Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
schaft zusammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land-
tags besaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber
von dieser gefährlichen Befugniß versuchten nur zweimal, ganz zu Anfang
der Tagung, einzelne Heißsporne Gebrauch zu machen. Beide male ver-
geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur-
gewalt der nationalen Einheit, der Ernst des preußischen Staatsgedankens
hielt alle Sondergelüste darnieder. Das war es was Metternich vor
Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oesterreich und Frankreich die ge-
borenen Feinde der deutschen Einheit waren, und warnte Guizot vor den
großen Gefahren, welche dieser Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe;
er stachelte die particularistische Angst des Königs von Württemberg gegen
das Deutschthum und den "Alles oder nichts sagenden Begriff" der Natio-
nalität. Als festes Bollwerk wider das werdende Deutschland dort im
Norden empfahl er den Deutschen Bund, die natürliche Stütze des Parti-
cularismus.

Zum ersten male seit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände
als eine selbständige Macht der Krone gegenüber; und wie stark und mannich-
faltig erschien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie
wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältnissen des wirk-
lichen deutschen Staates gewußt. "Preußen hat wieder einen Adel" --
so sagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land-
läufige Zerrbild vom preußischen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf
die tapferen, gebildeten, patriotischen Edelleute, die im Vereinigten Land-
tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf-
traten; viele von ihnen erklärten sich sogar bereit -- freisinniger als der
bairische Adel -- auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Fast
noch mehr überraschte die Deutschen der Kleinstaaten das stolze Selbst-
gefühl des preußischen Bürgerthums, das in der älteren Geschichte der
Monarchie fast immer nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, jetzt aber,
rasch erstarkt unter dem Schutze des Zollvereins, seine großen wirthschaft-
lichen Interessen nachdrücklich vertrat. Auch das alte streng protestantische
Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntnisse ward in den Formen
überall sorgsam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhasser
wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfest als
einen Feiertag ehrte.

Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großstädtischer Zug in das
Berliner Leben, seit die Fürsten und Grafen des Westens, die schle-
sischen Granden und der ostpreußische Adel, der bisher immer still da-
heim geblieben war, alle bei Hofe erschienen und der König auch die
Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu seinen Festen lud; erst
seit diesen Anfängen der parlamentarischen Kämpfe begann Berlin zur
wirklichen Hauptstadt zu werden. Und wie reich war dieser erste Land-
tag an rednerischen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ſchaft zuſammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land-
tags beſaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber
von dieſer gefährlichen Befugniß verſuchten nur zweimal, ganz zu Anfang
der Tagung, einzelne Heißſporne Gebrauch zu machen. Beide male ver-
geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur-
gewalt der nationalen Einheit, der Ernſt des preußiſchen Staatsgedankens
hielt alle Sondergelüſte darnieder. Das war es was Metternich vor
Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oeſterreich und Frankreich die ge-
borenen Feinde der deutſchen Einheit waren, und warnte Guizot vor den
großen Gefahren, welche dieſer Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe;
er ſtachelte die particulariſtiſche Angſt des Königs von Württemberg gegen
das Deutſchthum und den „Alles oder nichts ſagenden Begriff“ der Natio-
nalität. Als feſtes Bollwerk wider das werdende Deutſchland dort im
Norden empfahl er den Deutſchen Bund, die natürliche Stütze des Parti-
cularismus.

Zum erſten male ſeit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände
als eine ſelbſtändige Macht der Krone gegenüber; und wie ſtark und mannich-
faltig erſchien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie
wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältniſſen des wirk-
lichen deutſchen Staates gewußt. „Preußen hat wieder einen Adel“ —
ſo ſagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land-
läufige Zerrbild vom preußiſchen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf
die tapferen, gebildeten, patriotiſchen Edelleute, die im Vereinigten Land-
tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf-
traten; viele von ihnen erklärten ſich ſogar bereit — freiſinniger als der
bairiſche Adel — auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Faſt
noch mehr überraſchte die Deutſchen der Kleinſtaaten das ſtolze Selbſt-
gefühl des preußiſchen Bürgerthums, das in der älteren Geſchichte der
Monarchie faſt immer nur eine beſcheidene Rolle geſpielt hatte, jetzt aber,
raſch erſtarkt unter dem Schutze des Zollvereins, ſeine großen wirthſchaft-
lichen Intereſſen nachdrücklich vertrat. Auch das alte ſtreng proteſtantiſche
Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntniſſe ward in den Formen
überall ſorgſam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhaſſer
wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfeſt als
einen Feiertag ehrte.

Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großſtädtiſcher Zug in das
Berliner Leben, ſeit die Fürſten und Grafen des Weſtens, die ſchle-
ſiſchen Granden und der oſtpreußiſche Adel, der bisher immer ſtill da-
heim geblieben war, alle bei Hofe erſchienen und der König auch die
Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu ſeinen Feſten lud; erſt
ſeit dieſen Anfängen der parlamentariſchen Kämpfe begann Berlin zur
wirklichen Hauptſtadt zu werden. Und wie reich war dieſer erſte Land-
tag an redneriſchen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0630" n="616"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 8. Der Vereinigte Landtag.</fw><lb/>
&#x017F;chaft zu&#x017F;ammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land-<lb/>
tags be&#x017F;aßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber<lb/>
von die&#x017F;er gefährlichen Befugniß ver&#x017F;uchten nur zweimal, ganz zu Anfang<lb/>
der Tagung, einzelne Heiß&#x017F;porne Gebrauch zu machen. Beide male ver-<lb/>
geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur-<lb/>
gewalt der nationalen Einheit, der Ern&#x017F;t des preußi&#x017F;chen Staatsgedankens<lb/>
hielt alle Sondergelü&#x017F;te darnieder. Das war es was Metternich vor<lb/>
Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oe&#x017F;terreich und Frankreich die ge-<lb/>
borenen Feinde der deut&#x017F;chen Einheit waren, und warnte Guizot vor den<lb/>
großen Gefahren, welche die&#x017F;er Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe;<lb/>
er &#x017F;tachelte die particulari&#x017F;ti&#x017F;che Ang&#x017F;t des Königs von Württemberg gegen<lb/>
das Deut&#x017F;chthum und den &#x201E;Alles oder nichts &#x017F;agenden Begriff&#x201C; der Natio-<lb/>
nalität. Als fe&#x017F;tes Bollwerk wider das werdende Deut&#x017F;chland dort im<lb/>
Norden empfahl er den Deut&#x017F;chen Bund, die natürliche Stütze des Parti-<lb/>
cularismus.</p><lb/>
          <p>Zum er&#x017F;ten male &#x017F;eit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände<lb/>
als eine &#x017F;elb&#x017F;tändige Macht der Krone gegenüber; und wie &#x017F;tark und mannich-<lb/>
faltig er&#x017F;chien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie<lb/>
wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältni&#x017F;&#x017F;en des wirk-<lb/>
lichen deut&#x017F;chen Staates gewußt. &#x201E;Preußen hat wieder einen Adel&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x017F;o &#x017F;agte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land-<lb/>
läufige Zerrbild vom preußi&#x017F;chen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf<lb/>
die tapferen, gebildeten, patrioti&#x017F;chen Edelleute, die im Vereinigten Land-<lb/>
tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf-<lb/>
traten; viele von ihnen erklärten &#x017F;ich &#x017F;ogar bereit &#x2014; frei&#x017F;inniger als der<lb/>
bairi&#x017F;che Adel &#x2014; auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Fa&#x017F;t<lb/>
noch mehr überra&#x017F;chte die Deut&#x017F;chen der Klein&#x017F;taaten das &#x017F;tolze Selb&#x017F;t-<lb/>
gefühl des preußi&#x017F;chen Bürgerthums, das in der älteren Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Monarchie fa&#x017F;t immer nur eine be&#x017F;cheidene Rolle ge&#x017F;pielt hatte, jetzt aber,<lb/>
ra&#x017F;ch er&#x017F;tarkt unter dem Schutze des Zollvereins, &#x017F;eine großen wirth&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Intere&#x017F;&#x017F;en nachdrücklich vertrat. Auch das alte &#x017F;treng prote&#x017F;tanti&#x017F;che<lb/>
Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntni&#x017F;&#x017F;e ward in den Formen<lb/>
überall &#x017F;org&#x017F;am gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenha&#x017F;&#x017F;er<lb/>
wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfe&#x017F;t als<lb/>
einen Feiertag ehrte.</p><lb/>
