Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite
V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.

So geschah das Aergste was geschehen konnte: der längst schon
in ernstem Nachdenken gereifte Entschluß des Königs, mit dem ultra-
montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib
gefördert und erschien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk
unsauberer persönlicher Ränke. Sobald Lola's Parteistellung entschieden
war, brachte die gesammte clericale Presse Deutschlands, so weit es die
Censur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeschichten vom Münchener
Hofe; die Radicalen stimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück-
lich fühlten sie sich, das Königthum so persönlich entwürdigen zu können,
und bald redete alle Welt, als ob der bairische Staat ganz aus den Fugen
ginge. Die bairische Presse freilich mußte unverbrüchlich schweigen. In
Wahrheit lag noch gar keine politische Missethat vor, sondern nur die
phantastische Herzensverirrung eines Fürsten, der nach Allem was er für
Deutschlands Kunst, für den Zollverein, für das bairische Land gethan,
doch gewiß ein menschliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im
Begriffe stand, sein Volk von einer gehässigen Parteiherrschaft zu befreien.
Eben diese Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen
auf's Aeußerste. Sie ließen über Lola's tolle Streiche von Aufpassern
genau Buch führen und versuchten noch einmal den König zu warnen
durch den Minister Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig's
früheren Liebeshändeln sehr genau bekannt war. Seinsheim empfing
darauf die scharfe Weisung, sich jeder Einmischung in die Privat-Ange-
legenheiten des Hofes zu enthalten, und seitdem ward die Sprache der
versinkenden Partei mit jedem Tage trotziger.*) Im Januar 1847 über-
nahm der Eichstädter Graf Reisach das Münchener Erzbisthum. Sein erster
Hirtenbrief war ein Meisterstück pfäffischer Gleißnerei und Herrschsucht; er
mahnte die Gläubigen "Euer Prüfstein in allen Dingen sei das Urtheil
der Kirche", und sprach zugleich von den Tagen Max Joseph's, von "den
traurigen Zeiten der Zerstörung der Kirche Baierns" mit einer berechneten
Bosheit, welche den König tief verletzte.

Unterdessen konnte die mit Geschenken überhäufte Lola ihre Begehr-
lichkeit nicht mehr bändigen, sie erbat sich von ihrem hohen Beschützer
die Erhebung in den Grafenstand, und er war verblendet genug ihr diese
Gnade zu versprechen. Wie thöricht immer, ungesetzlich war seine Zusage
nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbestrittenen Prärogativen
der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, seit Karl
Theodor in den Zeiten seines Reichsvicariats so viele arme Ritter gegraft
hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des
Indigenats, und für diese unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz
glatt ablief, verlangte das Gesetz zunächst die Befragung des Staatsraths,
sodann die Unterschrift eines Ministers. Der Staatsrath wagte abzu-

*) Bernstorff's Berichte, 14. Dec. 1846, 2. Febr. 1847.
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.

So geſchah das Aergſte was geſchehen konnte: der längſt ſchon
in ernſtem Nachdenken gereifte Entſchluß des Königs, mit dem ultra-
montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib
gefördert und erſchien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk
unſauberer perſönlicher Ränke. Sobald Lola’s Parteiſtellung entſchieden
war, brachte die geſammte clericale Preſſe Deutſchlands, ſo weit es die
Cenſur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeſchichten vom Münchener
Hofe; die Radicalen ſtimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück-
lich fühlten ſie ſich, das Königthum ſo perſönlich entwürdigen zu können,
und bald redete alle Welt, als ob der bairiſche Staat ganz aus den Fugen
ginge. Die bairiſche Preſſe freilich mußte unverbrüchlich ſchweigen. In
Wahrheit lag noch gar keine politiſche Miſſethat vor, ſondern nur die
phantaſtiſche Herzensverirrung eines Fürſten, der nach Allem was er für
Deutſchlands Kunſt, für den Zollverein, für das bairiſche Land gethan,
doch gewiß ein menſchliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im
Begriffe ſtand, ſein Volk von einer gehäſſigen Parteiherrſchaft zu befreien.
Eben dieſe Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen
auf’s Aeußerſte. Sie ließen über Lola’s tolle Streiche von Aufpaſſern
genau Buch führen und verſuchten noch einmal den König zu warnen
durch den Miniſter Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig’s
früheren Liebeshändeln ſehr genau bekannt war. Seinsheim empfing
darauf die ſcharfe Weiſung, ſich jeder Einmiſchung in die Privat-Ange-
legenheiten des Hofes zu enthalten, und ſeitdem ward die Sprache der
verſinkenden Partei mit jedem Tage trotziger.*) Im Januar 1847 über-
nahm der Eichſtädter Graf Reiſach das Münchener Erzbisthum. Sein erſter
Hirtenbrief war ein Meiſterſtück pfäffiſcher Gleißnerei und Herrſchſucht; er
mahnte die Gläubigen „Euer Prüfſtein in allen Dingen ſei das Urtheil
der Kirche“, und ſprach zugleich von den Tagen Max Joſeph’s, von „den
traurigen Zeiten der Zerſtörung der Kirche Baierns“ mit einer berechneten
Bosheit, welche den König tief verletzte.

