Hanauer Kirchhofe die Leiche eines unbescholtenen deutschkatholischen Bürgers wieder ausgraben und dann an der Mauer verscharren. Die Narren- streiche der hessischen Censur fanden jetzt, da man überall milder ward, nur noch in Oesterreich ihres gleichen. Ueber die Geschenke, welche die Mutter des Kurprinzen der Stadt Cassel vermacht hatte, durften die längst gezähmten Zeitungen kein Wort sagen. Ein liberaler Marburger Buch- händler konnte von der Regierung nicht erlangen, daß sie ihm für eine geplante statistische Zeitschrift einen Censor gab, und mußte schließlich, zum allgemeinen Ergötzen, eine "Klage auf Bestellung eines Censors" einreichen, denn ohne Censur durfte das Blatt nicht erscheinen. Besonders aufreizend erschien der Polizei das alberne bei den jungdeutschen Radicalen beliebte Zerrbild des deutschen Michels. Wo immer dies Bild sich zeigte, in Zei- tungen oder Flugschriften, da ward es unnachsichtlich confiscirt, und der witzige liberale Rechtsanwalt Friedrich Oetker sah sich genöthigt, einmal im Auftrage mehrerer Buchhändler eine Beschwerdeschrift "wegen sieben deutscher Michel" auszuarbeiten.
Doch was wollten solche Lächerlichkeiten bedeuten neben dem furcht- baren, das ganze Land erregenden Schicksale Silvester Jordan's. Viele Jahre lang hatten die Polizeibehörden insgeheim Stoff gesammelt, um dem Vater der hessischen Verfassung nachzuweisen, daß er bei dem Frank- furter Wachensturme und den anderen Verschwörungen jener längst ver- schollenen Tage mitgewirkt hätte; als sie endlich der Beweise genug zu haben glaubten, wurde Jordan (Aug. 1839) unter der Anklage des Hoch- verraths auf das Marburger Bergschloß abgeführt. Da saß er nun in langer, schwerer Haft und blickte hernieder auf die Stadt, die ihn einst mit fürstlichen Ehren empfangen hatte. Noch einmal fiel er in eine Grube, die er sich mit eigenen Händen gegraben. Er selber hatte einst, um ver- fassungsfeindliche Minister sicher zu knebeln, in die Verfassung den Art. 126 hineingebracht, der bei Anklagen auf Verfassungsverletzung sowohl die Niederschlagung wie die Begnadigung untersagte; folglich konnte das Verfahren gegen ihn selbst, einmal begonnen, nicht mehr aufgehalten werden. Da seine Gesundheit in dem Thurme droben schwer gelitten hatte, so erlaubte man ihm endlich, unter strenger Bewachung in der Stadt zu leben, doch erst im Jahre 1843 erfolgte der Richterspruch, der ihn "wegen Nichthinderung hochverrätherischer Unternehmungen" verur- theilte. Er appellirte, und das allezeit nach oben wie nach unten furcht- lose Oberappellationsgericht sprach ihn im October 1845 gänzlich frei.
Die Belastungszeugen waren meist verdächtige Leute, und ganz un- zweifelhaft ergab sich, daß die windigen deutschen und polnischen Demagogen, die zu jener Zeit bei ihm eingekehrt waren, seinen sowie viele andere ge- achtete Namen mißbraucht hatten um neue Genossen zu werben. Von einigen thörichten Anschlägen mochte er damals wohl gehört haben; doch wie durfte man ihn tadeln, wenn er diese hirnverbrannte Rederei keiner Beachtung
Miniſterium Scheffer. Proceß Jordan.
Hanauer Kirchhofe die Leiche eines unbeſcholtenen deutſchkatholiſchen Bürgers wieder ausgraben und dann an der Mauer verſcharren. Die Narren- ſtreiche der heſſiſchen Cenſur fanden jetzt, da man überall milder ward, nur noch in Oeſterreich ihres gleichen. Ueber die Geſchenke, welche die Mutter des Kurprinzen der Stadt Caſſel vermacht hatte, durften die längſt gezähmten Zeitungen kein Wort ſagen. Ein liberaler Marburger Buch- händler konnte von der Regierung nicht erlangen, daß ſie ihm für eine geplante ſtatiſtiſche Zeitſchrift einen Cenſor gab, und mußte ſchließlich, zum allgemeinen Ergötzen, eine „Klage auf Beſtellung eines Cenſors“ einreichen, denn ohne Cenſur durfte das Blatt nicht erſcheinen. Beſonders aufreizend erſchien der Polizei das alberne bei den jungdeutſchen Radicalen beliebte Zerrbild des deutſchen Michels. Wo immer dies Bild ſich zeigte, in Zei- tungen oder Flugſchriften, da ward es unnachſichtlich confiscirt, und der witzige liberale Rechtsanwalt Friedrich Oetker ſah ſich genöthigt, einmal im Auftrage mehrerer Buchhändler eine Beſchwerdeſchrift „wegen ſieben deutſcher Michel“ auszuarbeiten.
