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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Prinz Albert's Denkschrift. Preußens Absichten.
Deutschland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der
zur Zeit in Coburg weilte, war unzufrieden; sein deutscher Stolz, den er
trotz seiner seltsamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte
sich wider die Zudringlichkeit des Prinz-Gemahls auf, und er schrieb
freimüthig: wer sich so lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere
das Recht mitzurathen. Dann redete er dem geliebten Zögling, dessen
starren Dynastendünkel er wohl kannte, kräftig in's Gewissen: die deut-
schen Fürstenhäuser bedürften heute vor Allem ernster Selbsterkenntniß,
denn sie hätten durch Verrath und Ungehorsam das alte Reich zerstört,
das Vaterland zerrissen; sie würden von einem großen Theile der Nation
als Feinde der deutschen Einheit gehaßt, sie müßten endlich einsehen, daß
die anti-dynastische Gesinnung sich in immer weiteren Kreisen verbreite.
Goldene Worte. Doch der Prinz ließ sich nicht beirren; er sendete seine
und seines Schwagers Denkschriften durch Bunsen's Vermittlung dem
Berliner Hofe.

Da ergab sich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von
Oesterreich, daß die Rückkehr zur fridericianischen Politik von Niemand
tiefer verabscheut wurde als von König Friedrich Wilhelm selbst. Durch
Leiningen's Vorschläge wurde er, wie er an Bunsen schrieb, "fast empört.
Der Schwager will Oesterreich aus dem Bunde sachte entfernen, einen
Bund im Bunde gegen den Bund (also Treubruch!), und dieser Wirth-
schaft soll ich quasi gezwungen werden mich anzunehmen und den Wün-
schen dieser Esel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortschrittes
erheben." Dies blieb seine heilige Ueberzeugung, und sie sollte für den
Verlauf der deutschen Revolution verhängnißvoll werden. Durchaus nur
als der Zweite, als kaiserlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte
er in dem kaiserlosen Deutschen Bunde auftreten; was der große König
einst darüber hinaus geplant hatte war dem Nachkommen eitel Ver-
rath; "ich will Oesterreich den Steigbügel halten," sagte er oft. Besser
gefielen dem Könige die friedfertigen und unbestimmten Gedanken des
Prinz-Gemahls, obgleich er eine scharfe Bemerkung über das Sitzen
am Tische fern von Deutschland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei
Vorschläge verwahrte er sich ernstlich. Auch er wollte die deutsche Freiheit,
doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. "Eine einzige wunderbare
Kunst versteht der vulgäre Liberalismus a la Hansemann und Consorten,
die nämlich, ein Volk dumm und böse zu machen. Darin hat er, wie
überhaupt in so Vielem, von den Jesuiten gelernt und übertrifft sie bei
Weitem. Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutschland verstänkert,
ist eine Gattungs-Religion, eine Durchgangs-Religion, die sich auf das
Christenthum aufsetzt, wie man einst Ludwig XVI. die Galeerensklaven-
Mütze aufsetzte um seine Salbung zu verwischen; und sie ist ein Aberglaube
verächtlichster Art, da sie eine Volkswillens-Anbetung als ihr Wesen predigt,
ein Götzendienst hundertmal ärger als der des Baal und der Astarte, denn

Prinz Albert’s Denkſchrift. Preußens Abſichten.
Deutſchland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der
zur Zeit in Coburg weilte, war unzufrieden; ſein deutſcher Stolz, den er
trotz ſeiner ſeltſamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte
ſich wider die Zudringlichkeit des Prinz-Gemahls auf, und er ſchrieb
freimüthig: wer ſich ſo lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere
das Recht mitzurathen. Dann redete er dem geliebten Zögling, deſſen
ſtarren Dynaſtendünkel er wohl kannte, kräftig in’s Gewiſſen: die deut-
ſchen Fürſtenhäuſer bedürften heute vor Allem ernſter Selbſterkenntniß,
denn ſie hätten durch Verrath und Ungehorſam das alte Reich zerſtört,
das Vaterland zerriſſen; ſie würden von einem großen Theile der Nation
als Feinde der deutſchen Einheit gehaßt, ſie müßten endlich einſehen, daß
die anti-dynaſtiſche Geſinnung ſich in immer weiteren Kreiſen verbreite.
Goldene Worte. Doch der Prinz ließ ſich nicht beirren; er ſendete ſeine
und ſeines Schwagers Denkſchriften durch Bunſen’s Vermittlung dem
Berliner Hofe.

