und das kleine Ruthenenvolk in Galizien. Während die subgermanischen Stämme der Magyaren, der Slaven, der Walachen, die ihre ganze Cul- tur den Deutschen verdankten, jetzt, zu jugendlichem Selbstgefühl erwacht, ihre alten Lehrer mit dem unvermeidlichen historischen Undank belohnten, besaßen die italienischen Provinzen längst ihre selbständige, der deutschen ebenbürtige Cultur, sie blieben dem Gesammtstaate ganz fremd und waren nicht einmal, wie die Donaulande, durch eine geographische Nothwendig- keit auf die anderen Kronländer angewiesen.
In Preußen hatte der kurze Vereinigte Landtag das Bewußtsein der Staatseinheit wunderbar gekräftigt; in Oesterreich konnten dieselben Ge- danken, welche den nationalen Staat Preußen stärkten, dem Bestande des Reichs nur gefährlich werden. Diesen einfachen Unterschied verkannte Metternich ganz, da er von nationalen Empfindungen nichts wissen wollte; er betrachtete Preußen, Oesterreich-Ungarn, Schweden-Norwegen, Däne- mark-Holstein als wesentlich gleichartige zusammengesetzte Staaten, deren Einheit nur durch die Gesammtregierung dargestellt würde. Freiherr v. Andrian aber, ein Tyroler Edelmann von gemäßigt-liberaler Gesinnung, der "die Hervorrufung einer österreichischen Nationalität" dringend wünschte, sprach in seinem vielgelesenen Buche "Oesterreich und dessen Zukunft" (1841) ehrlich aus: was in Oesterreich Macht hat ist nicht das Volk und die öffentliche Meinung, nicht der Adel, auch nicht die Bureaukratie, am wenigsten von allen der Kaiser, sondern die Gewohnheit. So stand es wirklich. Das greisenhafte Triumvirat der Staatsconferenz, das im Namen des blödsinnigen Kaisers regierte, gab kaum noch ein Lebenszeichen von sich. Der bequeme Erzherzog Ludwig fand Metternich's lange lehr- hafte Vorträge sehr lästig, Graf Kolowrat aber begegnete dem Staats- kanzler mit einem Hasse, der sich kaum noch in den Schranken gesell- schaftlicher Höflichkeit hielt. Nach stillschweigender Uebereinkunft der Trium- virn wurden die Berathungen der Staatsconferenz immer seltener, die Dinge schleppten sich weiter ohne eine wirkliche Regierung. Die Nichtig- keit der Centralgewalt war so unheilbar, daß der Statthalter des Küsten- landes, der geistreiche Graf Franz Stadion sich endlich entschloß, seinem Kronlande auf eigene Faust die dringend nöthige neue Gemeindeordnung zu verleihen, weil aus Wien doch keine Antwort kam. Zugleich wuchs am Hofe die Macht der streng ultramontan gesinnten Damen. Die beiden bairischen Schwestern, die Kaiserin Wittwe und die Erzherzogin Sophie gewannen auch die bescheidene Gemahlin des regierenden Kaisers für sich; sie bewirkten, daß die Verlobung des Erzherzogs Stephan mit der Groß- fürstin Olga nicht zu Stande kam, weil sie keine akatholische Erzherzogin dulden wollten*); sie erzwangen, daß Metternich, ganz gegen seine früheren
*) Diese an den Höfen allgemein verbreitete Ansicht wird auch in du Thil's Denk- würdigkeiten ausgesprochen.
V. 10. Vorboten der europäiſchen Revolution.
und das kleine Ruthenenvolk in Galizien. Während die ſubgermaniſchen Stämme der Magyaren, der Slaven, der Walachen, die ihre ganze Cul- tur den Deutſchen verdankten, jetzt, zu jugendlichem Selbſtgefühl erwacht, ihre alten Lehrer mit dem unvermeidlichen hiſtoriſchen Undank belohnten, beſaßen die italieniſchen Provinzen längſt ihre ſelbſtändige, der deutſchen ebenbürtige Cultur, ſie blieben dem Geſammtſtaate ganz fremd und waren nicht einmal, wie die Donaulande, durch eine geographiſche Nothwendig- keit auf die anderen Kronländer angewieſen.
