lesen und auf den Hoffesten gab er den Mitgliedern der Opposition sehr deutlich seine Ungnade zu erkennen. Er wünschte nur noch raschen Ab- schluß der Berathungen, aber die Ehre einer persönlichen Ansprache wollte er den Undankbaren nicht mehr gönnen. --
Noch viele andere hochwichtige Verhandlungen drängten sich in diesen elf kurzen Landtags-Wochen zusammen. Wenn der König gehofft hatte, bei seinen Lebzeiten würden die Stände ihr Steuerbewilligungsrecht nie- mals ausüben, so erwies sich diese Erwartung jetzt schon als irrig. Eine Erhöhung der Steuern war allerdings nicht nöthig, wohl aber schien eine Veränderung des Steuersystems wünschenswerth, und auch sie bedurfte jetzt der ständischen Zustimmung. Die Mahl- und Schlachtsteuer, die in den größeren Städten als Ersatz für die Klassensteuer diente, wurde in der Presse als eine Bedrückung der Armen schon von langeher heftig an- gefeindet; man verlangte statt ihrer die Besteuerung des Einkommens der höheren Stände, und dieser alte Lieblingsgedanke des rheinischen Liberalis- mus gewann neue Kraft seit die Lehren der Socialisten sich zu verbreiten begannen. Allerdings waren die Uebelstände, welche die Mahl- und Schlacht- steuer bewirkte, im ganzen Lande bekannt; die Belästigung des kleinen Verkehrs an den Stadtthoren forderte den Unterschleif geradezu heraus, in manchen Städten kam jährlich schon auf 300, in einzelnen gar auf 200 Einwohner ein entdeckter Uebertretungsfall. Gleichwohl hatte sich auch hier wieder die alte Erfahrung bewährt, daß eine theoretisch sehr an- fechtbare Abgabe, wenn sie lange besteht und die Abwälzung sich vollzogen hat, im praktischen Leben ohne sonderliche Beschwerde ertragen wird. Die kleinen Leute litten unter dieser verrufenen Steuer wenig oder gar nicht; vielmehr drängten sich die Arbeiter massenhaft gerade in die mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städte, weil ihnen die Steuer durch den höheren Arbeitslohn reichlich ersetzt wurde. Und war es denn so sicher, daß die Preise von Brot und Fleisch nach Aufhebung der Steuer beträchtlich sinken mußten? Unbeschränkter Wettbewerb bestand wohl im großen Verkehr, doch nicht im Kleinhandel mit Lebensmitteln, welche der Regel nach in der Nachbarschaft der Kunden hergestellt wurden; fiel die Steuer hinweg, so war es für die geringe Zahl der städtischen Bäcker und Metzger offen- bar vortheilhaft, wenn sie einander nicht gegenseitig unterboten, sondern gemeinsam die Preise auf der alten Höhe zu halten suchten.
Die Frage war sehr schwierig. Der erfahrene General-Steuerdirector Kühne konnte sich von der unbedingten Nothwendigkeit der Reform durch- aus nicht überzeugen. Aus politischen Gründen hielt er jedoch für rathsam, daß die Regierung aufregenden Anträgen der Stände selbst zuvorkäme durch einen Vorschlag, der als ein Zugeständniß an die liberale öffentliche Meinung freundlicher Aufnahme sicher war und, wenn er doch scheiterte, die bestehende Ordnung des Staatshaushalts nicht gefährden konnte.*)
*) So gesteht Kühne in seinen Denkwürdigkeiten.
V. 8. Der Vereinigte Landtag.
leſen und auf den Hoffeſten gab er den Mitgliedern der Oppoſition ſehr deutlich ſeine Ungnade zu erkennen. Er wünſchte nur noch raſchen Ab- ſchluß der Berathungen, aber die Ehre einer perſönlichen Anſprache wollte er den Undankbaren nicht mehr gönnen. —
Noch viele andere hochwichtige Verhandlungen drängten ſich in dieſen elf kurzen Landtags-Wochen zuſammen. Wenn der König gehofft hatte, bei ſeinen Lebzeiten würden die Stände ihr Steuerbewilligungsrecht nie- mals ausüben, ſo erwies ſich dieſe Erwartung jetzt ſchon als irrig. Eine Erhöhung der Steuern war allerdings nicht nöthig, wohl aber ſchien eine Veränderung des Steuerſyſtems wünſchenswerth, und auch ſie bedurfte jetzt der ſtändiſchen Zuſtimmung. Die Mahl- und Schlachtſteuer, die in den größeren Städten als Erſatz für die Klaſſenſteuer diente, wurde in der Preſſe als eine Bedrückung der Armen ſchon von langeher heftig an- gefeindet; man verlangte ſtatt ihrer die Beſteuerung des Einkommens der höheren Stände, und dieſer alte Lieblingsgedanke des rheiniſchen Liberalis- mus gewann neue Kraft ſeit die Lehren der Socialiſten ſich zu verbreiten begannen. Allerdings waren die Uebelſtände, welche die Mahl- und Schlacht- ſteuer bewirkte, im ganzen Lande bekannt; die Beläſtigung des kleinen Verkehrs an den Stadtthoren forderte den Unterſchleif geradezu heraus, in manchen Städten kam jährlich ſchon auf 300, in einzelnen gar auf 200 Einwohner ein entdeckter Uebertretungsfall. Gleichwohl hatte ſich auch hier wieder die alte Erfahrung bewährt, daß eine theoretiſch ſehr an- fechtbare Abgabe, wenn ſie lange beſteht und die Abwälzung ſich vollzogen hat, im praktiſchen Leben ohne ſonderliche Beſchwerde ertragen wird. Die kleinen Leute litten unter dieſer verrufenen Steuer wenig oder gar nicht; vielmehr drängten ſich die Arbeiter maſſenhaft gerade in die mahl- und ſchlachtſteuerpflichtigen Städte, weil ihnen die Steuer durch den höheren Arbeitslohn reichlich erſetzt wurde. Und war es denn ſo ſicher, daß die Preiſe von Brot und Fleiſch nach Aufhebung der Steuer beträchtlich ſinken mußten? Unbeſchränkter Wettbewerb beſtand wohl im großen Verkehr, doch nicht im Kleinhandel mit Lebensmitteln, welche der Regel nach in der Nachbarſchaft der Kunden hergeſtellt wurden; fiel die Steuer hinweg, ſo war es für die geringe Zahl der ſtädtiſchen Bäcker und Metzger offen- bar vortheilhaft, wenn ſie einander nicht gegenſeitig unterboten, ſondern gemeinſam die Preiſe auf der alten Höhe zu halten ſuchten.
