Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 7. Polen und Schleswigholstein. stian's einziger Sohn Friedrich blieb kinderlos; auch die zweite Ehe des Kron-prinzen mußte, gleich der ersten, nach wenigen Jahren getrennt werden, weil die Gemahlin die Roheit des Gatten nicht zu ertragen vermochte, und er weigerte sich, zum dritten male eine fürstliche Heirath zu wagen.*) Außer ihm lebte nur noch ein königlicher Prinz, der bejahrte kinderlose Bruder Christian's. Starb Kronprinz Friedrich dereinst, dann erlosch nach mensch- lichem Ermessen die königliche Linie und der dänische Gesammtstaat barst aus einander; denn in den Herzogthümern gebührte die Thronfolge nach altem Landesrecht dem Mannesstamme, den Augustenburgern, in Dänemark nach dem Königsgesetze dem Weiberstamme. Wenn der König diese Gefahr von seinem Reiche abwenden wollte, so mußte er die eine der beiden erbberechtigten Linien zu freiwilligem Verzicht bewegen, und nach den Ueberlieferungen seines Hauses wie nach allen Berechnungen der Staatsklugheit konnte er eine solche Zumuthung nur dem Weiberstamme stellen. Im vergangenen Jahr- hundert hatte der gesammte Norden, Rußland wie die drei Kronen Skan- dinaviens, dem Hause Holstein-Oldenburg angehört; jetzt waren Schweden und Norwegen verloren, und es erschien wie ein dynastischer Selbstmord, wenn ein oldenburgischer König auch noch versuchte, ein dem Norden fremdes Fürstengeschlecht auf den dänischen Thron zu erheben. Nächster Erbe aus dem Weiberstamme war -- möglicherweise, aber So einfach lagen die Dinge, wenn der König unbefangen rechnete. *) Schoultz-Ascheraden's Bericht, 10. Mai 1846. **) Ich benutze hier u. A. eine Denkschrift des klugen und wohl unterrichteten Le-
gationsraths Grafen v. Bülow (Notizen für Kopenhagen, für General von Gerlach, Berlin, Febr. 1848). V. 7. Polen und Schleswigholſtein. ſtian’s einziger Sohn Friedrich blieb kinderlos; auch die zweite Ehe des Kron-prinzen mußte, gleich der erſten, nach wenigen Jahren getrennt werden, weil die Gemahlin die Roheit des Gatten nicht zu ertragen vermochte, und er weigerte ſich, zum dritten male eine fürſtliche Heirath zu wagen.*) Außer ihm lebte nur noch ein königlicher Prinz, der bejahrte kinderloſe Bruder Chriſtian’s. Starb Kronprinz Friedrich dereinſt, dann erloſch nach menſch- lichem Ermeſſen die königliche Linie und der däniſche Geſammtſtaat barſt aus einander; denn in den Herzogthümern gebührte die Thronfolge nach altem Landesrecht dem Mannesſtamme, den Auguſtenburgern, in Dänemark nach dem Königsgeſetze dem Weiberſtamme. Wenn der König dieſe Gefahr von ſeinem Reiche abwenden wollte, ſo mußte er die eine der beiden erbberechtigten Linien zu freiwilligem Verzicht bewegen, und nach den Ueberlieferungen ſeines Hauſes wie nach allen Berechnungen der Staatsklugheit konnte er eine ſolche Zumuthung nur dem Weiberſtamme ſtellen. Im vergangenen Jahr- hundert hatte der geſammte Norden, Rußland wie die drei Kronen Skan- dinaviens, dem Hauſe Holſtein-Oldenburg angehört; jetzt waren Schweden und Norwegen verloren, und es erſchien wie ein dynaſtiſcher Selbſtmord, wenn ein oldenburgiſcher König auch noch verſuchte, ein dem Norden fremdes Fürſtengeſchlecht auf den däniſchen Thron zu erheben. Nächſter Erbe aus dem Weiberſtamme war — möglicherweiſe, aber So einfach lagen die Dinge, wenn der König unbefangen rechnete. *) Schoultz-Aſcheraden’s Bericht, 10. Mai 1846. **) Ich benutze hier u. A. eine Denkſchrift des klugen und wohl unterrichteten Le-