Unterdeſſen konnte die mit Geſchenken überhäufte Lola ihre Begehr-
lichkeit nicht mehr bändigen, ſie erbat ſich von ihrem hohen Beſchützer
die Erhebung in den Grafenſtand, und er war verblendet genug ihr dieſe
Gnade zu verſprechen. Wie thöricht immer, ungeſetzlich war ſeine Zuſage
nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbeſtrittenen Prärogativen
der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, ſeit Karl
Theodor in den Zeiten ſeines Reichsvicariats ſo viele arme Ritter gegraft
hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des
Indigenats, und für dieſe unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz
glatt ablief, verlangte das Geſetz zunächſt die Befragung des Staatsraths,
ſodann die Unterſchrift eines Miniſters. Der Staatsrath wagte abzu-

*) Bernſtorff’s Berichte, 14. Dec. 1846, 2. Febr. 1847.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0666" n="652"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 9. Der Niedergang des Deut&#x017F;chen Bundes.</fw><lb/>
          <p>So ge&#x017F;chah das Aerg&#x017F;te was ge&#x017F;chehen konnte: der läng&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
in ern&#x017F;tem Nachdenken gereifte Ent&#x017F;chluß des Königs, mit dem ultra-<lb/>
montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib<lb/>
gefördert und er&#x017F;chien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk<lb/>
un&#x017F;auberer per&#x017F;önlicher Ränke. Sobald Lola&#x2019;s Partei&#x017F;tellung ent&#x017F;chieden<lb/>
war, brachte die ge&#x017F;ammte clericale Pre&#x017F;&#x017F;e Deut&#x017F;chlands, &#x017F;o weit es die<lb/>
Cen&#x017F;ur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzge&#x017F;chichten vom Münchener<lb/>
Hofe; die Radicalen &#x017F;timmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück-<lb/>
lich fühlten &#x017F;ie &#x017F;ich, das Königthum &#x017F;o per&#x017F;önlich entwürdigen zu können,<lb/>
und bald redete alle Welt, als ob der bairi&#x017F;che Staat ganz aus den Fugen<lb/>
ginge. Die bairi&#x017F;che Pre&#x017F;&#x017F;e freilich mußte unverbrüchlich &#x017F;chweigen. In<lb/>
Wahrheit lag noch gar keine politi&#x017F;che Mi&#x017F;&#x017F;ethat vor, &#x017F;ondern nur die<lb/>
phanta&#x017F;ti&#x017F;che Herzensverirrung eines Für&#x017F;ten, der nach Allem was er für<lb/>
Deut&#x017F;chlands Kun&#x017F;t, für den Zollverein, für das bairi&#x017F;che Land gethan,<lb/>
doch gewiß ein men&#x017F;chliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im<lb/>
Begriffe &#x017F;tand, &#x017F;ein Volk von einer gehä&#x017F;&#x017F;igen Parteiherr&#x017F;chaft zu befreien.<lb/>
Eben die&#x017F;e Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen<lb/>
auf&#x2019;s Aeußer&#x017F;te. Sie ließen über Lola&#x2019;s tolle Streiche von Aufpa&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
genau Buch führen und ver&#x017F;uchten noch einmal den König zu warnen<lb/>
durch den Mini&#x017F;ter Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig&#x2019;s<lb/>
früheren Liebeshändeln &#x017F;ehr genau bekannt war. Seinsheim empfing<lb/>
darauf die &#x017F;charfe Wei&#x017F;ung, &#x017F;ich jeder Einmi&#x017F;chung in die Privat-Ange-<lb/>
legenheiten des Hofes zu enthalten, und &#x017F;eitdem ward die Sprache der<lb/>
ver&#x017F;inkenden Partei mit jedem Tage trotziger.<note place="foot" n="*)">Bern&#x017F;torff&#x2019;s Berichte, 14. Dec. 1846, 2. Febr. 1847.</note> Im Januar 1847 über-<lb/>
nahm der Eich&#x017F;tädter Graf Rei&#x017F;ach das Münchener Erzbisthum. Sein er&#x017F;ter<lb/>
Hirtenbrief war ein Mei&#x017F;ter&#x017F;tück pfäffi&#x017F;cher Gleißnerei und Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht; er<lb/>
mahnte die Gläubigen &#x201E;Euer Prüf&#x017F;tein in allen Dingen &#x017F;ei das Urtheil<lb/>
der Kirche&#x201C;, und &#x017F;prach zugleich von den Tagen Max Jo&#x017F;eph&#x2019;s, von &#x201E;den<lb/>
traurigen Zeiten der Zer&#x017F;törung der Kirche Baierns&#x201C; mit einer berechneten<lb/>
Bosheit, welche den König tief verletzte.</p><lb/>
          <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en konnte die mit Ge&#x017F;chenken überhäufte Lola ihre Begehr-<lb/>
