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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Wahl der Vereinigten Ausschüsse.
gemäß um Beschränkung des Wirkungskreises der Vereinigten Ausschüsse;
sie baten ihn endlich, "mit Beziehung auf die frühere Gesetzgebung und
aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit" die Wahl der
Ausschüsse für jetzt auszusetzen. Eine schwüle Stimmung herrschte im
Hause, und bei dem letzten Hoffeste auf Sanssouci gedachte Thadden-
Trieglaff ahnungsvoll des Liedes: O Richard, o mon roi, tout le monde
t'abandonne!
Des Königs Antwort lautete abschlägig, aber nicht ganz
ungnädig, obgleich die Stände den Monarchen mittlerweile durch den un-
glücklichen Beschluß über die Ostbahn bitter gereizt hatten. Im Stillen
fühlte Friedrich Wilhelm längst, daß die periodische Berufung der Ver-
einigten Stände nunmehr unvermeidlich war; vorher aber mußte Alles,
was er in den Verordnungen vom 3. Februar anbefohlen hatte, gehorsam
ausgeführt werden, dann erst wollte er frei, ungedrängt, nach seiner könig-
lichen Weisheit entscheiden. Deßhalb versprach er, die Anträge auf perio-
dische Einberufung des Landtags und auf Beschränkung der Ausschüsse
"in sorgsame Erwägung zu ziehen"; dagegen sollten die Ausschüsse jetzt
sogleich neu gewählt werden, da er ihnen demnächst den lange vorbereiteten
Entwurf des neuen Strafgesetzbuchs zur Begutachtung vorlegen wollte.

Diese königliche Botschaft erschien am 24. Juni. Schon zwei Tage
darauf sollte der Landtag geschlossen werden, der König selbst war in-
zwischen bereits in tiefem Unmuth abgereist. Da galt es denn rasch zu
entscheiden, ob man die Wahl vornehmen dürfe, und der Landtag endete,
wie er begonnen, mit einem unfruchtbaren Rechtsstreite. Die Vereinigten
Ausschüsse waren eine gänzlich verfehlte Künstelei -- daran zweifelte eigent-
lich Niemand mehr -- aber vor sechs Jahren durch die absolute Krone
geschaffen, bestanden sie unzweifelhaft noch zu Recht; der Landtag selbst
hatte das nicht bestritten und folglich war er auch zu der gesetzlichen Neu-
wahl verpflichtet. Daß die Rechte des Landtags beeinträchtigt würden,
wenn ein von ihm selbst erwählter Ausschuß ein unmaßgebliches Gutachten
über das Strafgesetzbuch erstattete -- diese spitzfindige Behauptung konnte
sich nur auf gewaltsam herbeigezogene, dem Volke unverständliche Rechts-
bedenken stützen. Da Jedermann wußte, daß der König geneigt war die
periodische Einberufung des Landtags in einer nahen Zukunft zu bewilligen,
so gebot schon die monarchische Ehrfurcht, daß man ihn nicht durch stör-
rischen Eigensinn erbitterte; und wenn die Opposition nicht wählte, dann
schloß sie sich ja selbst von den Vereinigten Ausschüssen aus.

Alle diese handgreiflichen politischen Bedenken galten dem unaufhalt-
samen "Abgeordneten der Grafschaft Mark" gar nichts. In den stürmischen
Vorberathungen verlangte Vincke kurzweg, man müsse sich der Wahl ent-
halten. Das nannte er Recht. Der Ruhm der unbedingten Folgerichtig-
keit, der von praktischen, dem Vaterlande dienenden Staatsmännern immer
gering geschätzt wird, war ihm Eines und Alles. Diesmal aber versagten
sich seine ostpreußischen Freunde, die ihre strenge Rechtsgesinnung doch

