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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Bismarck. Das neue Judengesetz.
präsentanten der geheiligten Majestät des Königs einen Juden denke."
Dann schlug er die tiefen Töne deutschen Stolzes an. Beckerath hatte
nach seiner elegischen Weise von einem jüdischen Jüngling gesprochen, der
im Befreiungskriege gefallen war und sich also, da die Juden noch immer
nicht Minister werden konnten, umsonst aufgeopfert hatte. Gegen diese
dünne Gefühlsseligkeit brach nun Bismarck gewaltig los: "Ich kann nicht
glauben, daß ein Blut vergebens geflossen ist, welches für die deutsche
Freiheit floß, und bisher steht die deutsche Freiheit nicht so niedrig im
Preise, daß es nicht der Mühe lohnte dafür zu sterben, auch wenn man
keine Emancipation der Juden damit erreicht." Ein großes Opfer wollte
er in einem solchen Tode überhaupt nicht sehen; vielmehr wünschte er
den Deutschen "das stolze Gefühl der National-Ehre" das den Engländern
und Franzosen verbiete ihre Gesetze dem Auslande nachzubilden.

Auf diese Gedanken kam er auch in anderen Reden beharrlich zurück.
Nichts empörte ihn tiefer als das liberale Märchen, daß die Preußen um
der erhofften Verfassung willen den Freiheitskrieg geführt hätten. Für
diesen Krieg, erwiderte er heftig, brauchte unser Volk keinen "anderen
Grund als die Schmach, daß Fremde unserem Lande geboten"; wer das
leugnet, "erweist der National-Ehre einen schlechten Dienst". Und als die
Liberalen den jungen Mann, der ja die Befreiungskriege nicht mit erlebt
hatte, von oben herunter abfertigten, da erwiderte er mit jenem mächtigen
Selbstgefühle, dessen Berechtigung erst die Thaten der Zukunft erweisen
sollten: "Ich habe immer geglaubt, daß die Knechtschaft, die damals be-
kämpft wurde, im Auslande gelegen habe; soeben bin ich aber belehrt
worden, daß sie im Inland gelegen hat, und ich bin nicht sehr dankbar
für diese Aufklärung." Ueber die Macht und Einheit des Vaterlandes
hatte schon mancher Redner dieser reichbegabten Versammlung edel und warm
gesprochen; aber so kühn, so sicher, mit einem solchen Teutonentrotze wie
dieser verrufene märkische Junker sagte doch Niemand sonst: Deutschland
über Alles! Es war die Stimme des Mannes, der einst das Werk der
Staufer und der Hohenzollern vollenden sollte.

Die Curie der drei Stände verlangte noch einige Erweiterung der jü-
dischen Rechte, sie wollte sogar die Juden Posens den übrigen sofort gleich
stellen. Da die Herrencurie jedoch diesem leichtsinnigen Beschlusse wider-
sprach, so blieb die für alle Theile heilsame Sonderstellung der Posener
Juden bestehen, und am 23. Juli 1847 wurde das neue Judengesetz ver-
öffentlicht, das im Wesentlichen dem Entwurfe der Regierung entsprach;
nur der unglückliche Gedanke der Einrichtung incorporirter Judenschaften
war aufgegeben. Der milde und gerechte Geist des Gesetzes ließ sich gar
nicht verkennen, wenn man die Zustände der deutschen Nachbarstaaten ver-
glich: die sächsischen Juden durften ja nur in zwei Städten des Landes
wohnen, die mecklenburgischen an manchen Orten nicht einmal übernachten.
Aber der Dank blieb aus, die hochherzige Gewährung weckte nur neue

Bismarck. Das neue Judengeſetz.
präſentanten der geheiligten Majeſtät des Königs einen Juden denke.“
Dann ſchlug er die tiefen Töne deutſchen Stolzes an. Beckerath hatte
nach ſeiner elegiſchen Weiſe von einem jüdiſchen Jüngling geſprochen, der
im Befreiungskriege gefallen war und ſich alſo, da die Juden noch immer
nicht Miniſter werden konnten, umſonſt aufgeopfert hatte. Gegen dieſe
dünne Gefühlsſeligkeit brach nun Bismarck gewaltig los: „Ich kann nicht
glauben, daß ein Blut vergebens gefloſſen iſt, welches für die deutſche
Freiheit floß, und bisher ſteht die deutſche Freiheit nicht ſo niedrig im
Preiſe, daß es nicht der Mühe lohnte dafür zu ſterben, auch wenn man
keine Emancipation der Juden damit erreicht.“ Ein großes Opfer wollte
er in einem ſolchen Tode überhaupt nicht ſehen; vielmehr wünſchte er
den Deutſchen „das ſtolze Gefühl der National-Ehre“ das den Engländern
und Franzoſen verbiete ihre Geſetze dem Auslande nachzubilden.

Auf dieſe Gedanken kam er auch in anderen Reden beharrlich zurück.
Nichts empörte ihn tiefer als das liberale Märchen, daß die Preußen um
der erhofften Verfaſſung willen den Freiheitskrieg geführt hätten. Für
dieſen Krieg, erwiderte er heftig, brauchte unſer Volk keinen „anderen
Grund als die Schmach, daß Fremde unſerem Lande geboten“; wer das
leugnet, „erweiſt der National-Ehre einen ſchlechten Dienſt“. Und als die
Liberalen den jungen Mann, der ja die Befreiungskriege nicht mit erlebt
hatte, von oben herunter abfertigten, da erwiderte er mit jenem mächtigen
Selbſtgefühle, deſſen Berechtigung erſt die Thaten der Zukunft erweiſen
ſollten: „Ich habe immer geglaubt, daß die Knechtſchaft, die damals be-
kämpft wurde, im Auslande gelegen habe; ſoeben bin ich aber belehrt
worden, daß ſie im Inland gelegen hat, und ich bin nicht ſehr dankbar
für dieſe Aufklärung.“ Ueber die Macht und Einheit des Vaterlandes
hatte ſchon mancher Redner dieſer reichbegabten Verſammlung edel und warm
geſprochen; aber ſo kühn, ſo ſicher, mit einem ſolchen Teutonentrotze wie
dieſer verrufene märkiſche Junker ſagte doch Niemand ſonſt: Deutſchland
über Alles! Es war die Stimme des Mannes, der einſt das Werk der
Staufer und der Hohenzollern vollenden ſollte.

Die Curie der drei Stände verlangte noch einige Erweiterung der jü-
diſchen Rechte, ſie wollte ſogar die Juden Poſens den übrigen ſofort gleich
ſtellen. Da die Herrencurie jedoch dieſem leichtſinnigen Beſchluſſe wider-
ſprach, ſo blieb die für alle Theile heilſame Sonderſtellung der Poſener
Juden beſtehen, und am 23. Juli 1847 wurde das neue Judengeſetz ver-
öffentlicht, das im Weſentlichen dem Entwurfe der Regierung entſprach;
nur der unglückliche Gedanke der Einrichtung incorporirter Judenſchaften
war aufgegeben. Der milde und gerechte Geiſt des Geſetzes ließ ſich gar
nicht verkennen, wenn man die Zuſtände der deutſchen Nachbarſtaaten ver-
glich: die ſächſiſchen Juden durften ja nur in zwei Städten des Landes
wohnen, die mecklenburgiſchen an manchen Orten nicht einmal übernachten.
Aber der Dank blieb aus, die hochherzige Gewährung weckte nur neue

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/649>, abgerufen am 03.05.2024.