Da ergab ſich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von
Oeſterreich, daß die Rückkehr zur fridericianiſchen Politik von Niemand
tiefer verabſcheut wurde als von König Friedrich Wilhelm ſelbſt. Durch
Leiningen’s Vorſchläge wurde er, wie er an Bunſen ſchrieb, „faſt empört.
Der Schwager will Oeſterreich aus dem Bunde ſachte entfernen, einen
Bund im Bunde gegen den Bund (alſo Treubruch!), und dieſer Wirth-
ſchaft ſoll ich quasi gezwungen werden mich anzunehmen und den Wün-
ſchen dieſer Eſel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortſchrittes
erheben.“ Dies blieb ſeine heilige Ueberzeugung, und ſie ſollte für den
Verlauf der deutſchen Revolution verhängnißvoll werden. Durchaus nur
als der Zweite, als kaiſerlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte
er in dem kaiſerloſen Deutſchen Bunde auftreten; was der große König
einſt darüber hinaus geplant hatte war dem Nachkommen eitel Ver-
rath; „ich will Oeſterreich den Steigbügel halten,“ ſagte er oft. Beſſer
gefielen dem Könige die friedfertigen und unbeſtimmten Gedanken des
Prinz-Gemahls, obgleich er eine ſcharfe Bemerkung über das Sitzen
am Tiſche fern von Deutſchland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei
Vorſchläge verwahrte er ſich ernſtlich. Auch er wollte die deutſche Freiheit,
doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. „Eine einzige wunderbare
Kunſt verſteht der vulgäre Liberalismus à la Hanſemann und Conſorten,
die nämlich, ein Volk dumm und böſe zu machen. Darin hat er, wie
überhaupt in ſo Vielem, von den Jeſuiten gelernt und übertrifft ſie bei
Weitem. Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutſchland verſtänkert,
iſt eine Gattungs-Religion, eine Durchgangs-Religion, die ſich auf das
Chriſtenthum aufſetzt, wie man einſt Ludwig XVI. die Galeerenſklaven-
Mütze aufſetzte um ſeine Salbung zu verwiſchen; und ſie iſt ein Aberglaube
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[693/0707] Prinz Albert’s Denkſchrift. Preußens Abſichten. Deutſchland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der zur Zeit in Coburg weilte, war unzufrieden; ſein deutſcher Stolz, den er trotz ſeiner ſeltſamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte ſich wider die Zudringlichkeit des Prinz-Gemahls auf, und er ſchrieb freimüthig: wer ſich ſo lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere das Recht mitzurathen. Dann redete er dem geliebten Zögling, deſſen ſtarren Dynaſtendünkel er wohl kannte, kräftig in’s Gewiſſen: die deut- ſchen Fürſtenhäuſer bedürften heute vor Allem ernſter Selbſterkenntniß, denn ſie hätten durch Verrath und Ungehorſam das alte Reich zerſtört, das Vaterland zerriſſen; ſie würden von einem großen Theile der Nation als Feinde der deutſchen Einheit gehaßt, ſie müßten endlich einſehen, daß die anti-dynaſtiſche Geſinnung ſich in immer weiteren Kreiſen verbreite. Goldene Worte. Doch der Prinz ließ ſich nicht beirren; er ſendete ſeine und ſeines Schwagers Denkſchriften durch Bunſen’s Vermittlung dem Berliner Hofe. Da ergab ſich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von Oeſterreich, daß die Rückkehr zur fridericianiſchen Politik von Niemand tiefer verabſcheut wurde als von König Friedrich Wilhelm ſelbſt. Durch Leiningen’s Vorſchläge wurde er, wie er an Bunſen ſchrieb, „faſt empört. Der Schwager will Oeſterreich aus dem Bunde ſachte entfernen, einen Bund im Bunde gegen den Bund (alſo Treubruch!), und dieſer Wirth- ſchaft ſoll ich quasi gezwungen werden mich anzunehmen und den Wün- ſchen dieſer Eſel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortſchrittes erheben.“ Dies blieb ſeine heilige Ueberzeugung, und ſie ſollte für den Verlauf der deutſchen Revolution verhängnißvoll werden. Durchaus nur als der Zweite, als kaiſerlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte er in dem kaiſerloſen Deutſchen Bunde auftreten; was der große König einſt darüber hinaus geplant hatte war dem Nachkommen eitel Ver- rath; „ich will Oeſterreich den Steigbügel halten,“ ſagte er oft. Beſſer gefielen dem Könige die friedfertigen und unbeſtimmten Gedanken des Prinz-Gemahls, obgleich er eine ſcharfe Bemerkung über das Sitzen am Tiſche fern von Deutſchland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei Vorſchläge verwahrte er ſich ernſtlich. Auch er wollte die deutſche Freiheit, doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. „Eine einzige wunderbare Kunſt verſteht der vulgäre Liberalismus à la Hanſemann und Conſorten, die nämlich, ein Volk dumm und böſe zu machen. Darin hat er, wie überhaupt in ſo Vielem, von den Jeſuiten gelernt und übertrifft ſie bei Weitem. Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutſchland verſtänkert, iſt eine Gattungs-Religion, eine Durchgangs-Religion, die ſich auf das Chriſtenthum aufſetzt, wie man einſt Ludwig XVI. die Galeerenſklaven- Mütze aufſetzte um ſeine Salbung zu verwiſchen; und ſie iſt ein Aberglaube verächtlichſter Art, da ſie eine Volkswillens-Anbetung als ihr Weſen predigt, ein Götzendienſt hundertmal ärger als der des Baal und der Aſtarte, denn

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/707>, abgerufen am 22.11.2024.