gationsraths Grafen v. Bülow (Notizen für Kopenhagen, für General von Gerlach, Berlin, Febr. 1848). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0580" n="566"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 7. Polen und Schleswigholſtein.</fw><lb/> ſtian’s einziger Sohn Friedrich blieb kinderlos; auch die zweite Ehe des Kron-<lb/> prinzen mußte, gleich der erſten, nach wenigen Jahren getrennt werden, weil<lb/> die Gemahlin die Roheit des Gatten nicht zu ertragen vermochte, und er<lb/> weigerte ſich, zum dritten male eine fürſtliche Heirath zu wagen.<note place="foot" n="*)">Schoultz-Aſcheraden’s Bericht, 10. Mai 1846.</note> Außer<lb/> ihm lebte nur noch ein königlicher Prinz, der bejahrte kinderloſe Bruder<lb/> Chriſtian’s. Starb Kronprinz Friedrich dereinſt, dann erloſch nach menſch-<lb/> lichem Ermeſſen die königliche Linie und der däniſche Geſammtſtaat barſt aus<lb/> einander; denn in den Herzogthümern gebührte die Thronfolge nach altem<lb/> Landesrecht dem Mannesſtamme, den Auguſtenburgern, in Dänemark nach<lb/> dem Königsgeſetze dem Weiberſtamme. Wenn der König dieſe Gefahr von<lb/> ſeinem Reiche abwenden wollte, ſo mußte er die eine der beiden erbberechtigten<lb/> Linien zu freiwilligem Verzicht bewegen, und nach den Ueberlieferungen ſeines<lb/> Hauſes wie nach allen Berechnungen der Staatsklugheit konnte er eine<lb/> ſolche Zumuthung nur dem Weiberſtamme ſtellen. Im vergangenen Jahr-<lb/> hundert hatte der geſammte Norden, Rußland wie die drei Kronen Skan-<lb/> dinaviens, dem Hauſe Holſtein-Oldenburg angehört; jetzt waren Schweden<lb/> und Norwegen verloren, und es erſchien wie ein dynaſtiſcher Selbſtmord,<lb/> wenn ein oldenburgiſcher König auch noch verſuchte, ein dem Norden fremdes<lb/> Fürſtengeſchlecht auf den däniſchen Thron zu erheben.</p><lb/> <p>Nächſter Erbe aus dem Weiberſtamme war — möglicherweiſe, aber<lb/> nicht gewiß, da die cognatiſche Erbfolge immer unſicherer bleibt als die agna-<lb/> tiſche — des Königs Schwager, der Gemahl der Prinzeſſin Charlotte, Land-<lb/> graf Wilhelm und, nach deſſen Ableben, ſein Sohn, Landgraf Friedrich<lb/> von Heſſen, ein eitler, leerer junger Menſch, der, ernſten Männern und<lb/> ernſten Geſprächen abhold, ſeine Zeit in ſchalen Vergnügungen vergeudete<lb/> und in Kopenhagen gar nichts galt. Ueberdies war Landgraf Friedrich<lb/> auch rechtmäßiger Thronfolger in Heſſen-Kaſſel, und wie konnte ein däniſcher<lb/> König wünſchen, die ſchwierigen Verhältniſſe ſeines Geſammtſtaats durch<lb/> eine Perſonal-Union mit Kurheſſen noch mehr zu verwirren? Bei dem<lb/> ſprichwörtlichen Geize des Hauſes Brabant ſchien es keineswegs unmöglich,<lb/> den Heſſen ihre noch nicht unzweifelhaften Erbanſprüche mit einem guten<lb/> Stück Geldes abzukaufen und alſo alle Länder der däniſchen Monarchie<lb/> unter dem Mannesſtamme des Hauſes Oldenburg zuſammenzuhalten.<lb/> Verſchaffte man dem Landgrafen durch die Gnade der deutſchen Großmächte<lb/> gar noch den Titel eines Königs von Heſſen, die heiß erſehnte Kattenkrone,<lb/> dann war nahezu ſicher, daß er auf Dänemark verzichtete, während die<lb/> Auguſtenburger wieder und wieder erklärt hatten, daß ſie ihre Anſprüche<lb/> auf Schleswigholſtein niemals aufgeben würden.<note place="foot" n="**)">Ich benutze hier u. A. eine Denkſchrift des klugen und wohl unterrichteten Le-<lb/> gationsraths Grafen v. Bülow (Notizen für Kopenhagen, für General von Gerlach,<lb/> Berlin, Febr. 1848).</note></p><lb/> <p>So einfach lagen die Dinge, wenn der König unbefangen rechnete.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [566/0580]
