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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 8. Der Vereinigte Landtag.
einst dies leidige Auskunftsmittel falscher Sparsamkeit genehmigt und nachher
(1837) ausdrücklich verfügt, die Neuerung müsse aufhören, sobald "die Ver-
hältnisse die allgemeine Verlängerung der Dienstzeit bei der Infanterie
gestatteten". Seine Befürchtungen rechtfertigten sich nur zu sehr. Die
zweijährige Dienstzeit brachte zwar den doppelten Vortheil, daß nunmehr
eine stärkere Anzahl von Wehrpflichtigen eingestellt und alle Landwehr-
männer im stehenden Heere ausgebildet werden konnten, während im Jahre
1831 noch die größere Hälfte der Landwehr aus mangelhaft oder gar nicht
geschulten Landwehr-Rekruten bestanden hatte. Dafür sank die Kriegs-
tüchtigkeit der Linie selbst; die faulen und unlustigen Leute ließen sich
gehen, da sie wußten, daß sie doch allesammt nach zwei Jahren entlassen
würden, die Offiziere erlagen fast der Last der Arbeit, seit sie Jahr für
Jahr die Hälfte ihrer Compagnie neu ausbilden mußten, und immer wie-
der mahnte der Prinz von Preußen: die Erfahrung lehre, daß diese un-
mäßig verkürzte Dienstzeit die Armee verderbe.

Wohl stand das preußische Heer noch immer unter allen deutschen
Contingenten obenan; doch dies wollte leider nicht viel sagen. Sollte
Preußen seiner großen Zukunft sicher entgegengehen, so mußte endlich
einmal eine starke Ausgabe für das so lange kümmerlich behandelte Heer
gewagt werden. Die Finanzen blühten, die wirthschaftliche Kraft des Volks
war jetzt genugsam erstarkt. Solches vermochte freilich nur ein starker
Wille, denn in diesem Staate hing das Heerwesen mit der gesammten
Verfassung innig zusammen. Wenn die Krone den unseligen Verfassungs-
streit rechtzeitig abschloß, so daß sie fortan den Eisenbahnbau durch un-
anfechtbare Anleihen sichern konnte, dann boten ihr die reichen Ueber-
schüsse des Staatshaushalts und vielleicht noch ein mäßiger Steuerzuschlag
vollauf genügende Mittel um die gesetzliche dreijährige Dienstzeit wieder
einzuführen und das stehende Heer durch einige Jahrgänge der jüngsten
Wehrmänner also zu verstärken, daß die Masse der Landwehr, ihrem ur-
sprünglichen Berufe gemäß, der Regel nach nur in der Heimath zu dienen
brauchte. An so kühne Reformgedanken wollte aber Boyen jetzt im hohen
Alter nicht mehr herantreten. Ihm verdankte Preußen das Wehrgesetz,
und zweimal im Leben einen so großen Wurf zu wagen übersteigt fast
die Kräfte eines Mannes. Der friedfertige König vollends war für ver-
wegene militärische Pläne ganz unzugänglich, er hatte sich heilig vor-
genommen, die Steuern bei seinen Lebzeiten nie zu erhöhen; und nun gar
die öffentliche Meinung, die beständig über die schwere Militärlast klagte,
hätte damals eine Verstärkung des Heeres gradezu als Wahnsinn betrachtet,
sie bedurfte noch langer, wirrenreicher Jahre, bis sie das Nothwendige
endlich einsah. So blieb es denn bei der alten Ordnung, das stehende
Heer vermehrte sich, trotz der stärkeren Einstellung, nicht um einen Mann.
