Sonderbundes und erzwangen sich den Einmarsch in Luzern durch ein kurzes Gefecht an der Reußbrücke bei Gislikon (23. Nov.); darauf wurden die Urcantone besetzt, endlich auch das Wallis unterworfen. Das Alles war das Werk weniger Tage. Ueber alle Erwartung schwach zeigte sich die Widerstandskraft des Sonderbundes, nach so mächtigem Parteigetöse; er verlor in den sämmtlichen kleinen Gefechten dieses kurzen Krieges nur 50 Todte und 175 Verwundete, die Sieger nahezu das Doppelte. Die unbeschränkte Cantonalsouveränität hatte keine Wurzeln mehr im Volke; in den großen Verhältnissen des modernen Verkehrs erschien der heimische Canton selbst den Urner und Schwyzer Bauern klein und eng, sie wollten für diese versinkende Gewalt nichts mehr opfern. Die nationale Idee siegte auch mit geistigen Waffen; die sittliche Ohnmacht des Particularismus wurde hier so unwiderleglich erwiesen, wie späterhin im Mainfeldzuge des Jahres 1866. Einige der alten ruhmreichen Herrengeschlechter der Schweiz, die Salis, Kalbermatten, Courten versuchten im Heere des Sonderbundes noch einmal eine Rolle zu spielen. Doch ihre Zeit war vorüber; das Kriegsglück war ihnen nicht mehr hold. Am wenigsten dem unfähigen Oberbefehlshaber, dem Protestanten Salis-Soglio und seinem Adjutanten, dem Landsknecht Friedrich Schwarzenberg.
Nach dem Siege konnte der wackere Dufour den wilden kirchlichen Haß, der in dem politischen Kampfe mitwirkte, doch nicht überall bändigen; in Freiburg zumal wurden Kirchen und Klöster mit bilderstürmerischer Wuth geschändet und geplündert. Manchen der siegreichen protestantischen Cantone erschien dieser Krieg wie eine Vergeltung für die Niederlage, welche die Sonderbundscantone vormals dem Reformator Zwingli bereitet hatten; so zäh wurden hier dreihundertjährige Erinnerungen bewahrt. Darum ließen sich die Züricher von den geschlagenen Luzernern die einst auf dem Schlachtfelde von Kappel erbeuteten Waffen Zwingli's wieder ausliefern. Im Vergleich mit anderen Bürgerkriegen erschien die gewaltthätige Roheit der Sieger doch nicht unerträglich und nach kurzer Zeit war die Ordnung überall wieder gesichert. Unter dem Schutze der eidgenössischen Bajonette wurden nunmehr in allen Cantonen des Sonderbundes neue Wahlen vollzogen. Die also wiederhergestellte Tagsatzung bestand fast durchweg aus Radicalen, sie beschloß sofort, ohne daß der Papst zu widersprechen wagte, die 274 schweizerischen Jesuiten aus dem Lande zu weisen und begann sodann an der Reform der Bundesverfassung zu arbeiten.
Wie lächerlich erschien jetzt, nachdem die Entscheidung längst gefallen war, die endlich vereinbarte Vermittlungsnote der großen Mächte, die am 7. Dec. überreicht wurde. Palmerston hatte seinen Zweck erreicht und erlaubte sich zuletzt noch einen seiner boshaften Scherze. Der große Elchi aus Pera, Lord Stratford Canning war mittlerweile als außerordentlicher Bevollmächtigter in der Schweiz erschienen und bemühte sich mit englischer Sittsamkeit, einerseits die Gesandten der Großmächte milder zu stimmen,
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Sonderbundes und erzwangen ſich den Einmarſch in Luzern durch ein kurzes Gefecht an der Reußbrücke bei Gislikon (23. Nov.); darauf wurden die Urcantone beſetzt, endlich auch das Wallis unterworfen. Das Alles war das Werk weniger Tage. Ueber alle Erwartung ſchwach zeigte ſich die Widerſtandskraft des Sonderbundes, nach ſo mächtigem Parteigetöſe; er verlor in den ſämmtlichen kleinen Gefechten dieſes kurzen Krieges nur 50 Todte und 175 Verwundete, die Sieger nahezu das Doppelte. Die unbeſchränkte Cantonalſouveränität hatte keine Wurzeln mehr im Volke; in den großen Verhältniſſen des modernen Verkehrs erſchien der heimiſche Canton ſelbſt den Urner und Schwyzer Bauern klein und eng, ſie wollten für dieſe verſinkende Gewalt nichts mehr opfern. Die nationale Idee ſiegte auch mit geiſtigen Waffen; die ſittliche Ohnmacht des Particularismus wurde hier ſo unwiderleglich erwieſen, wie ſpäterhin im Mainfeldzuge des Jahres 1866. Einige der alten ruhmreichen Herrengeſchlechter der Schweiz, die Salis, Kalbermatten, Courten verſuchten im Heere des Sonderbundes noch einmal eine Rolle zu ſpielen. Doch ihre Zeit war vorüber; das Kriegsglück war ihnen nicht mehr hold. Am wenigſten dem unfähigen Oberbefehlshaber, dem Proteſtanten Salis-Soglio und ſeinem Adjutanten, dem Landsknecht Friedrich Schwarzenberg.