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
ſtian’s einziger Sohn Friedrich blieb kinderlos; auch die zweite Ehe des Kron-
prinzen mußte, gleich der erſten, nach wenigen Jahren getrennt werden, weil
die Gemahlin die Roheit des Gatten nicht zu ertragen vermochte, und er
weigerte ſich, zum dritten male eine fürſtliche Heirath zu wagen. *) Außer
ihm lebte nur noch ein königlicher Prinz, der bejahrte kinderloſe Bruder
Chriſtian’s. Starb Kronprinz Friedrich dereinſt, dann erloſch nach menſch-
lichem Ermeſſen die königliche Linie und der däniſche Geſammtſtaat barſt aus
einander; denn in den Herzogthümern gebührte die Thronfolge nach altem
Landesrecht dem Mannesſtamme, den Auguſtenburgern, in Dänemark nach
dem Königsgeſetze dem Weiberſtamme. Wenn der König dieſe Gefahr von
ſeinem Reiche abwenden wollte, ſo mußte er die eine der beiden erbberechtigten
Linien zu freiwilligem Verzicht bewegen, und nach den Ueberlieferungen ſeines
Hauſes wie nach allen Berechnungen der Staatsklugheit konnte er eine
ſolche Zumuthung nur dem Weiberſtamme ſtellen. Im vergangenen Jahr-
hundert hatte der geſammte Norden, Rußland wie die drei Kronen Skan-
dinaviens, dem Hauſe Holſtein-Oldenburg angehört; jetzt waren Schweden
und Norwegen verloren, und es erſchien wie ein dynaſtiſcher Selbſtmord,
wenn ein oldenburgiſcher König auch noch verſuchte, ein dem Norden fremdes
Fürſtengeſchlecht auf den däniſchen Thron zu erheben.
Nächſter Erbe aus dem Weiberſtamme war — möglicherweiſe, aber
nicht gewiß, da die cognatiſche Erbfolge immer unſicherer bleibt als die agna-
tiſche — des Königs Schwager, der Gemahl der Prinzeſſin Charlotte, Land-
graf Wilhelm und, nach deſſen Ableben, ſein Sohn, Landgraf Friedrich
von Heſſen, ein eitler, leerer junger Menſch, der, ernſten Männern und
ernſten Geſprächen abhold, ſeine Zeit in ſchalen Vergnügungen vergeudete
und in Kopenhagen gar nichts galt. Ueberdies war Landgraf Friedrich
auch rechtmäßiger Thronfolger in Heſſen-Kaſſel, und wie konnte ein däniſcher
König wünſchen, die ſchwierigen Verhältniſſe ſeines Geſammtſtaats durch
eine Perſonal-Union mit Kurheſſen noch mehr zu verwirren? Bei dem
ſprichwörtlichen Geize des Hauſes Brabant ſchien es keineswegs unmöglich,
den Heſſen ihre noch nicht unzweifelhaften Erbanſprüche mit einem guten
Stück Geldes abzukaufen und alſo alle Länder der däniſchen Monarchie
unter dem Mannesſtamme des Hauſes Oldenburg zuſammenzuhalten.
Verſchaffte man dem Landgrafen durch die Gnade der deutſchen Großmächte
gar noch den Titel eines Königs von Heſſen, die heiß erſehnte Kattenkrone,
dann war nahezu ſicher, daß er auf Dänemark verzichtete, während die
Auguſtenburger wieder und wieder erklärt hatten, daß ſie ihre Anſprüche
auf Schleswigholſtein niemals aufgeben würden. **)
So einfach lagen die Dinge, wenn der König unbefangen rechnete.
*) Schoultz-Aſcheraden’s Bericht, 10. Mai 1846.
**) Ich benutze hier u. A. eine Denkſchrift des klugen und wohl unterrichteten Le-
gationsraths Grafen v. Bülow (Notizen für Kopenhagen, für General von Gerlach,
Berlin, Febr. 1848).
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