v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 41

Wahl der Vereinigten Ausſchüſſe.
gemäß um Beſchränkung des Wirkungskreiſes der Vereinigten Ausſchüſſe;
ſie baten ihn endlich, „mit Beziehung auf die frühere Geſetzgebung und
aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit“ die Wahl der
Ausſchüſſe für jetzt auszuſetzen. Eine ſchwüle Stimmung herrſchte im
Hauſe, und bei dem letzten Hoffeſte auf Sansſouci gedachte Thadden-
Trieglaff ahnungsvoll des Liedes: O Richard, o mon roi, tout le monde
t’abandonne!
Des Königs Antwort lautete abſchlägig, aber nicht ganz
ungnädig, obgleich die Stände den Monarchen mittlerweile durch den un-
glücklichen Beſchluß über die Oſtbahn bitter gereizt hatten. Im Stillen
fühlte Friedrich Wilhelm längſt, daß die periodiſche Berufung der Ver-
einigten Stände nunmehr unvermeidlich war; vorher aber mußte Alles,
was er in den Verordnungen vom 3. Februar anbefohlen hatte, gehorſam
ausgeführt werden, dann erſt wollte er frei, ungedrängt, nach ſeiner könig-
lichen Weisheit entſcheiden. Deßhalb verſprach er, die Anträge auf perio-
diſche Einberufung des Landtags und auf Beſchränkung der Ausſchüſſe
„in ſorgſame Erwägung zu ziehen“; dagegen ſollten die Ausſchüſſe jetzt
ſogleich neu gewählt werden, da er ihnen demnächſt den lange vorbereiteten
Entwurf des neuen Strafgeſetzbuchs zur Begutachtung vorlegen wollte.

Dieſe königliche Botſchaft erſchien am 24. Juni. Schon zwei Tage
darauf ſollte der Landtag geſchloſſen werden, der König ſelbſt war in-
zwiſchen bereits in tiefem Unmuth abgereiſt. Da galt es denn raſch zu
entſcheiden, ob man die Wahl vornehmen dürfe, und der Landtag endete,
wie er begonnen, mit einem unfruchtbaren Rechtsſtreite. Die Vereinigten
Ausſchüſſe waren eine gänzlich verfehlte Künſtelei — daran zweifelte eigent-
lich Niemand mehr — aber vor ſechs Jahren durch die abſolute Krone
geſchaffen, beſtanden ſie unzweifelhaft noch zu Recht; der Landtag ſelbſt
hatte das nicht beſtritten und folglich war er auch zu der geſetzlichen Neu-
wahl verpflichtet. Daß die Rechte des Landtags beeinträchtigt würden,
wenn ein von ihm ſelbſt erwählter Ausſchuß ein unmaßgebliches Gutachten
über das Strafgeſetzbuch erſtattete — dieſe ſpitzfindige Behauptung konnte
ſich nur auf gewaltſam herbeigezogene, dem Volke unverſtändliche Rechts-
bedenken ſtützen. Da Jedermann wußte, daß der König geneigt war die
periodiſche Einberufung des Landtags in einer nahen Zukunft zu bewilligen,
ſo gebot ſchon die monarchiſche Ehrfurcht, daß man ihn nicht durch ſtör-
riſchen Eigenſinn erbitterte; und wenn die Oppoſition nicht wählte, dann
ſchloß ſie ſich ja ſelbſt von den Vereinigten Ausſchüſſen aus.

Alle dieſe handgreiflichen politiſchen Bedenken galten dem unaufhalt-
ſamen „Abgeordneten der Grafſchaft Mark“ gar nichts. In den ſtürmiſchen
Vorberathungen verlangte Vincke kurzweg, man müſſe ſich der Wahl ent-
halten. Das nannte er Recht. Der Ruhm der unbedingten Folgerichtig-
keit, der von praktiſchen, dem Vaterlande dienenden Staatsmännern immer
gering geſchätzt wird, war ihm Eines und Alles. Diesmal aber verſagten
ſich ſeine oſtpreußiſchen Freunde, die ihre ſtrenge Rechtsgeſinnung doch