Nach dem Siege konnte der wackere Dufour den wilden kirchlichen Haß, der in dem politiſchen Kampfe mitwirkte, doch nicht überall bändigen; in Freiburg zumal wurden Kirchen und Klöſter mit bilderſtürmeriſcher Wuth geſchändet und geplündert. Manchen der ſiegreichen proteſtantiſchen Cantone erſchien dieſer Krieg wie eine Vergeltung für die Niederlage, welche die Sonderbundscantone vormals dem Reformator Zwingli bereitet hatten; ſo zäh wurden hier dreihundertjährige Erinnerungen bewahrt. Darum ließen ſich die Züricher von den geſchlagenen Luzernern die einſt auf dem Schlachtfelde von Kappel erbeuteten Waffen Zwingli’s wieder ausliefern. Im Vergleich mit anderen Bürgerkriegen erſchien die gewaltthätige Roheit der Sieger doch nicht unerträglich und nach kurzer Zeit war die Ordnung überall wieder geſichert. Unter dem Schutze der eidgenöſſiſchen Bajonette wurden nunmehr in allen Cantonen des Sonderbundes neue Wahlen vollzogen. Die alſo wiederhergeſtellte Tagſatzung beſtand faſt durchweg aus Radicalen, ſie beſchloß ſofort, ohne daß der Papſt zu widerſprechen wagte, die 274 ſchweizeriſchen Jeſuiten aus dem Lande zu weiſen und begann ſodann an der Reform der Bundesverfaſſung zu arbeiten.
Wie lächerlich erſchien jetzt, nachdem die Entſcheidung längſt gefallen war, die endlich vereinbarte Vermittlungsnote der großen Mächte, die am 7. Dec. überreicht wurde. Palmerſton hatte ſeinen Zweck erreicht und erlaubte ſich zuletzt noch einen ſeiner boshaften Scherze. Der große Elchi aus Pera, Lord Stratford Canning war mittlerweile als außerordentlicher Bevollmächtigter in der Schweiz erſchienen und bemühte ſich mit engliſcher Sittſamkeit, einerſeits die Geſandten der Großmächte milder zu ſtimmen,
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V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Sonderbundes und erzwangen ſich den Einmarſch in Luzern durch ein
kurzes Gefecht an der Reußbrücke bei Gislikon (23. Nov.); darauf wurden
die Urcantone beſetzt, endlich auch das Wallis unterworfen. Das Alles
war das Werk weniger Tage. Ueber alle Erwartung ſchwach zeigte ſich
die Widerſtandskraft des Sonderbundes, nach ſo mächtigem Parteigetöſe;
er verlor in den ſämmtlichen kleinen Gefechten dieſes kurzen Krieges nur
50 Todte und 175 Verwundete, die Sieger nahezu das Doppelte. Die
unbeſchränkte Cantonalſouveränität hatte keine Wurzeln mehr im Volke;
in den großen Verhältniſſen des modernen Verkehrs erſchien der heimiſche
Canton ſelbſt den Urner und Schwyzer Bauern klein und eng, ſie wollten
für dieſe verſinkende Gewalt nichts mehr opfern. Die nationale Idee
ſiegte auch mit geiſtigen Waffen; die ſittliche Ohnmacht des Particularismus
wurde hier ſo unwiderleglich erwieſen, wie ſpäterhin im Mainfeldzuge des
Jahres 1866. Einige der alten ruhmreichen Herrengeſchlechter der Schweiz,
die Salis, Kalbermatten, Courten verſuchten im Heere des Sonderbundes
noch einmal eine Rolle zu ſpielen. Doch ihre Zeit war vorüber; das
Kriegsglück war ihnen nicht mehr hold. Am wenigſten dem unfähigen
Oberbefehlshaber, dem Proteſtanten Salis-Soglio und ſeinem Adjutanten,
dem Landsknecht Friedrich Schwarzenberg.
Nach dem Siege konnte der wackere Dufour den wilden kirchlichen
Haß, der in dem politiſchen Kampfe mitwirkte, doch nicht überall bändigen;
in Freiburg zumal wurden Kirchen und Klöſter mit bilderſtürmeriſcher
Wuth geſchändet und geplündert. Manchen der ſiegreichen proteſtantiſchen
Cantone erſchien dieſer Krieg wie eine Vergeltung für die Niederlage,
welche die Sonderbundscantone vormals dem Reformator Zwingli bereitet
hatten; ſo zäh wurden hier dreihundertjährige Erinnerungen bewahrt.
Darum ließen ſich die Züricher von den geſchlagenen Luzernern die einſt auf
dem Schlachtfelde von Kappel erbeuteten Waffen Zwingli’s wieder ausliefern.
Im Vergleich mit anderen Bürgerkriegen erſchien die gewaltthätige Roheit
der Sieger doch nicht unerträglich und nach kurzer Zeit war die Ordnung
überall wieder geſichert. Unter dem Schutze der eidgenöſſiſchen Bajonette
wurden nunmehr in allen Cantonen des Sonderbundes neue Wahlen
vollzogen. Die alſo wiederhergeſtellte Tagſatzung beſtand faſt durchweg
aus Radicalen, ſie beſchloß ſofort, ohne daß der Papſt zu widerſprechen
wagte, die 274 ſchweizeriſchen Jeſuiten aus dem Lande zu weiſen und
begann ſodann an der Reform der Bundesverfaſſung zu arbeiten.
Wie lächerlich erſchien jetzt, nachdem die Entſcheidung längſt gefallen
war, die endlich vereinbarte Vermittlungsnote der großen Mächte, die am
7. Dec. überreicht wurde. Palmerſton hatte ſeinen Zweck erreicht und
erlaubte ſich zuletzt noch einen ſeiner boshaften Scherze. Der große Elchi
aus Pera, Lord Stratford Canning war mittlerweile als außerordentlicher
Bevollmächtigter in der Schweiz erſchienen und bemühte ſich mit engliſcher
Sittſamkeit, einerſeits die Geſandten der Großmächte milder zu ſtimmen,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 732. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/746>, abgerufen am 23.07.2024.
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