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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verwerfung der Ostbahn-Anleihe.
eine schöne Denkmünze vorlegen lassen: da stand, umgeben von den vier
Ständen, der Genius Preußens, mit der Gesetztafel des Patentes hoch in
der Hand, und der Dämon der Empörung floh hinweg. Und jetzt lohnte
ihm seine Lieblingsprovinz eine große königliche Wohlthat mit schnöder
Verneinung und verführte auch die anderen Provinzen zur Unbotmäßigkeit!
Den Ehrennamen der "Preußen" wollte er diesen Undankbaren in Schrift
und Rede kaum noch gönnen. In höchstem Zorne schrieb er sofort (8. Juni)
an Thile: "Es ist gut, daß den ,Preußen' die Strafe ihres wahnsinnigen
Votirens gewaltiglich vor's Angesicht gestellt werde. Es ist mein Wille,
daß angenblicklich alle Arbeiten an der Weichselbrücke und Eisen-
bahn
eingestellt werden. Mich macht das Verwerfen der Anleihe nicht
kalt und nicht warm. Es soll aber die ,Preußen' kalt und warm machen."
Auch General Boyen war über das Verhalten seiner Landsleute entsetzt
und stimmte mit dem Monarchen dahin überein: besser "eine That des
Ernstes
, welche den Ständen andere Thaten des Ernstes und
der Strenge
ahnden läßt als eine Antwort ohne That auf eine Pe-
tition viele Tage nach dem gegebenen Skandal." Als einige der
anderen Minister dem Monarchen vorstellten, Vertrauen erwecke Vertrauen,
Gereiztheit erwecke Gereiztheit, da erwiderte er heftig: "Keiner der an-
geführten Gründe faßt. Ernstes Handeln (nicht Reden) war nach meiner
tiefsten Ueberzeugung hier geboten. Es mußte dem erkrankenden Landtag
und den in Ungesetzlichkeit ersoffenen ,Preußen' in specie ein Eimer kaltes
Wasser über den Kopf gegossen werden. Trotz ihres Soffs wissen sie
meisterlich das a propos zu treffen. Man muß mit derselben Waffe des
a propos und zwar in der Realität der Staatsmacht sie bekämpfen."*)

Der König beharrte bei seinem Willen. Lentze und seine Leute waren
gerade in ihrem Maschinenhause feierlich versammelt um zuzuschauen, wie
das erste Eisenstück mit dem eingeformten Bergmannsgruße Glückauf!
gegossen wurde; in diesem Augenblicke kam der königliche Befehl, alle
Arbeiten sofort einzustellen. Welch ein Eindruck! Drei Jahre lang blieb
der Brückenbau unterbrochen, nur die Deicharbeiten wurden fortgeführt.
Die Provinz, die ja vor Kurzem erst so dringend um den Bau der Ost-
bahn gebeten, empfand den Schlag sehr schwer, und es zeigte sich un-
zweideutig, daß die 18 Abgeordneten, welche für die Anleihe gestimmt
hatten, mindestens unter den schlichten Leuten des flachen Landes mehr
Anhänger besaßen als die 65 Verneinenden. Wer konnte auch die über-
feinen Rechtsbedenken begreifen, die das Ordensland um eine solche Wohl-
that gebracht hatten? Volksthümlich, gemeinverständlich war die Haltung
der Landtagsmehrheit nicht. Friedrich Wilhelm hatte jetzt alles Vertrauen
zu seinen Ständen verloren, er mochte ihre Verhandlungen gar nicht mehr

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. 10. Juni; Randbemerkung zu Thile's
Denkschrift vom 10. Juni 1847.
40*

Verwerfung der Oſtbahn-Anleihe.
eine ſchöne Denkmünze vorlegen laſſen: da ſtand, umgeben von den vier
Ständen, der Genius Preußens, mit der Geſetztafel des Patentes hoch in
der Hand, und der Dämon der Empörung floh hinweg. Und jetzt lohnte
ihm ſeine Lieblingsprovinz eine große königliche Wohlthat mit ſchnöder
Verneinung und verführte auch die anderen Provinzen zur Unbotmäßigkeit!
Den Ehrennamen der „Preußen“ wollte er dieſen Undankbaren in Schrift
und Rede kaum noch gönnen. In höchſtem Zorne ſchrieb er ſofort (8. Juni)
an Thile: „Es iſt gut, daß den ‚Preußen‘ die Strafe ihres wahnſinnigen
Votirens gewaltiglich vor’s Angeſicht geſtellt werde. Es iſt mein Wille,
daß angenblicklich alle Arbeiten an der Weichſelbrücke und Eiſen-
bahn
eingeſtellt werden. Mich macht das Verwerfen der Anleihe nicht
kalt und nicht warm. Es ſoll aber die ‚Preußen‘ kalt und warm machen.“
Auch General Boyen war über das Verhalten ſeiner Landsleute entſetzt
und ſtimmte mit dem Monarchen dahin überein: beſſer „eine That des
Ernſtes
, welche den Ständen andere Thaten des Ernſtes und
der Strenge
ahnden läßt als eine Antwort ohne That auf eine Pe-
tition viele Tage nach dem gegebenen Skandal.“ Als einige der
anderen Miniſter dem Monarchen vorſtellten, Vertrauen erwecke Vertrauen,
Gereiztheit erwecke Gereiztheit, da erwiderte er heftig: „Keiner der an-
geführten Gründe faßt. Ernſtes Handeln (nicht Reden) war nach meiner
tiefſten Ueberzeugung hier geboten. Es mußte dem erkrankenden Landtag
und den in Ungeſetzlichkeit erſoffenen ‚Preußen‘ in specie ein Eimer kaltes
Waſſer über den Kopf gegoſſen werden. Trotz ihres Soffs wiſſen ſie
meiſterlich das à propos zu treffen. Man muß mit derſelben Waffe des
à propos und zwar in der Realität der Staatsmacht ſie bekämpfen.“*)