lichkeit nicht mehr bändigen, &#x017F;ie erbat &#x017F;ich von ihrem hohen Be&#x017F;chützer<lb/>
die Erhebung in den Grafen&#x017F;tand, und er war verblendet genug ihr die&#x017F;e<lb/>
Gnade zu ver&#x017F;prechen. Wie thöricht immer, unge&#x017F;etzlich war &#x017F;eine Zu&#x017F;age<lb/>
nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbe&#x017F;trittenen Prärogativen<lb/>
der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, &#x017F;eit Karl<lb/>
Theodor in den Zeiten &#x017F;eines Reichsvicariats &#x017F;o viele arme Ritter gegraft<lb/>
hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des<lb/>
Indigenats, und für die&#x017F;e unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz<lb/>
glatt ablief, verlangte das Ge&#x017F;etz zunäch&#x017F;t die Befragung des Staatsraths,<lb/>
&#x017F;odann die Unter&#x017F;chrift eines Mini&#x017F;ters. Der Staatsrath wagte abzu-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[652/0666] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. So geſchah das Aergſte was geſchehen konnte: der längſt ſchon in ernſtem Nachdenken gereifte Entſchluß des Königs, mit dem ultra- montanen Parteiregimente zu brechen, wurde durch ein gemeines Weib gefördert und erſchien, da er endlich zur Ausführung kam, als ein Werk unſauberer perſönlicher Ränke. Sobald Lola’s Parteiſtellung entſchieden war, brachte die geſammte clericale Preſſe Deutſchlands, ſo weit es die Cenſur irgend erlaubte, Tag für Tag Schmutzgeſchichten vom Münchener Hofe; die Radicalen ſtimmten mit wiehernder Schadenfreude ein, wie glück- lich fühlten ſie ſich, das Königthum ſo perſönlich entwürdigen zu können, und bald redete alle Welt, als ob der bairiſche Staat ganz aus den Fugen ginge. Die bairiſche Preſſe freilich mußte unverbrüchlich ſchweigen. In Wahrheit lag noch gar keine politiſche Miſſethat vor, ſondern nur die phantaſtiſche Herzensverirrung eines Fürſten, der nach Allem was er für Deutſchlands Kunſt, für den Zollverein, für das bairiſche Land gethan, doch gewiß ein menſchliches Urtheil verlangen durfte und grade jetzt im Begriffe ſtand, ſein Volk von einer gehäſſigen Parteiherrſchaft zu befreien. Eben dieſe Gewißheit ihres nahen Sturzes erbitterte die Ultramontanen auf’s Aeußerſte. Sie ließen über Lola’s tolle Streiche von Aufpaſſern genau Buch führen und verſuchten noch einmal den König zu warnen durch den Miniſter Graf Seinsheim, der als alter Freund mit Ludwig’s früheren Liebeshändeln ſehr genau bekannt war. Seinsheim empfing darauf die ſcharfe Weiſung, ſich jeder Einmiſchung in die Privat-Ange- legenheiten des Hofes zu enthalten, und ſeitdem ward die Sprache der verſinkenden Partei mit jedem Tage trotziger. *) Im Januar 1847 über- nahm der Eichſtädter Graf Reiſach das Münchener Erzbisthum. Sein erſter Hirtenbrief war ein Meiſterſtück pfäffiſcher Gleißnerei und Herrſchſucht; er mahnte die Gläubigen „Euer Prüfſtein in allen Dingen ſei das Urtheil der Kirche“, und ſprach zugleich von den Tagen Max Joſeph’s, von „den traurigen Zeiten der Zerſtörung der Kirche Baierns“ mit einer berechneten Bosheit, welche den König tief verletzte. Unterdeſſen konnte die mit Geſchenken überhäufte Lola ihre Begehr- lichkeit nicht mehr bändigen, ſie erbat ſich von ihrem hohen Beſchützer die Erhebung in den Grafenſtand, und er war verblendet genug ihr dieſe Gnade zu verſprechen. Wie thöricht immer, ungeſetzlich war ſeine Zuſage nicht. Standeserhöhungen gehörten zu den unbeſtrittenen Prärogativen der Krone; auch galt der Grafentitel in Baiern nicht gar viel, ſeit Karl Theodor in den Zeiten ſeines Reichsvicariats ſo viele arme Ritter gegraft hatte. Als Ausländerin bedurfte Lola aber zugleich der Verleihung des Indigenats, und für dieſe unbedeutende Förmlichkeit, die gemeinhin ganz glatt ablief, verlangte das Geſetz zunächſt die Befragung des Staatsraths, ſodann die Unterſchrift eines Miniſters. Der Staatsrath wagte abzu- *) Bernſtorff’s Berichte, 14. Dec. 1846, 2. Febr. 1847.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/666
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/666>, abgerufen am 22.11.2024.