Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. weder dem Wiener noch dem Pariser Hofe ganz trauen könne. Sofortschickte der Lord seinen Freund, den radicalen Querkopf Earl Minto als Gesandten nach Turin, dann auch mit geheimen Aufträgen nach Rom, wo Großbritannien sich auf Grund seiner alten Gesetze nicht amtlich ver- treten lassen durfte, und sagte höhnisch zu Bunsen: das wird Metternich nicht gefallen, aber eine englische Flotte in der Adria wird ihm noch we- niger gefallen.*) In Minto's Gefolge befand sich eine ganze Schaar amtloser junger Leute, die mit erstaunlicher Unbescheidenheit überall an den Höfen die nahende Revolution ankündigten. Nichts lag diesen vor- nehmen Demagogen ferner als eine ehrliche Theilnahme für Italiens Unglück; sie wollten nur Palmerston's Feinden Metternich und Guizot entgegenwirken und den für Englands Handelspolitik so einträglichen Un- frieden auf dem Festlande nähren. Bunsen freilich, dem niemals eine englische Arglist zu plump war, ließ sich auch diesmal täuschen, und schrieb begeistert: der Kampf um Verfassungen werde zu "einer politischen Reli- gionsfrage, wobei England hohenpriesterliche Stellung einnehme."**) Pal- merston als Hoherpriester! -- dieser spaßhafte Gedanke konnte allerdings nur in dem fremdbrüderlich begeisterten Haupte des preußischen Gesandten entstehen, und Canitz wollte nicht glauben, daß in einem Volke, das bis- her auf seinen gesunden praktischen Verstand stolz gewesen, "ein politischer Fanatismus zu einem dauernden System gemacht werden sollte."***) Sein König aber meinte, als er die unleidliche Zänkerei der westmächtlichen Diplomaten kennen lernte: "die englischen Gesandten in Piemont und Hellas scheinen mir, um recht höflich zu sein, zum Tollhaus reif, über- reif."+) Mit gutem Grunde klagte Metternich: der Lord Feuerbrand nehme die alte "Canning'sche Aeolus-Politik" wieder auf; der Staats- mann, der am lautesten wider die Interventionspolitik gescholten, mische sich überall ein, er sei le plus intervenant de tous. Was der englische Hof thun konnte um den allgemeinen Weltbrand zu schüren das that er nach Kräften. Also zwischen den großen Mächten hin und her geschleudert brachte der *) Bunsen's Bericht, 28. Sept. 1847. **) Bunsen an Canitz, 16. April 1847. ***) Canitz an Bunsen, 25. Sept. 1847. +) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Oct. 1847.
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution. weder dem Wiener noch dem Pariſer Hofe ganz trauen könne. Sofortſchickte der Lord ſeinen Freund, den radicalen Querkopf Earl Minto als Geſandten nach Turin, dann auch mit geheimen Aufträgen nach Rom, wo Großbritannien ſich auf Grund ſeiner alten Geſetze nicht amtlich ver- treten laſſen durfte, und ſagte höhniſch zu Bunſen: das wird Metternich nicht gefallen, aber eine engliſche Flotte in der Adria wird ihm noch we- niger gefallen.*) In Minto’s Gefolge befand ſich eine ganze Schaar amtloſer junger Leute, die mit erſtaunlicher Unbeſcheidenheit überall an den Höfen die nahende Revolution ankündigten. Nichts lag dieſen vor- nehmen Demagogen ferner als eine ehrliche Theilnahme für Italiens Unglück; ſie wollten nur Palmerſton’s Feinden Metternich und Guizot entgegenwirken und den für Englands Handelspolitik ſo einträglichen Un- frieden auf dem Feſtlande nähren. Bunſen freilich, dem niemals eine engliſche Argliſt zu plump war, ließ ſich auch diesmal täuſchen, und ſchrieb begeiſtert: der Kampf um Verfaſſungen werde zu „einer politiſchen Reli- gionsfrage, wobei England hohenprieſterliche Stellung einnehme.“**) Pal- merſton als Hoherprieſter! — dieſer ſpaßhafte Gedanke konnte allerdings nur in dem fremdbrüderlich begeiſterten Haupte des preußiſchen Geſandten entſtehen, und Canitz wollte nicht glauben, daß in einem Volke, das bis- her auf ſeinen geſunden praktiſchen Verſtand ſtolz geweſen, „ein politiſcher Fanatismus zu einem dauernden Syſtem gemacht werden ſollte.“***) Sein König aber meinte, als er die unleidliche Zänkerei der weſtmächtlichen Diplomaten kennen lernte: „die engliſchen Geſandten in Piemont und Hellas ſcheinen mir, um recht höflich zu ſein, zum Tollhaus reif, über- reif.“†) Mit gutem Grunde klagte Metternich: der Lord Feuerbrand nehme die alte „Canning’ſche Aeolus-Politik“ wieder auf; der Staats- mann, der am lauteſten wider die Interventionspolitik geſcholten, miſche ſich überall ein, er ſei le plus intervenant de tous. Was der engliſche Hof thun konnte um den allgemeinen Weltbrand zu ſchüren das that er nach Kräften. Alſo zwiſchen den großen Mächten hin und her geſchleudert brachte der *) Bunſen’s Bericht, 28. Sept. 1847. **) Bunſen an Canitz, 16. April 1847. ***) Canitz an Bunſen, 25. Sept. 1847. †) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Oct. 1847.
