Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Italien und die Westmächte. Agenten Klindworth nach Wien um ein vollständiges Einverständniß vor-zubereiten, und im Kampfe gegen Italiens Einheit waren die beiden Höfe allerdings einig. Wie die Hofburg ihr lombardo-venetianisches Königreich nur bei fortdauernder Unmündigkeit der Italiener behaupten konnte, so hielten die Tuilerien fest an dem altfranzösischen Grundsatze, daß Frank- reichs Macht auf der Nichtigkeit seiner Nachbarvölker beruhe; und zu Metternich's Wohlgefallen beschwor Guizot die Reformpartei der Halb- insel, der Bewegung einen römischen, toscanischen, piemontesischen Charakter zu bewahren, denn eine italienische Frage wäre die Revolution! Gleich- wohl konnte die Staatskunst des französischen Neides mit der Politik der österreichischen Herrschsucht nicht vollkommen übereinstimmen; der begehr- liche Wetteifer der beiden Nachbarmächte um die Vergewaltigung der Halb- insel wurzelte zu tief in einer alten Geschichte. Auch vermochte Ludwig Philipp, obgleich er jetzt immer "die Politik des Niederhaltens" im Munde führte, den revolutionären Ursprung seines Regiments doch nicht ganz zu verleugnen. "Diese Regierung," so sagte Metternich zu Canitz, "kann nicht stark sein, wenn es die Revolution zu bekämpfen gilt; sie kann sich nicht mit uns auf eine Linie stellen, das wäre wider die Natur."*) Und diesen Argwohn gab er trotz der zur Schau getragenen hochconservativen Gesinnungen des Tuilerienhofs niemals ganz auf; noch im Herbst 1847 nannte er den Bürgerkönig und seinen Minister Beide "Utopisten". In der That blieb Ludwig Philipp's Haltung gegenüber den Italienern immer zweideutig. Er versammelte zum Schutze der weltlichen Herrschaft des Papstthums insgeheim an der piemontesischen Grenze das kleine Heer, das zwei Jahre darauf wirklich in Rom einrücken sollte, und ließ den König Karl Albert von Sardinien, den er als geborenen Träger des italienischen Einheitsgedankens fürchtete, an den kleinen Höfen gründlich verdächtigen. Zugleich sendete er Flinten für die römische Nationalgarde und empfahl den Cabinetten der Halbinsel constitutionelle Reformen. In Rom vertrat ihn Graf Rossi, ein hochsinniger Carrarese, der in der Schweiz und in Paris als Staatsmann und Gelehrter im Sinne der französischen Doc- trinäre gewirkt hatte und jetzt die sonderbare Rolle eines Gesandten im eigenen Vaterlande spielte. Rossi hoffte auf den italienischen Fürstenbund unter päpstlichem Primat und mochte dem geliebten Pius wohl zuweilen mehr sagen als sein Minister billigen konnte. In Wien galt er für einen nichtswürdigen Jacobiner, und schon dieser eine Mann machte ein festes Einverständniß zwischen den beiden Höfen unmöglich. So konnte denn Palmerston prahlerisch als großmüthiger Beschützer *) Canitz's Bericht, 5. März 1845. v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 46
Italien und die Weſtmächte. Agenten Klindworth nach Wien um ein vollſtändiges Einverſtändniß vor-zubereiten, und im Kampfe gegen Italiens Einheit waren die beiden Höfe allerdings einig. Wie die Hofburg ihr lombardo-venetianiſches Königreich nur bei fortdauernder Unmündigkeit der Italiener behaupten konnte, ſo hielten die Tuilerien feſt an dem altfranzöſiſchen Grundſatze, daß Frank- reichs Macht auf der Nichtigkeit ſeiner Nachbarvölker beruhe; und zu Metternich’s Wohlgefallen beſchwor Guizot die Reformpartei der Halb- inſel, der Bewegung einen römiſchen, toscaniſchen, piemonteſiſchen Charakter zu bewahren, denn eine italieniſche Frage wäre die Revolution! Gleich- wohl konnte die Staatskunſt des franzöſiſchen Neides mit der Politik der öſterreichiſchen Herrſchſucht nicht vollkommen übereinſtimmen; der begehr- liche Wetteifer der beiden Nachbarmächte um die Vergewaltigung der Halb- inſel wurzelte zu tief in einer alten Geſchichte. Auch vermochte Ludwig Philipp, obgleich er jetzt immer „die Politik des Niederhaltens“ im Munde führte, den revolutionären Urſprung ſeines Regiments doch nicht ganz zu verleugnen. „Dieſe Regierung,“ ſo ſagte Metternich zu Canitz, „kann nicht ſtark ſein, wenn es die Revolution zu bekämpfen gilt; ſie kann ſich nicht mit uns auf eine Linie ſtellen, das wäre wider die Natur.“*) Und dieſen Argwohn gab er trotz der zur Schau getragenen hochconſervativen Geſinnungen des Tuilerienhofs niemals ganz auf; noch im Herbſt 1847 nannte er den Bürgerkönig und ſeinen Miniſter Beide „Utopiſten“. In der That blieb Ludwig Philipp’s Haltung gegenüber den Italienern immer zweideutig. Er verſammelte zum Schutze der weltlichen Herrſchaft des Papſtthums insgeheim an der piemonteſiſchen Grenze das kleine Heer, das zwei Jahre darauf wirklich in Rom einrücken ſollte, und ließ den König Karl Albert von Sardinien, den er als geborenen Träger des italieniſchen Einheitsgedankens fürchtete, an den kleinen Höfen gründlich verdächtigen. Zugleich ſendete er Flinten für die römiſche Nationalgarde und empfahl den Cabinetten der Halbinſel conſtitutionelle Reformen. In Rom vertrat ihn Graf Roſſi, ein hochſinniger Carrareſe, der in der Schweiz und in Paris als Staatsmann und Gelehrter im Sinne der franzöſiſchen Doc- trinäre gewirkt hatte und jetzt die ſonderbare Rolle eines Geſandten im eigenen Vaterlande ſpielte. Roſſi hoffte auf den italieniſchen Fürſtenbund unter päpſtlichem Primat und mochte dem geliebten Pius wohl zuweilen mehr ſagen als ſein Miniſter billigen konnte. In Wien galt er für einen nichtswürdigen Jacobiner, und ſchon dieſer eine Mann machte ein feſtes Einverſtändniß zwiſchen den beiden Höfen unmöglich. So konnte denn Palmerſton prahleriſch als großmüthiger Beſchützer *) Canitz’s Bericht, 5. März 1845. v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 46
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Italien und die Weſtmächte.
