlage. Die türkischen Truppen hatten Dank der einsichtigen Thätigkeit der preußischen Generalstabsoffiziere schon Einiges gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht- bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinasiatischen Heeres war unter Hafiz Paschas Führung bei Nisib vereinigt, und diese Hälfte bestand zum guten Theile aus feindseligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er- sehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden seiner Mollahs und Astrologen als auf den großen fränkischen Rathgeber, der ihm zur Seite stand. Er versäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer Ibrahim Paschas bei einem Umgehungsversuche zur rechten Zeit in der Flanke anzugreifen. Er verschmähte sodann, die Truppen an den Euphrat in die feste Stellung von Biredschik zurückzuführen; und der Preuße legte, das sichere Verderben voraussagend, sein Amt als Rathgeber förmlich nieder. Am nächsten Tage, 23. Juni, ward der Pascha von dem sieg- gewohnten ägyptischen Feldherrn in höchst ungünstiger Stellung ange- griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerstande stob sein Heer ausein- ander. Wie einst König Friedrich sein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte von Mollwitz eröffnete, so begann der größte deutsche Krieger des neun-
*) Maltzan's Berichte, März 1840.
V. 2. Die Kriegsgefahr.
Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre und ſagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr- ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann.“*) Der alte unfruchtbare Streit zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be- freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte. Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „in faſt unglaub- lichem Grade“ Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver- mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüſtungen nicht mehr zu ertragen, der Sultan ſeinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und endigte mit einem Schlage. Die türkiſchen Truppen hatten Dank der einſichtigen Thätigkeit der preußiſchen Generalſtabsoffiziere ſchon Einiges gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht- bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinaſiatiſchen Heeres war unter Hafiz Paſchas Führung bei Niſib vereinigt, und dieſe Hälfte beſtand zum guten Theile aus feindſeligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er- ſehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden ſeiner Mollahs und Aſtrologen als auf den großen fränkiſchen Rathgeber, der ihm zur Seite ſtand. Er verſäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer Ibrahim Paſchas bei einem Umgehungsverſuche zur rechten Zeit in der Flanke anzugreifen. Er verſchmähte ſodann, die Truppen an den Euphrat in die feſte Stellung von Biredſchik zurückzuführen; und der Preuße legte, das ſichere Verderben vorausſagend, ſein Amt als Rathgeber förmlich nieder. Am nächſten Tage, 23. Juni, ward der Paſcha von dem ſieg- gewohnten ägyptiſchen Feldherrn in höchſt ungünſtiger Stellung ange- griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerſtande ſtob ſein Heer ausein- ander. Wie einſt König Friedrich ſein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte von Mollwitz eröffnete, ſo begann der größte deutſche Krieger des neun-
*) Maltzan’s Berichte, März 1840.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="66"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 2. Die Kriegsgefahr.</fw><lb/>
Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre und<lb/>ſagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht<lb/>
zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr-<lb/>ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann.“<noteplace="foot"n="*)">Maltzan’s Berichte, März 1840.</note> Der alte unfruchtbare Streit<lb/>
zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und<lb/>
da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter<lb/>
der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten<lb/>
Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der<lb/>
gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be-<lb/>
freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte.<lb/>
Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „in faſt unglaub-<lb/>
lichem Grade“ Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb<lb/>
General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für<lb/>
ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine<lb/>
herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung<lb/>
zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen<lb/>ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden<lb/>
konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines<lb/>
Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch<lb/>
hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte.</p><lb/><p>Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver-<lb/>
mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüſtungen nicht mehr zu ertragen, der<lb/>
Sultan ſeinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und<lb/>
endigte mit einem Schlage. Die türkiſchen Truppen hatten Dank der<lb/>
einſichtigen Thätigkeit der preußiſchen Generalſtabsoffiziere ſchon Einiges<lb/>
gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht-<lb/>
bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinaſiatiſchen Heeres war unter<lb/>
Hafiz Paſchas Führung bei Niſib vereinigt, und dieſe Hälfte beſtand zum<lb/>
guten Theile aus feindſeligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er-<lb/>ſehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden ſeiner Mollahs und<lb/>
Aſtrologen als auf den großen fränkiſchen Rathgeber, der ihm zur Seite<lb/>ſtand. Er verſäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer<lb/>
Ibrahim Paſchas bei einem Umgehungsverſuche zur rechten Zeit in der<lb/>
Flanke anzugreifen. Er verſchmähte ſodann, die Truppen an den Euphrat<lb/>
in die feſte Stellung von Biredſchik zurückzuführen; und der Preuße legte,<lb/>
das ſichere Verderben vorausſagend, ſein Amt als Rathgeber förmlich<lb/>
nieder. Am nächſten Tage, 23. Juni, ward der Paſcha von dem ſieg-<lb/>
gewohnten ägyptiſchen Feldherrn in höchſt ungünſtiger Stellung ange-<lb/>
griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerſtande ſtob ſein Heer ausein-<lb/>
ander. Wie einſt König Friedrich ſein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte<lb/>
von Mollwitz eröffnete, ſo begann der größte deutſche Krieger des neun-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[66/0080]
V. 2. Die Kriegsgefahr.
Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre und
ſagte mehrmals zu Maltzan: „In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht
zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr-
ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann.“ *) Der alte unfruchtbare Streit
zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und
da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter
der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten
Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der
gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be-
freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte.
Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „in faſt unglaub-
lichem Grade“ Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb
General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für
ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine
herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung
zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen
ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden
konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines
Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch
hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver-
mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüſtungen nicht mehr zu ertragen, der
Sultan ſeinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und
endigte mit einem Schlage. Die türkiſchen Truppen hatten Dank der
einſichtigen Thätigkeit der preußiſchen Generalſtabsoffiziere ſchon Einiges
gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht-
bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinaſiatiſchen Heeres war unter
Hafiz Paſchas Führung bei Niſib vereinigt, und dieſe Hälfte beſtand zum
guten Theile aus feindſeligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er-
ſehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden ſeiner Mollahs und
Aſtrologen als auf den großen fränkiſchen Rathgeber, der ihm zur Seite
ſtand. Er verſäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer
Ibrahim Paſchas bei einem Umgehungsverſuche zur rechten Zeit in der
Flanke anzugreifen. Er verſchmähte ſodann, die Truppen an den Euphrat
in die feſte Stellung von Biredſchik zurückzuführen; und der Preuße legte,
das ſichere Verderben vorausſagend, ſein Amt als Rathgeber förmlich
nieder. Am nächſten Tage, 23. Juni, ward der Paſcha von dem ſieg-
gewohnten ägyptiſchen Feldherrn in höchſt ungünſtiger Stellung ange-
griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerſtande ſtob ſein Heer ausein-
ander. Wie einſt König Friedrich ſein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte
von Mollwitz eröffnete, ſo begann der größte deutſche Krieger des neun-
*) Maltzan’s Berichte, März 1840.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/80>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.