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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
Fürsten vorzustellen: Müßiggang ist aller Laster Anfang, dies war bisher
das Loos der Landtage Oesterreichs; diese ersten Regungen ständischen
Willens sind ein Zeichen politischer Gesundung; eine conservative Politik
muß die Rechte der Stände anerkennen und gesetzlich regeln, damit sie als
Stütze, nicht als Hemmniß dienen.*) Auf Augenblicke fühlte auch Metter-
nich, daß man mit dem alten Systeme der Todtenstille nicht mehr weiter kam.
Durch Preußens Vorgang ermuthigt, veranstaltete die Regierung (1845)
die erste österreichische Gewerbeausstellung; in der kläglichen Eröffnungs-
rede des armen Kaisers war freilich weder von Oesterreich noch von einer
Staatsgesinnung die Rede. Gleich nachher erschien ein Folioband "Sta-
tistische Tabellen der österreichischen Monarchie", natürlich nur in wenigen
Exemplaren für die hohen Beamten; doch da die fremden Gesandten sich
sehr wißbegierig zeigten, so verfiel Metternich schon auf die verwegene
Frage, ob man den Band nicht dem Buchhandel anvertrauen solle.**) Es
war vorbei mit der alten patriarchalischen Gemüthlichkeit. Selbst der
Tyroler Landtag hallte von lebhaften Reden wieder seit die Clericalen
sich zu einer geschlossenen Partei geschaart hatten. Galizien blieb seit der
Einverleibung Krakaus in allen Tiefen aufgewühlt; drohender denn je
erklang das altnationale Sprichwort: so lange die Welt Welt bleibt, wird
der Pole nie des Deutschen Bruder.

Weit folgenreicher noch wurde die zugleich nationale und liberale
Bewegung in Böhmen. Die Czechen waren aus ihrem Schlummer längst
erwacht. Sie wendeten, wie alle wiedererstehenden Völker, ihre phantastische
Sehnsucht der ältesten Vorzeit zu und schwärmten, froh ihrer neu ent-
deckten, echten und gefälschten Geschichtsquellen, für ihre Königin Libussa, für
die siegreichen Bauernschlachten der Hussitenkriege, für König Podiebrad und
alle die anderen Helden des vormals ruhmreichsten aller Slavenvölker;
sie fanden in dem evangelischen Pfarrer Johann Kollar ihren ersten
Apostel, dann in Schaffarik, Hanka, Palacky begeisterte patriotische Ge-
lehrte, in Havlicek einen gewandten Publicisten, der durch herzzerreißende
Schilderungen des irischen Elends die Censur zu täuschen verstand, obgleich
alle seine Leser wußten, daß er unter Irland immer das Czechenland meinte.
Viele der mächtigen Condottierengeschlechter, welche Kaiser Ferdinand II. einst
in das unterworfene Böhmen verpflanzt hatte, wendeten sich dem Czechen-
thum zu, desgleichen ein großer Theil des Clerus, der ja immer, von seinem
sicheren Machtgefühle geleitet, für das minder gebildete Volksthum eintritt.
Den Deutschen aber gereichte zum Unheil, daß die Juden sich meist zu ihnen
hielten und nun der wüthende Judenhaß des ausgewucherten czechischen
Landvolks den Deutschenhaß noch verschärfte. Auf ihrer weit in das
deutsche Land hineingeschobenen Vorpostenstellung fühlten sich die Czechen

*) Canitz's Bericht, 15. Mai 1845.
**) Canitz's Bericht, 31. Mai 1845.

V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
Fürſten vorzuſtellen: Müßiggang iſt aller Laſter Anfang, dies war bisher
das Loos der Landtage Oeſterreichs; dieſe erſten Regungen ſtändiſchen
Willens ſind ein Zeichen politiſcher Geſundung; eine conſervative Politik
muß die Rechte der Stände anerkennen und geſetzlich regeln, damit ſie als
Stütze, nicht als Hemmniß dienen.*) Auf Augenblicke fühlte auch Metter-
nich, daß man mit dem alten Syſteme der Todtenſtille nicht mehr weiter kam.
Durch Preußens Vorgang ermuthigt, veranſtaltete die Regierung (1845)
die erſte öſterreichiſche Gewerbeausſtellung; in der kläglichen Eröffnungs-
rede des armen Kaiſers war freilich weder von Oeſterreich noch von einer
Staatsgeſinnung die Rede. Gleich nachher erſchien ein Folioband „Sta-
tiſtiſche Tabellen der öſterreichiſchen Monarchie“, natürlich nur in wenigen
Exemplaren für die hohen Beamten; doch da die fremden Geſandten ſich
ſehr wißbegierig zeigten, ſo verfiel Metternich ſchon auf die verwegene
Frage, ob man den Band nicht dem Buchhandel anvertrauen ſolle.**) Es
war vorbei mit der alten patriarchaliſchen Gemüthlichkeit. Selbſt der
Tyroler Landtag hallte von lebhaften Reden wieder ſeit die Clericalen
ſich zu einer geſchloſſenen Partei geſchaart hatten. Galizien blieb ſeit der
Einverleibung Krakaus in allen Tiefen aufgewühlt; drohender denn je
erklang das altnationale Sprichwort: ſo lange die Welt Welt bleibt, wird
der Pole nie des Deutſchen Bruder.