Die Frage war ſehr ſchwierig. Der erfahrene General-Steuerdirector Kühne konnte ſich von der unbedingten Nothwendigkeit der Reform durch- aus nicht überzeugen. Aus politiſchen Gründen hielt er jedoch für rathſam, daß die Regierung aufregenden Anträgen der Stände ſelbſt zuvorkäme durch einen Vorſchlag, der als ein Zugeſtändniß an die liberale öffentliche Meinung freundlicher Aufnahme ſicher war und, wenn er doch ſcheiterte, die beſtehende Ordnung des Staatshaushalts nicht gefährden konnte.*)
*) So geſteht Kühne in ſeinen Denkwürdigkeiten.
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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
leſen und auf den Hoffeſten gab er den Mitgliedern der Oppoſition ſehr
deutlich ſeine Ungnade zu erkennen. Er wünſchte nur noch raſchen Ab-
ſchluß der Berathungen, aber die Ehre einer perſönlichen Anſprache wollte
er den Undankbaren nicht mehr gönnen. —
Noch viele andere hochwichtige Verhandlungen drängten ſich in dieſen
elf kurzen Landtags-Wochen zuſammen. Wenn der König gehofft hatte,
bei ſeinen Lebzeiten würden die Stände ihr Steuerbewilligungsrecht nie-
mals ausüben, ſo erwies ſich dieſe Erwartung jetzt ſchon als irrig. Eine
Erhöhung der Steuern war allerdings nicht nöthig, wohl aber ſchien eine
Veränderung des Steuerſyſtems wünſchenswerth, und auch ſie bedurfte
jetzt der ſtändiſchen Zuſtimmung. Die Mahl- und Schlachtſteuer, die in
den größeren Städten als Erſatz für die Klaſſenſteuer diente, wurde in
der Preſſe als eine Bedrückung der Armen ſchon von langeher heftig an-
gefeindet; man verlangte ſtatt ihrer die Beſteuerung des Einkommens der
höheren Stände, und dieſer alte Lieblingsgedanke des rheiniſchen Liberalis-
mus gewann neue Kraft ſeit die Lehren der Socialiſten ſich zu verbreiten
begannen. Allerdings waren die Uebelſtände, welche die Mahl- und Schlacht-
ſteuer bewirkte, im ganzen Lande bekannt; die Beläſtigung des kleinen
Verkehrs an den Stadtthoren forderte den Unterſchleif geradezu heraus,
in manchen Städten kam jährlich ſchon auf 300, in einzelnen gar auf
200 Einwohner ein entdeckter Uebertretungsfall. Gleichwohl hatte ſich
auch hier wieder die alte Erfahrung bewährt, daß eine theoretiſch ſehr an-
fechtbare Abgabe, wenn ſie lange beſteht und die Abwälzung ſich vollzogen
hat, im praktiſchen Leben ohne ſonderliche Beſchwerde ertragen wird. Die
kleinen Leute litten unter dieſer verrufenen Steuer wenig oder gar nicht;
vielmehr drängten ſich die Arbeiter maſſenhaft gerade in die mahl- und
ſchlachtſteuerpflichtigen Städte, weil ihnen die Steuer durch den höheren
Arbeitslohn reichlich erſetzt wurde. Und war es denn ſo ſicher, daß die
Preiſe von Brot und Fleiſch nach Aufhebung der Steuer beträchtlich ſinken
mußten? Unbeſchränkter Wettbewerb beſtand wohl im großen Verkehr,
doch nicht im Kleinhandel mit Lebensmitteln, welche der Regel nach in
der Nachbarſchaft der Kunden hergeſtellt wurden; fiel die Steuer hinweg,
ſo war es für die geringe Zahl der ſtädtiſchen Bäcker und Metzger offen-
bar vortheilhaft, wenn ſie einander nicht gegenſeitig unterboten, ſondern
gemeinſam die Preiſe auf der alten Höhe zu halten ſuchten.
Die Frage war ſehr ſchwierig. Der erfahrene General-Steuerdirector
Kühne konnte ſich von der unbedingten Nothwendigkeit der Reform durch-
aus nicht überzeugen. Aus politiſchen Gründen hielt er jedoch für rathſam,
daß die Regierung aufregenden Anträgen der Stände ſelbſt zuvorkäme
durch einen Vorſchlag, der als ein Zugeſtändniß an die liberale öffentliche
Meinung freundlicher Aufnahme ſicher war und, wenn er doch ſcheiterte,
die beſtehende Ordnung des Staatshaushalts nicht gefährden konnte. *)
*) So geſteht Kühne in ſeinen Denkwürdigkeiten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/642>, abgerufen am 27.11.2024.
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