es in seiner Entwicklung fördert, dann straft die Zeit." In dieser nach- drücklichen Mahnung und in der Persönlichkeit des Verfassers lag die einzige Bedeutung der Blätter; von eigenthümlichen Gedanken enthielten sie nichts, und obwohl die beständigen Ausfälle auf "die Dienerschaft" un- verkennbar auf Friedrich Wilhelm's persönliche Abneigung berechnet waren, so mußten doch der absprechende Ton der Darstellung, die hochmüthige Verunglimpfung der gesammten Vergangenheit Preußens, und vollends gar die Berufung auf die heidnischen Junghegelianer den König in tiefster Seele verletzen. Darum meinte sein Vertrauter Geh. Rath v. Voß, als er mit Erstaunen den Namen des Verfassers erfahren hatte: "Ich fand die Schrift sehr albern und rieth auf einen Querkopf von Gutsbesitzer. Aus Schön's Stellung heraus liegt aber in der Abfassung einer solchen Schrift etwas völlig Verrücktes, und das hat mir ganz melancholische Empfindungen gemacht."*)
Aber wie ungeschickt immer, diese Blätter waren zweifellos Schön's Ministerprogramm; er wollte dadurch entweder den König gewinnen, oder, wenn dies mißlang, durch die Forderung der Reichsstände ein weithin leuchtendes Panier aufstecken, das die zerfahrene, rathlose Opposition des Landes um sich sammeln sollte. Der Gedanke war wohl berechtigt, nur mit der Stellung eines Oberpräsidenten kaum vereinbar. Späterhin be- hauptete Schön freilich, sein Woher und Wohin? hätte nur als eine ge- schichtliche Urkunde dienen sollen, um den Culturstand des Königreichs Preußen im Jahre 1840 der Nachwelt zu überliefern. Doch unmöglich konnte der welterfahrene alte Staatsmann glauben, eine solche Schrift von sol- chem Verfasser würde auf die Dauer geheim bleiben, nachdem sie in der Königsberger Hofbuchdruckerei gedruckt, an mehrere Archive vertheilt und fünf Freunden von sehr verschiedener politischer Gesinnung vertraulich zugesendet worden war. Der König selbst hielt diese Geheimhaltung für undenkbar und antwortete dem Oberpräsidenten am 26. Dec. sehr offen- herzig, jetzt sei eine Prüfungszeit für ihre alte Freundschaft eingetreten. "Woher und Wohin? gefällt mir nicht." Das Woher, die historische Darstellung hätte so kurz nach dem Tode des alten Königs anders ge- faßt werden müssen; das Wohin aber "wird Ihren Freunden Leid, Ihren Feinden Frohlocken bereiten". Dann hielt er ihm alle die unbedachten liberalen Redensarten der Schrift vor: daß die Landwehr wie ein Heer der Volksvertreter dem Heere der Krone entgegengestellt würde, daß die Generalstände sich die Verwaltung zueignen sollten: "die Perspektive ist ermuthigend für mich!" Darauf betonte er nochmals den Grundgedanken seiner über allem Unterthanen-Vorwitz erhabenen Politik: "Ich fühle mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich so mit Seiner Hilfe bis zum Ende fühlen. Glauben Sie mir's auf mein königliches
*) Voß an Thile, 31. Dec. 1840.
Woher und Wohin?
es in ſeiner Entwicklung fördert, dann ſtraft die Zeit.“ In dieſer nach- drücklichen Mahnung und in der Perſönlichkeit des Verfaſſers lag die einzige Bedeutung der Blätter; von eigenthümlichen Gedanken enthielten ſie nichts, und obwohl die beſtändigen Ausfälle auf „die Dienerſchaft“ un- verkennbar auf Friedrich Wilhelm’s perſönliche Abneigung berechnet waren, ſo mußten doch der abſprechende Ton der Darſtellung, die hochmüthige Verunglimpfung der geſammten Vergangenheit Preußens, und vollends gar die Berufung auf die heidniſchen Junghegelianer den König in tiefſter Seele verletzen. Darum meinte ſein Vertrauter Geh. Rath v. Voß, als er mit Erſtaunen den Namen des Verfaſſers erfahren hatte: „Ich fand die Schrift ſehr albern und rieth auf einen Querkopf von Gutsbeſitzer. Aus Schön’s Stellung heraus liegt aber in der Abfaſſung einer ſolchen Schrift etwas völlig Verrücktes, und das hat mir ganz melancholiſche Empfindungen gemacht.“*)
Aber wie ungeſchickt immer, dieſe Blätter waren zweifellos Schön’s Miniſterprogramm; er wollte dadurch entweder den König gewinnen, oder, wenn dies mißlang, durch die Forderung der Reichsſtände ein weithin leuchtendes Panier aufſtecken, das die zerfahrene, rathloſe Oppoſition des Landes um ſich ſammeln ſollte. Der Gedanke war wohl berechtigt, nur mit der Stellung eines Oberpräſidenten kaum vereinbar. Späterhin be- hauptete Schön freilich, ſein Woher und Wohin? hätte nur als eine ge- ſchichtliche Urkunde dienen ſollen, um den Culturſtand des Königreichs Preußen im Jahre 1840 der Nachwelt zu überliefern. Doch unmöglich konnte der welterfahrene alte Staatsmann glauben, eine ſolche Schrift von ſol- chem Verfaſſer würde auf die Dauer geheim bleiben, nachdem ſie in der Königsberger Hofbuchdruckerei gedruckt, an mehrere Archive vertheilt und fünf Freunden von ſehr verſchiedener politiſcher Geſinnung vertraulich zugeſendet worden war. Der König ſelbſt hielt dieſe Geheimhaltung für undenkbar und antwortete dem Oberpräſidenten am 26. Dec. ſehr offen- herzig, jetzt ſei eine Prüfungszeit für ihre alte Freundſchaft eingetreten. „Woher und Wohin? gefällt mir nicht.“ Das Woher, die hiſtoriſche Darſtellung hätte ſo kurz nach dem Tode des alten Königs anders ge- faßt werden müſſen; das Wohin aber „wird Ihren Freunden Leid, Ihren Feinden Frohlocken bereiten“. Dann hielt er ihm alle die unbedachten liberalen Redensarten der Schrift vor: daß die Landwehr wie ein Heer der Volksvertreter dem Heere der Krone entgegengeſtellt würde, daß die Generalſtände ſich die Verwaltung zueignen ſollten: „die Perſpektive iſt ermuthigend für mich!“ Darauf betonte er nochmals den Grundgedanken ſeiner über allem Unterthanen-Vorwitz erhabenen Politik: „Ich fühle mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich ſo mit Seiner Hilfe bis zum Ende fühlen. Glauben Sie mir’s auf mein königliches
*) Voß an Thile, 31. Dec. 1840.