Der König beharrte bei ſeinem Willen. Lentze und ſeine Leute waren
gerade in ihrem Maſchinenhauſe feierlich verſammelt um zuzuſchauen, wie
das erſte Eiſenſtück mit dem eingeformten Bergmannsgruße Glückauf!
gegoſſen wurde; in dieſem Augenblicke kam der königliche Befehl, alle
Arbeiten ſofort einzuſtellen. Welch ein Eindruck! Drei Jahre lang blieb
der Brückenbau unterbrochen, nur die Deicharbeiten wurden fortgeführt.
Die Provinz, die ja vor Kurzem erſt ſo dringend um den Bau der Oſt-
bahn gebeten, empfand den Schlag ſehr ſchwer, und es zeigte ſich un-
zweideutig, daß die 18 Abgeordneten, welche für die Anleihe geſtimmt
hatten, mindeſtens unter den ſchlichten Leuten des flachen Landes mehr
Anhänger beſaßen als die 65 Verneinenden. Wer konnte auch die über-
feinen Rechtsbedenken begreifen, die das Ordensland um eine ſolche Wohl-
that gebracht hatten? Volksthümlich, gemeinverſtändlich war die Haltung
der Landtagsmehrheit nicht. Friedrich Wilhelm hatte jetzt alles Vertrauen
zu ſeinen Ständen verloren, er mochte ihre Verhandlungen gar nicht mehr

*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. 10. Juni; Randbemerkung zu Thile’s
Denkſchrift vom 10. Juni 1847.
40*
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[627/0641] Verwerfung der Oſtbahn-Anleihe. eine ſchöne Denkmünze vorlegen laſſen: da ſtand, umgeben von den vier Ständen, der Genius Preußens, mit der Geſetztafel des Patentes hoch in der Hand, und der Dämon der Empörung floh hinweg. Und jetzt lohnte ihm ſeine Lieblingsprovinz eine große königliche Wohlthat mit ſchnöder Verneinung und verführte auch die anderen Provinzen zur Unbotmäßigkeit! Den Ehrennamen der „Preußen“ wollte er dieſen Undankbaren in Schrift und Rede kaum noch gönnen. In höchſtem Zorne ſchrieb er ſofort (8. Juni) an Thile: „Es iſt gut, daß den ‚Preußen‘ die Strafe ihres wahnſinnigen Votirens gewaltiglich vor’s Angeſicht geſtellt werde. Es iſt mein Wille, daß angenblicklich alle Arbeiten an der Weichſelbrücke und Eiſen- bahn eingeſtellt werden. Mich macht das Verwerfen der Anleihe nicht kalt und nicht warm. Es ſoll aber die ‚Preußen‘ kalt und warm machen.“ Auch General Boyen war über das Verhalten ſeiner Landsleute entſetzt und ſtimmte mit dem Monarchen dahin überein: beſſer „eine That des Ernſtes, welche den Ständen andere Thaten des Ernſtes und der Strenge ahnden läßt als eine Antwort ohne That auf eine Pe- tition viele Tage nach dem gegebenen Skandal.“ Als einige der anderen Miniſter dem Monarchen vorſtellten, Vertrauen erwecke Vertrauen, Gereiztheit erwecke Gereiztheit, da erwiderte er heftig: „Keiner der an- geführten Gründe faßt. Ernſtes Handeln (nicht Reden) war nach meiner tiefſten Ueberzeugung hier geboten. Es mußte dem erkrankenden Landtag und den in Ungeſetzlichkeit erſoffenen ‚Preußen‘ in specie ein Eimer kaltes Waſſer über den Kopf gegoſſen werden. Trotz ihres Soffs wiſſen ſie meiſterlich das à propos zu treffen. Man muß mit derſelben Waffe des à propos und zwar in der Realität der Staatsmacht ſie bekämpfen.“ *) Der König beharrte bei ſeinem Willen. Lentze und ſeine Leute waren gerade in ihrem Maſchinenhauſe feierlich verſammelt um zuzuſchauen, wie das erſte Eiſenſtück mit dem eingeformten Bergmannsgruße Glückauf! gegoſſen wurde; in dieſem Augenblicke kam der königliche Befehl, alle Arbeiten ſofort einzuſtellen. Welch ein Eindruck! Drei Jahre lang blieb der Brückenbau unterbrochen, nur die Deicharbeiten wurden fortgeführt. Die Provinz, die ja vor Kurzem erſt ſo dringend um den Bau der Oſt- bahn gebeten, empfand den Schlag ſehr ſchwer, und es zeigte ſich un- zweideutig, daß die 18 Abgeordneten, welche für die Anleihe geſtimmt hatten, mindeſtens unter den ſchlichten Leuten des flachen Landes mehr Anhänger beſaßen als die 65 Verneinenden. Wer konnte auch die über- feinen Rechtsbedenken begreifen, die das Ordensland um eine ſolche Wohl- that gebracht hatten? Volksthümlich, gemeinverſtändlich war die Haltung der Landtagsmehrheit nicht. Friedrich Wilhelm hatte jetzt alles Vertrauen zu ſeinen Ständen verloren, er mochte ihre Verhandlungen gar nicht mehr *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 8. 10. Juni; Randbemerkung zu Thile’s Denkſchrift vom 10. Juni 1847. 40*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/641>, abgerufen am 27.11.2024.