Weit folgenreicher noch wurde die zugleich nationale und liberale
Bewegung in Böhmen. Die Czechen waren aus ihrem Schlummer längſt
erwacht. Sie wendeten, wie alle wiedererſtehenden Völker, ihre phantaſtiſche
Sehnſucht der älteſten Vorzeit zu und ſchwärmten, froh ihrer neu ent-
deckten, echten und gefälſchten Geſchichtsquellen, für ihre Königin Libuſſa, für
die ſiegreichen Bauernſchlachten der Huſſitenkriege, für König Podiebrad und
alle die anderen Helden des vormals ruhmreichſten aller Slavenvölker;
ſie fanden in dem evangeliſchen Pfarrer Johann Kollar ihren erſten
Apoſtel, dann in Schaffarik, Hanka, Palacky begeiſterte patriotiſche Ge-
lehrte, in Havlicek einen gewandten Publiciſten, der durch herzzerreißende
Schilderungen des iriſchen Elends die Cenſur zu täuſchen verſtand, obgleich
alle ſeine Leſer wußten, daß er unter Irland immer das Czechenland meinte.
Viele der mächtigen Condottierengeſchlechter, welche Kaiſer Ferdinand II. einſt
in das unterworfene Böhmen verpflanzt hatte, wendeten ſich dem Czechen-
thum zu, desgleichen ein großer Theil des Clerus, der ja immer, von ſeinem
ſicheren Machtgefühle geleitet, für das minder gebildete Volksthum eintritt.
Den Deutſchen aber gereichte zum Unheil, daß die Juden ſich meiſt zu ihnen
hielten und nun der wüthende Judenhaß des ausgewucherten czechiſchen
Landvolks den Deutſchenhaß noch verſchärfte. Auf ihrer weit in das
deutſche Land hineingeſchobenen Vorpoſtenſtellung fühlten ſich die Czechen

*) Canitz’s Bericht, 15. Mai 1845.
**) Canitz’s Bericht, 31. Mai 1845.
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[712/0726] V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution. Fürſten vorzuſtellen: Müßiggang iſt aller Laſter Anfang, dies war bisher das Loos der Landtage Oeſterreichs; dieſe erſten Regungen ſtändiſchen Willens ſind ein Zeichen politiſcher Geſundung; eine conſervative Politik muß die Rechte der Stände anerkennen und geſetzlich regeln, damit ſie als Stütze, nicht als Hemmniß dienen. *) Auf Augenblicke fühlte auch Metter- nich, daß man mit dem alten Syſteme der Todtenſtille nicht mehr weiter kam. Durch Preußens Vorgang ermuthigt, veranſtaltete die Regierung (1845) die erſte öſterreichiſche Gewerbeausſtellung; in der kläglichen Eröffnungs- rede des armen Kaiſers war freilich weder von Oeſterreich noch von einer Staatsgeſinnung die Rede. Gleich nachher erſchien ein Folioband „Sta- tiſtiſche Tabellen der öſterreichiſchen Monarchie“, natürlich nur in wenigen Exemplaren für die hohen Beamten; doch da die fremden Geſandten ſich ſehr wißbegierig zeigten, ſo verfiel Metternich ſchon auf die verwegene Frage, ob man den Band nicht dem Buchhandel anvertrauen ſolle. **) Es war vorbei mit der alten patriarchaliſchen Gemüthlichkeit. Selbſt der Tyroler Landtag hallte von lebhaften Reden wieder ſeit die Clericalen ſich zu einer geſchloſſenen Partei geſchaart hatten. Galizien blieb ſeit der Einverleibung Krakaus in allen Tiefen aufgewühlt; drohender denn je erklang das altnationale Sprichwort: ſo lange die Welt Welt bleibt, wird der Pole nie des Deutſchen Bruder. Weit folgenreicher noch wurde die zugleich nationale und liberale Bewegung in Böhmen. Die Czechen waren aus ihrem Schlummer längſt erwacht. Sie wendeten, wie alle wiedererſtehenden Völker, ihre phantaſtiſche Sehnſucht der älteſten Vorzeit zu und ſchwärmten, froh ihrer neu ent- deckten, echten und gefälſchten Geſchichtsquellen, für ihre Königin Libuſſa, für die ſiegreichen Bauernſchlachten der Huſſitenkriege, für König Podiebrad und alle die anderen Helden des vormals ruhmreichſten aller Slavenvölker; ſie fanden in dem evangeliſchen Pfarrer Johann Kollar ihren erſten Apoſtel, dann in Schaffarik, Hanka, Palacky begeiſterte patriotiſche Ge- lehrte, in Havlicek einen gewandten Publiciſten, der durch herzzerreißende Schilderungen des iriſchen Elends die Cenſur zu täuſchen verſtand, obgleich alle ſeine Leſer wußten, daß er unter Irland immer das Czechenland meinte. Viele der mächtigen Condottierengeſchlechter, welche Kaiſer Ferdinand II. einſt in das unterworfene Böhmen verpflanzt hatte, wendeten ſich dem Czechen- thum zu, desgleichen ein großer Theil des Clerus, der ja immer, von ſeinem ſicheren Machtgefühle geleitet, für das minder gebildete Volksthum eintritt. Den Deutſchen aber gereichte zum Unheil, daß die Juden ſich meiſt zu ihnen hielten und nun der wüthende Judenhaß des ausgewucherten czechiſchen Landvolks den Deutſchenhaß noch verſchärfte. Auf ihrer weit in das deutſche Land hineingeſchobenen Vorpoſtenſtellung fühlten ſich die Czechen *) Canitz’s Bericht, 15. Mai 1845. **) Canitz’s Bericht, 31. Mai 1845.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 712. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/726>, abgerufen am 22.11.2024.