In Preußen hatte der kurze Vereinigte Landtag das Bewußtſein der Staatseinheit wunderbar gekräftigt; in Oeſterreich konnten dieſelben Ge- danken, welche den nationalen Staat Preußen ſtärkten, dem Beſtande des Reichs nur gefährlich werden. Dieſen einfachen Unterſchied verkannte Metternich ganz, da er von nationalen Empfindungen nichts wiſſen wollte; er betrachtete Preußen, Oeſterreich-Ungarn, Schweden-Norwegen, Däne- mark-Holſtein als weſentlich gleichartige zuſammengeſetzte Staaten, deren Einheit nur durch die Geſammtregierung dargeſtellt würde. Freiherr v. Andrian aber, ein Tyroler Edelmann von gemäßigt-liberaler Geſinnung, der „die Hervorrufung einer öſterreichiſchen Nationalität“ dringend wünſchte, ſprach in ſeinem vielgeleſenen Buche „Oeſterreich und deſſen Zukunft“ (1841) ehrlich aus: was in Oeſterreich Macht hat iſt nicht das Volk und die öffentliche Meinung, nicht der Adel, auch nicht die Bureaukratie, am wenigſten von allen der Kaiſer, ſondern die Gewohnheit. So ſtand es wirklich. Das greiſenhafte Triumvirat der Staatsconferenz, das im Namen des blödſinnigen Kaiſers regierte, gab kaum noch ein Lebenszeichen von ſich. Der bequeme Erzherzog Ludwig fand Metternich’s lange lehr- hafte Vorträge ſehr läſtig, Graf Kolowrat aber begegnete dem Staats- kanzler mit einem Haſſe, der ſich kaum noch in den Schranken geſell- ſchaftlicher Höflichkeit hielt. Nach ſtillſchweigender Uebereinkunft der Trium- virn wurden die Berathungen der Staatsconferenz immer ſeltener, die Dinge ſchleppten ſich weiter ohne eine wirkliche Regierung. Die Nichtig- keit der Centralgewalt war ſo unheilbar, daß der Statthalter des Küſten- landes, der geiſtreiche Graf Franz Stadion ſich endlich entſchloß, ſeinem Kronlande auf eigene Fauſt die dringend nöthige neue Gemeindeordnung zu verleihen, weil aus Wien doch keine Antwort kam. Zugleich wuchs am Hofe die Macht der ſtreng ultramontan geſinnten Damen. Die beiden bairiſchen Schweſtern, die Kaiſerin Wittwe und die Erzherzogin Sophie gewannen auch die beſcheidene Gemahlin des regierenden Kaiſers für ſich; ſie bewirkten, daß die Verlobung des Erzherzogs Stephan mit der Groß- fürſtin Olga nicht zu Stande kam, weil ſie keine akatholiſche Erzherzogin dulden wollten*); ſie erzwangen, daß Metternich, ganz gegen ſeine früheren
*) Dieſe an den Höfen allgemein verbreitete Anſicht wird auch in du Thil’s Denk- würdigkeiten ausgeſprochen.
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und das kleine Ruthenenvolk in Galizien. Während die ſubgermaniſchen
Stämme der Magyaren, der Slaven, der Walachen, die ihre ganze Cul-
tur den Deutſchen verdankten, jetzt, zu jugendlichem Selbſtgefühl erwacht,
ihre alten Lehrer mit dem unvermeidlichen hiſtoriſchen Undank belohnten,
beſaßen die italieniſchen Provinzen längſt ihre ſelbſtändige, der deutſchen
ebenbürtige Cultur, ſie blieben dem Geſammtſtaate ganz fremd und waren
nicht einmal, wie die Donaulande, durch eine geographiſche Nothwendig-
keit auf die anderen Kronländer angewieſen.
In Preußen hatte der kurze Vereinigte Landtag das Bewußtſein der
Staatseinheit wunderbar gekräftigt; in Oeſterreich konnten dieſelben Ge-
danken, welche den nationalen Staat Preußen ſtärkten, dem Beſtande des
Reichs nur gefährlich werden. Dieſen einfachen Unterſchied verkannte
Metternich ganz, da er von nationalen Empfindungen nichts wiſſen wollte;
er betrachtete Preußen, Oeſterreich-Ungarn, Schweden-Norwegen, Däne-
mark-Holſtein als weſentlich gleichartige zuſammengeſetzte Staaten, deren
Einheit nur durch die Geſammtregierung dargeſtellt würde. Freiherr
v. Andrian aber, ein Tyroler Edelmann von gemäßigt-liberaler Geſinnung,
der „die Hervorrufung einer öſterreichiſchen Nationalität“ dringend wünſchte,
ſprach in ſeinem vielgeleſenen Buche „Oeſterreich und deſſen Zukunft“
(1841) ehrlich aus: was in Oeſterreich Macht hat iſt nicht das Volk und
die öffentliche Meinung, nicht der Adel, auch nicht die Bureaukratie, am
wenigſten von allen der Kaiſer, ſondern die Gewohnheit. So ſtand es
wirklich. Das greiſenhafte Triumvirat der Staatsconferenz, das im
Namen des blödſinnigen Kaiſers regierte, gab kaum noch ein Lebenszeichen
von ſich. Der bequeme Erzherzog Ludwig fand Metternich’s lange lehr-
hafte Vorträge ſehr läſtig, Graf Kolowrat aber begegnete dem Staats-
kanzler mit einem Haſſe, der ſich kaum noch in den Schranken geſell-
ſchaftlicher Höflichkeit hielt. Nach ſtillſchweigender Uebereinkunft der Trium-
virn wurden die Berathungen der Staatsconferenz immer ſeltener, die
Dinge ſchleppten ſich weiter ohne eine wirkliche Regierung. Die Nichtig-
keit der Centralgewalt war ſo unheilbar, daß der Statthalter des Küſten-
landes, der geiſtreiche Graf Franz Stadion ſich endlich entſchloß, ſeinem
Kronlande auf eigene Fauſt die dringend nöthige neue Gemeindeordnung
zu verleihen, weil aus Wien doch keine Antwort kam. Zugleich wuchs
am Hofe die Macht der ſtreng ultramontan geſinnten Damen. Die beiden
bairiſchen Schweſtern, die Kaiſerin Wittwe und die Erzherzogin Sophie
gewannen auch die beſcheidene Gemahlin des regierenden Kaiſers für ſich;
ſie bewirkten, daß die Verlobung des Erzherzogs Stephan mit der Groß-
fürſtin Olga nicht zu Stande kam, weil ſie keine akatholiſche Erzherzogin
dulden wollten *); ſie erzwangen, daß Metternich, ganz gegen ſeine früheren
*) Dieſe an den Höfen allgemein verbreitete Anſicht wird auch in du Thil’s Denk-
würdigkeiten ausgeſprochen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/724>, abgerufen am 22.11.2024.
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