Die Ausgaben für das Heer stiegen in diesen acht Jahren von 25 auf
mehr als 28 Mill. Thlr., weil die Neubewaffnung des Fußvolks, die Um-

V. 8. Der Vereinigte Landtag.
einſt dies leidige Auskunftsmittel falſcher Sparſamkeit genehmigt und nachher
(1837) ausdrücklich verfügt, die Neuerung müſſe aufhören, ſobald „die Ver-
hältniſſe die allgemeine Verlängerung der Dienſtzeit bei der Infanterie
geſtatteten“. Seine Befürchtungen rechtfertigten ſich nur zu ſehr. Die
zweijährige Dienſtzeit brachte zwar den doppelten Vortheil, daß nunmehr
eine ſtärkere Anzahl von Wehrpflichtigen eingeſtellt und alle Landwehr-
männer im ſtehenden Heere ausgebildet werden konnten, während im Jahre
1831 noch die größere Hälfte der Landwehr aus mangelhaft oder gar nicht
geſchulten Landwehr-Rekruten beſtanden hatte. Dafür ſank die Kriegs-
tüchtigkeit der Linie ſelbſt; die faulen und unluſtigen Leute ließen ſich
gehen, da ſie wußten, daß ſie doch alleſammt nach zwei Jahren entlaſſen
würden, die Offiziere erlagen faſt der Laſt der Arbeit, ſeit ſie Jahr für
Jahr die Hälfte ihrer Compagnie neu ausbilden mußten, und immer wie-
der mahnte der Prinz von Preußen: die Erfahrung lehre, daß dieſe un-
mäßig verkürzte Dienſtzeit die Armee verderbe.

Wohl ſtand das preußiſche Heer noch immer unter allen deutſchen
Contingenten obenan; doch dies wollte leider nicht viel ſagen. Sollte
Preußen ſeiner großen Zukunft ſicher entgegengehen, ſo mußte endlich
einmal eine ſtarke Ausgabe für das ſo lange kümmerlich behandelte Heer
gewagt werden. Die Finanzen blühten, die wirthſchaftliche Kraft des Volks
war jetzt genugſam erſtarkt. Solches vermochte freilich nur ein ſtarker
Wille, denn in dieſem Staate hing das Heerweſen mit der geſammten
Verfaſſung innig zuſammen. Wenn die Krone den unſeligen Verfaſſungs-
ſtreit rechtzeitig abſchloß, ſo daß ſie fortan den Eiſenbahnbau durch un-
anfechtbare Anleihen ſichern konnte, dann boten ihr die reichen Ueber-
ſchüſſe des Staatshaushalts und vielleicht noch ein mäßiger Steuerzuſchlag
vollauf genügende Mittel um die geſetzliche dreijährige Dienſtzeit wieder
einzuführen und das ſtehende Heer durch einige Jahrgänge der jüngſten
Wehrmänner alſo zu verſtärken, daß die Maſſe der Landwehr, ihrem ur-
ſprünglichen Berufe gemäß, der Regel nach nur in der Heimath zu dienen
brauchte. An ſo kühne Reformgedanken wollte aber Boyen jetzt im hohen
Alter nicht mehr herantreten. Ihm verdankte Preußen das Wehrgeſetz,
und zweimal im Leben einen ſo großen Wurf zu wagen überſteigt faſt
die Kräfte eines Mannes. Der friedfertige König vollends war für ver-
wegene militäriſche Pläne ganz unzugänglich, er hatte ſich heilig vor-
genommen, die Steuern bei ſeinen Lebzeiten nie zu erhöhen; und nun gar
die öffentliche Meinung, die beſtändig über die ſchwere Militärlaſt klagte,
hätte damals eine Verſtärkung des Heeres gradezu als Wahnſinn betrachtet,
ſie bedurfte noch langer, wirrenreicher Jahre, bis ſie das Nothwendige
endlich einſah. So blieb es denn bei der alten Ordnung, das ſtehende
Heer vermehrte ſich, trotz der ſtärkeren Einſtellung, nicht um einen Mann.