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V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
weder dem Wiener noch dem Pariſer Hofe ganz trauen könne. Sofort
ſchickte der Lord ſeinen Freund, den radicalen Querkopf Earl Minto als
Geſandten nach Turin, dann auch mit geheimen Aufträgen nach Rom,
wo Großbritannien ſich auf Grund ſeiner alten Geſetze nicht amtlich ver-
treten laſſen durfte, und ſagte höhniſch zu Bunſen: das wird Metternich
nicht gefallen, aber eine engliſche Flotte in der Adria wird ihm noch we-
niger gefallen. *) In Minto’s Gefolge befand ſich eine ganze Schaar
amtloſer junger Leute, die mit erſtaunlicher Unbeſcheidenheit überall an
den Höfen die nahende Revolution ankündigten. Nichts lag dieſen vor-
nehmen Demagogen ferner als eine ehrliche Theilnahme für Italiens
Unglück; ſie wollten nur Palmerſton’s Feinden Metternich und Guizot
entgegenwirken und den für Englands Handelspolitik ſo einträglichen Un-
frieden auf dem Feſtlande nähren. Bunſen freilich, dem niemals eine
engliſche Argliſt zu plump war, ließ ſich auch diesmal täuſchen, und ſchrieb
begeiſtert: der Kampf um Verfaſſungen werde zu „einer politiſchen Reli-
gionsfrage, wobei England hohenprieſterliche Stellung einnehme.“ **) Pal-
merſton als Hoherprieſter! — dieſer ſpaßhafte Gedanke konnte allerdings
nur in dem fremdbrüderlich begeiſterten Haupte des preußiſchen Geſandten
entſtehen, und Canitz wollte nicht glauben, daß in einem Volke, das bis-
her auf ſeinen geſunden praktiſchen Verſtand ſtolz geweſen, „ein politiſcher
Fanatismus zu einem dauernden Syſtem gemacht werden ſollte.“ ***) Sein
König aber meinte, als er die unleidliche Zänkerei der weſtmächtlichen
Diplomaten kennen lernte: „die engliſchen Geſandten in Piemont und
Hellas ſcheinen mir, um recht höflich zu ſein, zum Tollhaus reif, über-
reif.“ †) Mit gutem Grunde klagte Metternich: der Lord Feuerbrand
nehme die alte „Canning’ſche Aeolus-Politik“ wieder auf; der Staats-
mann, der am lauteſten wider die Interventionspolitik geſcholten, miſche
ſich überall ein, er ſei le plus intervenant de tous. Was der engliſche
Hof thun konnte um den allgemeinen Weltbrand zu ſchüren das that er
nach Kräften.
Alſo zwiſchen den großen Mächten hin und her geſchleudert brachte der
gequälte Papſt in anderthalb Jahren nur eine wichtige Reform zu Stande
— die gefährlichſte von allen: er ſchuf die Nationalgarde, die ſich ſo leicht
gegen den heiligen Stuhl ſelber wenden konnte. Auch eine weltliche Con-
ſulta trat zuſammen, aber wie war es möglich, daß Cardinäle ſich der
Aufſicht der Laien wirklich unterwerfen ſollten? Nun gar der weltliche
Miniſterrath, der auf Roſſi’s Bitten endlich berufen wurde, krankte von
Haus aus an einem unheilbaren Uebelſtande. Alle große Politik der
Curie war kirchlich, die armſeligen Intereſſen des Kirchenſtaats fielen da-
*) Bunſen’s Bericht, 28. Sept. 1847.
**) Bunſen an Canitz, 16. April 1847.
***) Canitz an Bunſen, 25. Sept. 1847.
†) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Oct. 1847.
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