v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 41
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[641/0655] Wahl der Vereinigten Ausſchüſſe. gemäß um Beſchränkung des Wirkungskreiſes der Vereinigten Ausſchüſſe; ſie baten ihn endlich, „mit Beziehung auf die frühere Geſetzgebung und aus Gründen der Nützlichkeit und inneren Nothwendigkeit“ die Wahl der Ausſchüſſe für jetzt auszuſetzen. Eine ſchwüle Stimmung herrſchte im Hauſe, und bei dem letzten Hoffeſte auf Sansſouci gedachte Thadden- Trieglaff ahnungsvoll des Liedes: O Richard, o mon roi, tout le monde t’abandonne! Des Königs Antwort lautete abſchlägig, aber nicht ganz ungnädig, obgleich die Stände den Monarchen mittlerweile durch den un- glücklichen Beſchluß über die Oſtbahn bitter gereizt hatten. Im Stillen fühlte Friedrich Wilhelm längſt, daß die periodiſche Berufung der Ver- einigten Stände nunmehr unvermeidlich war; vorher aber mußte Alles, was er in den Verordnungen vom 3. Februar anbefohlen hatte, gehorſam ausgeführt werden, dann erſt wollte er frei, ungedrängt, nach ſeiner könig- lichen Weisheit entſcheiden. Deßhalb verſprach er, die Anträge auf perio- diſche Einberufung des Landtags und auf Beſchränkung der Ausſchüſſe „in ſorgſame Erwägung zu ziehen“; dagegen ſollten die Ausſchüſſe jetzt ſogleich neu gewählt werden, da er ihnen demnächſt den lange vorbereiteten Entwurf des neuen Strafgeſetzbuchs zur Begutachtung vorlegen wollte. Dieſe königliche Botſchaft erſchien am 24. Juni. Schon zwei Tage darauf ſollte der Landtag geſchloſſen werden, der König ſelbſt war in- zwiſchen bereits in tiefem Unmuth abgereiſt. Da galt es denn raſch zu entſcheiden, ob man die Wahl vornehmen dürfe, und der Landtag endete, wie er begonnen, mit einem unfruchtbaren Rechtsſtreite. Die Vereinigten Ausſchüſſe waren eine gänzlich verfehlte Künſtelei — daran zweifelte eigent- lich Niemand mehr — aber vor ſechs Jahren durch die abſolute Krone geſchaffen, beſtanden ſie unzweifelhaft noch zu Recht; der Landtag ſelbſt hatte das nicht beſtritten und folglich war er auch zu der geſetzlichen Neu- wahl verpflichtet. Daß die Rechte des Landtags beeinträchtigt würden, wenn ein von ihm ſelbſt erwählter Ausſchuß ein unmaßgebliches Gutachten über das Strafgeſetzbuch erſtattete — dieſe ſpitzfindige Behauptung konnte ſich nur auf gewaltſam herbeigezogene, dem Volke unverſtändliche Rechts- bedenken ſtützen. Da Jedermann wußte, daß der König geneigt war die periodiſche Einberufung des Landtags in einer nahen Zukunft zu bewilligen, ſo gebot ſchon die monarchiſche Ehrfurcht, daß man ihn nicht durch ſtör- riſchen Eigenſinn erbitterte; und wenn die Oppoſition nicht wählte, dann ſchloß ſie ſich ja ſelbſt von den Vereinigten Ausſchüſſen aus. Alle dieſe handgreiflichen politiſchen Bedenken galten dem unaufhalt- ſamen „Abgeordneten der Grafſchaft Mark“ gar nichts. In den ſtürmiſchen Vorberathungen verlangte Vincke kurzweg, man müſſe ſich der Wahl ent- halten. Das nannte er Recht. Der Ruhm der unbedingten Folgerichtig- keit, der von praktiſchen, dem Vaterlande dienenden Staatsmännern immer gering geſchätzt wird, war ihm Eines und Alles. Diesmal aber verſagten ſich ſeine oſtpreußiſchen Freunde, die ihre ſtrenge Rechtsgeſinnung doch v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 41

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/655>, abgerufen am 22.11.2024.