Die Ausgaben für das Heer ſtiegen in dieſen acht Jahren von 25 auf
mehr als 28 Mill. Thlr., weil die Neubewaffnung des Fußvolks, die Um-

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[594/0608] V. 8. Der Vereinigte Landtag. einſt dies leidige Auskunftsmittel falſcher Sparſamkeit genehmigt und nachher (1837) ausdrücklich verfügt, die Neuerung müſſe aufhören, ſobald „die Ver- hältniſſe die allgemeine Verlängerung der Dienſtzeit bei der Infanterie geſtatteten“. Seine Befürchtungen rechtfertigten ſich nur zu ſehr. Die zweijährige Dienſtzeit brachte zwar den doppelten Vortheil, daß nunmehr eine ſtärkere Anzahl von Wehrpflichtigen eingeſtellt und alle Landwehr- männer im ſtehenden Heere ausgebildet werden konnten, während im Jahre 1831 noch die größere Hälfte der Landwehr aus mangelhaft oder gar nicht geſchulten Landwehr-Rekruten beſtanden hatte. Dafür ſank die Kriegs- tüchtigkeit der Linie ſelbſt; die faulen und unluſtigen Leute ließen ſich gehen, da ſie wußten, daß ſie doch alleſammt nach zwei Jahren entlaſſen würden, die Offiziere erlagen faſt der Laſt der Arbeit, ſeit ſie Jahr für Jahr die Hälfte ihrer Compagnie neu ausbilden mußten, und immer wie- der mahnte der Prinz von Preußen: die Erfahrung lehre, daß dieſe un- mäßig verkürzte Dienſtzeit die Armee verderbe. Wohl ſtand das preußiſche Heer noch immer unter allen deutſchen Contingenten obenan; doch dies wollte leider nicht viel ſagen. Sollte Preußen ſeiner großen Zukunft ſicher entgegengehen, ſo mußte endlich einmal eine ſtarke Ausgabe für das ſo lange kümmerlich behandelte Heer gewagt werden. Die Finanzen blühten, die wirthſchaftliche Kraft des Volks war jetzt genugſam erſtarkt. Solches vermochte freilich nur ein ſtarker Wille, denn in dieſem Staate hing das Heerweſen mit der geſammten Verfaſſung innig zuſammen. Wenn die Krone den unſeligen Verfaſſungs- ſtreit rechtzeitig abſchloß, ſo daß ſie fortan den Eiſenbahnbau durch un- anfechtbare Anleihen ſichern konnte, dann boten ihr die reichen Ueber- ſchüſſe des Staatshaushalts und vielleicht noch ein mäßiger Steuerzuſchlag vollauf genügende Mittel um die geſetzliche dreijährige Dienſtzeit wieder einzuführen und das ſtehende Heer durch einige Jahrgänge der jüngſten Wehrmänner alſo zu verſtärken, daß die Maſſe der Landwehr, ihrem ur- ſprünglichen Berufe gemäß, der Regel nach nur in der Heimath zu dienen brauchte. An ſo kühne Reformgedanken wollte aber Boyen jetzt im hohen Alter nicht mehr herantreten. Ihm verdankte Preußen das Wehrgeſetz, und zweimal im Leben einen ſo großen Wurf zu wagen überſteigt faſt die Kräfte eines Mannes. Der friedfertige König vollends war für ver- wegene militäriſche Pläne ganz unzugänglich, er hatte ſich heilig vor- genommen, die Steuern bei ſeinen Lebzeiten nie zu erhöhen; und nun gar die öffentliche Meinung, die beſtändig über die ſchwere Militärlaſt klagte, hätte damals eine Verſtärkung des Heeres gradezu als Wahnſinn betrachtet, ſie bedurfte noch langer, wirrenreicher Jahre, bis ſie das Nothwendige endlich einſah. So blieb es denn bei der alten Ordnung, das ſtehende Heer vermehrte ſich, trotz der ſtärkeren Einſtellung, nicht um einen Mann. Die Ausgaben für das Heer ſtiegen in dieſen acht Jahren von 25 auf mehr als 28 Mill. Thlr., weil die Neubewaffnung des Fußvolks, die Um-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/608>, abgerufen am 23.11.2024.