          <p>Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, groß&#x017F;tädti&#x017F;cher Zug in das<lb/>
Berliner Leben, &#x017F;eit die Für&#x017F;ten und Grafen des We&#x017F;tens, die &#x017F;chle-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Granden und der o&#x017F;tpreußi&#x017F;che Adel, der bisher immer &#x017F;till da-<lb/>
heim geblieben war, alle bei Hofe er&#x017F;chienen und der König auch die<lb/>
Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu &#x017F;einen Fe&#x017F;ten lud; er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eit die&#x017F;en Anfängen der parlamentari&#x017F;chen Kämpfe begann Berlin zur<lb/>
wirklichen Haupt&#x017F;tadt zu werden. Und wie reich war die&#x017F;er er&#x017F;te Land-<lb/>
tag an redneri&#x017F;chen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[616/0630] V. 8. Der Vereinigte Landtag. ſchaft zuſammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land- tags beſaßen das Recht, die Sonderung in Theile zu verlangen; aber von dieſer gefährlichen Befugniß verſuchten nur zweimal, ganz zu Anfang der Tagung, einzelne Heißſporne Gebrauch zu machen. Beide male ver- geblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Natur- gewalt der nationalen Einheit, der Ernſt des preußiſchen Staatsgedankens hielt alle Sondergelüſte darnieder. Das war es was Metternich vor Allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Oeſterreich und Frankreich die ge- borenen Feinde der deutſchen Einheit waren, und warnte Guizot vor den großen Gefahren, welche dieſer Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe; er ſtachelte die particulariſtiſche Angſt des Königs von Württemberg gegen das Deutſchthum und den „Alles oder nichts ſagenden Begriff“ der Natio- nalität. Als feſtes Bollwerk wider das werdende Deutſchland dort im Norden empfahl er den Deutſchen Bund, die natürliche Stütze des Parti- cularismus. Zum erſten male ſeit es ein Königreich Preußen gab traten die Stände als eine ſelbſtändige Macht der Krone gegenüber; und wie ſtark und mannich- faltig erſchien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhältniſſen des wirk- lichen deutſchen Staates gewußt. „Preußen hat wieder einen Adel“ — ſo ſagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das land- läufige Zerrbild vom preußiſchen Junkerthum paßte wahrhaftig nicht auf die tapferen, gebildeten, patriotiſchen Edelleute, die im Vereinigten Land- tage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimüthig auf- traten; viele von ihnen erklärten ſich ſogar bereit — freiſinniger als der bairiſche Adel — auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Faſt noch mehr überraſchte die Deutſchen der Kleinſtaaten das ſtolze Selbſt- gefühl des preußiſchen Bürgerthums, das in der älteren Geſchichte der Monarchie faſt immer nur eine beſcheidene Rolle geſpielt hatte, jetzt aber, raſch erſtarkt unter dem Schutze des Zollvereins, ſeine großen wirthſchaft- lichen Intereſſen nachdrücklich vertrat. Auch das alte ſtreng proteſtantiſche Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntniſſe ward in den Formen überall ſorgſam gewahrt, und die aufgeklärten Berliner Katholikenhaſſer wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Frohnleichnamsfeſt als einen Feiertag ehrte. Ueberhaupt kam ein neuer, freierer, großſtädtiſcher Zug in das Berliner Leben, ſeit die Fürſten und Grafen des Weſtens, die ſchle- ſiſchen Granden und der oſtpreußiſche Adel, der bisher immer ſtill da- heim geblieben war, alle bei Hofe erſchienen und der König auch die Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu ſeinen Feſten lud; erſt ſeit dieſen Anfängen der parlamentariſchen Kämpfe begann Berlin zur wirklichen Hauptſtadt zu werden. Und wie reich war dieſer erſte Land- tag an redneriſchen Talenten, an muthigen, erfahrenen, ehrenhaften

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/630
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/630>, abgerufen am 03.05.2024.