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es in ſeiner Entwicklung fördert, dann ſtraft die Zeit.“ In dieſer nach-
drücklichen Mahnung und in der Perſönlichkeit des Verfaſſers lag die
einzige Bedeutung der Blätter; von eigenthümlichen Gedanken enthielten
ſie nichts, und obwohl die beſtändigen Ausfälle auf „die Dienerſchaft“ un-
verkennbar auf Friedrich Wilhelm’s perſönliche Abneigung berechnet waren,
ſo mußten doch der abſprechende Ton der Darſtellung, die hochmüthige
Verunglimpfung der geſammten Vergangenheit Preußens, und vollends
gar die Berufung auf die heidniſchen Junghegelianer den König in tiefſter
Seele verletzen. Darum meinte ſein Vertrauter Geh. Rath v. Voß, als
er mit Erſtaunen den Namen des Verfaſſers erfahren hatte: „Ich fand
die Schrift ſehr albern und rieth auf einen Querkopf von Gutsbeſitzer.
Aus Schön’s Stellung heraus liegt aber in der Abfaſſung einer ſolchen
Schrift etwas völlig Verrücktes, und das hat mir ganz melancholiſche
Empfindungen gemacht.“ *)
Aber wie ungeſchickt immer, dieſe Blätter waren zweifellos Schön’s
Miniſterprogramm; er wollte dadurch entweder den König gewinnen, oder,
wenn dies mißlang, durch die Forderung der Reichsſtände ein weithin
leuchtendes Panier aufſtecken, das die zerfahrene, rathloſe Oppoſition des
Landes um ſich ſammeln ſollte. Der Gedanke war wohl berechtigt, nur
mit der Stellung eines Oberpräſidenten kaum vereinbar. Späterhin be-
hauptete Schön freilich, ſein Woher und Wohin? hätte nur als eine ge-
ſchichtliche Urkunde dienen ſollen, um den Culturſtand des Königreichs Preußen
im Jahre 1840 der Nachwelt zu überliefern. Doch unmöglich konnte
der welterfahrene alte Staatsmann glauben, eine ſolche Schrift von ſol-
chem Verfaſſer würde auf die Dauer geheim bleiben, nachdem ſie in der
Königsberger Hofbuchdruckerei gedruckt, an mehrere Archive vertheilt und
fünf Freunden von ſehr verſchiedener politiſcher Geſinnung vertraulich
zugeſendet worden war. Der König ſelbſt hielt dieſe Geheimhaltung für
undenkbar und antwortete dem Oberpräſidenten am 26. Dec. ſehr offen-
herzig, jetzt ſei eine Prüfungszeit für ihre alte Freundſchaft eingetreten.
„Woher und Wohin? gefällt mir nicht.“ Das Woher, die hiſtoriſche
Darſtellung hätte ſo kurz nach dem Tode des alten Königs anders ge-
faßt werden müſſen; das Wohin aber „wird Ihren Freunden Leid, Ihren
Feinden Frohlocken bereiten“. Dann hielt er ihm alle die unbedachten
liberalen Redensarten der Schrift vor: daß die Landwehr wie ein Heer
der Volksvertreter dem Heere der Krone entgegengeſtellt würde, daß die
Generalſtände ſich die Verwaltung zueignen ſollten: „die Perſpektive iſt
ermuthigend für mich!“ Darauf betonte er nochmals den Grundgedanken
ſeiner über allem Unterthanen-Vorwitz erhabenen Politik: „Ich fühle
mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich ſo mit Seiner
Hilfe bis zum Ende fühlen. Glauben Sie mir’s auf mein königliches
*) Voß an Thile, 31. Dec. 1840.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/71>, abgerufen am 23.11.2024.
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