Agenten Klindworth nach Wien um ein vollſtändiges Einverſtändniß vor-
zubereiten, und im Kampfe gegen Italiens Einheit waren die beiden Höfe
allerdings einig. Wie die Hofburg ihr lombardo-venetianiſches Königreich
nur bei fortdauernder Unmündigkeit der Italiener behaupten konnte, ſo
hielten die Tuilerien feſt an dem altfranzöſiſchen Grundſatze, daß Frank-
reichs Macht auf der Nichtigkeit ſeiner Nachbarvölker beruhe; und zu
Metternich’s Wohlgefallen beſchwor Guizot die Reformpartei der Halb-
inſel, der Bewegung einen römiſchen, toscaniſchen, piemonteſiſchen Charakter
zu bewahren, denn eine italieniſche Frage wäre die Revolution! Gleich-
wohl konnte die Staatskunſt des franzöſiſchen Neides mit der Politik der
öſterreichiſchen Herrſchſucht nicht vollkommen übereinſtimmen; der begehr-
liche Wetteifer der beiden Nachbarmächte um die Vergewaltigung der Halb-
inſel wurzelte zu tief in einer alten Geſchichte. Auch vermochte Ludwig
Philipp, obgleich er jetzt immer „die Politik des Niederhaltens“ im Munde
führte, den revolutionären Urſprung ſeines Regiments doch nicht ganz
zu verleugnen. „Dieſe Regierung,“ ſo ſagte Metternich zu Canitz, „kann
nicht ſtark ſein, wenn es die Revolution zu bekämpfen gilt; ſie kann ſich
nicht mit uns auf eine Linie ſtellen, das wäre wider die Natur.“ *) Und
dieſen Argwohn gab er trotz der zur Schau getragenen hochconſervativen
Geſinnungen des Tuilerienhofs niemals ganz auf; noch im Herbſt 1847
nannte er den Bürgerkönig und ſeinen Miniſter Beide „Utopiſten“. In
der That blieb Ludwig Philipp’s Haltung gegenüber den Italienern immer
zweideutig. Er verſammelte zum Schutze der weltlichen Herrſchaft des
Papſtthums insgeheim an der piemonteſiſchen Grenze das kleine Heer, das
zwei Jahre darauf wirklich in Rom einrücken ſollte, und ließ den König
Karl Albert von Sardinien, den er als geborenen Träger des italieniſchen
Einheitsgedankens fürchtete, an den kleinen Höfen gründlich verdächtigen.
Zugleich ſendete er Flinten für die römiſche Nationalgarde und empfahl
den Cabinetten der Halbinſel conſtitutionelle Reformen. In Rom vertrat
ihn Graf Roſſi, ein hochſinniger Carrareſe, der in der Schweiz und in
Paris als Staatsmann und Gelehrter im Sinne der franzöſiſchen Doc-
trinäre gewirkt hatte und jetzt die ſonderbare Rolle eines Geſandten im
eigenen Vaterlande ſpielte. Roſſi hoffte auf den italieniſchen Fürſtenbund
unter päpſtlichem Primat und mochte dem geliebten Pius wohl zuweilen
mehr ſagen als ſein Miniſter billigen konnte. In Wien galt er für
einen nichtswürdigen Jacobiner, und ſchon dieſer eine Mann machte ein
feſtes Einverſtändniß zwiſchen den beiden Höfen unmöglich.
So konnte denn Palmerſton prahleriſch als großmüthiger Beſchützer
Italiens auftreten. Auch er wurde von dem hilfloſen Pius um Rath
angegangen, und der große katholiſche Kanzelredner Londons, Biſchof
Wiſeman, der die Anfrage überbrachte, deutete leiſe an, daß der Papſt
*) Canitz’s Bericht, 5. März 1845.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 46
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