Doch was wollten ſolche Lächerlichkeiten bedeuten neben dem furcht- baren, das ganze Land erregenden Schickſale Silveſter Jordan’s. Viele Jahre lang hatten die Polizeibehörden insgeheim Stoff geſammelt, um dem Vater der heſſiſchen Verfaſſung nachzuweiſen, daß er bei dem Frank- furter Wachenſturme und den anderen Verſchwörungen jener längſt ver- ſchollenen Tage mitgewirkt hätte; als ſie endlich der Beweiſe genug zu haben glaubten, wurde Jordan (Aug. 1839) unter der Anklage des Hoch- verraths auf das Marburger Bergſchloß abgeführt. Da ſaß er nun in langer, ſchwerer Haft und blickte hernieder auf die Stadt, die ihn einſt mit fürſtlichen Ehren empfangen hatte. Noch einmal fiel er in eine Grube, die er ſich mit eigenen Händen gegraben. Er ſelber hatte einſt, um ver- faſſungsfeindliche Miniſter ſicher zu knebeln, in die Verfaſſung den Art. 126 hineingebracht, der bei Anklagen auf Verfaſſungsverletzung ſowohl die Niederſchlagung wie die Begnadigung unterſagte; folglich konnte das Verfahren gegen ihn ſelbſt, einmal begonnen, nicht mehr aufgehalten werden. Da ſeine Geſundheit in dem Thurme droben ſchwer gelitten hatte, ſo erlaubte man ihm endlich, unter ſtrenger Bewachung in der Stadt zu leben, doch erſt im Jahre 1843 erfolgte der Richterſpruch, der ihn „wegen Nichthinderung hochverrätheriſcher Unternehmungen“ verur- theilte. Er appellirte, und das allezeit nach oben wie nach unten furcht- loſe Oberappellationsgericht ſprach ihn im October 1845 gänzlich frei.
Die Belaſtungszeugen waren meiſt verdächtige Leute, und ganz un- zweifelhaft ergab ſich, daß die windigen deutſchen und polniſchen Demagogen, die zu jener Zeit bei ihm eingekehrt waren, ſeinen ſowie viele andere ge- achtete Namen mißbraucht hatten um neue Genoſſen zu werben. Von einigen thörichten Anſchlägen mochte er damals wohl gehört haben; doch wie durfte man ihn tadeln, wenn er dieſe hirnverbrannte Rederei keiner Beachtung
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Miniſterium Scheffer. Proceß Jordan.
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wieder ausgraben und dann an der Mauer verſcharren. Die Narren-
ſtreiche der heſſiſchen Cenſur fanden jetzt, da man überall milder ward,
nur noch in Oeſterreich ihres gleichen. Ueber die Geſchenke, welche die
Mutter des Kurprinzen der Stadt Caſſel vermacht hatte, durften die längſt
gezähmten Zeitungen kein Wort ſagen. Ein liberaler Marburger Buch-
händler konnte von der Regierung nicht erlangen, daß ſie ihm für eine
geplante ſtatiſtiſche Zeitſchrift einen Cenſor gab, und mußte ſchließlich, zum
allgemeinen Ergötzen, eine „Klage auf Beſtellung eines Cenſors“ einreichen,
denn ohne Cenſur durfte das Blatt nicht erſcheinen. Beſonders aufreizend
erſchien der Polizei das alberne bei den jungdeutſchen Radicalen beliebte
Zerrbild des deutſchen Michels. Wo immer dies Bild ſich zeigte, in Zei-
tungen oder Flugſchriften, da ward es unnachſichtlich confiscirt, und der
witzige liberale Rechtsanwalt Friedrich Oetker ſah ſich genöthigt, einmal
im Auftrage mehrerer Buchhändler eine Beſchwerdeſchrift „wegen ſieben
deutſcher Michel“ auszuarbeiten.
Doch was wollten ſolche Lächerlichkeiten bedeuten neben dem furcht-
baren, das ganze Land erregenden Schickſale Silveſter Jordan’s. Viele
Jahre lang hatten die Polizeibehörden insgeheim Stoff geſammelt, um
dem Vater der heſſiſchen Verfaſſung nachzuweiſen, daß er bei dem Frank-
furter Wachenſturme und den anderen Verſchwörungen jener längſt ver-
ſchollenen Tage mitgewirkt hätte; als ſie endlich der Beweiſe genug zu
haben glaubten, wurde Jordan (Aug. 1839) unter der Anklage des Hoch-
verraths auf das Marburger Bergſchloß abgeführt. Da ſaß er nun in
langer, ſchwerer Haft und blickte hernieder auf die Stadt, die ihn einſt
mit fürſtlichen Ehren empfangen hatte. Noch einmal fiel er in eine Grube,
die er ſich mit eigenen Händen gegraben. Er ſelber hatte einſt, um ver-
faſſungsfeindliche Miniſter ſicher zu knebeln, in die Verfaſſung den Art.
126 hineingebracht, der bei Anklagen auf Verfaſſungsverletzung ſowohl
die Niederſchlagung wie die Begnadigung unterſagte; folglich konnte das
Verfahren gegen ihn ſelbſt, einmal begonnen, nicht mehr aufgehalten
werden. Da ſeine Geſundheit in dem Thurme droben ſchwer gelitten
hatte, ſo erlaubte man ihm endlich, unter ſtrenger Bewachung in der
Stadt zu leben, doch erſt im Jahre 1843 erfolgte der Richterſpruch, der
ihn „wegen Nichthinderung hochverrätheriſcher Unternehmungen“ verur-
theilte. Er appellirte, und das allezeit nach oben wie nach unten furcht-
loſe Oberappellationsgericht ſprach ihn im October 1845 gänzlich frei.
Die Belaſtungszeugen waren meiſt verdächtige Leute, und ganz un-
zweifelhaft ergab ſich, daß die windigen deutſchen und polniſchen Demagogen,
die zu jener Zeit bei ihm eingekehrt waren, ſeinen ſowie viele andere ge-
achtete Namen mißbraucht hatten um neue Genoſſen zu werben. Von einigen
thörichten Anſchlägen mochte er damals wohl gehört haben; doch wie durfte
man ihn tadeln, wenn er dieſe hirnverbrannte Rederei keiner Beachtung
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/679>, abgerufen am 22.11.2024.
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