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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Christian VIII.
Niemand beherrschte ihn, denn er glaubte etwas von der geheimnißvollen
Königskunst, der Kingscraft der Stuarts zu besitzen, und sah mit stillem
Hochmuth auf die kleinen Sterblichen hernieder. Der Cabinetssekretär Adler,
der ihn von Jugend an auf allen Irrwegen skandinavischer Politik be-
gleitet hatte, blieb sein einziger Vertrauter. Vor kühnem Wagen und raschen
Entschlüssen schrak er zurück, aber mit zäher Geduld hielt er seine ge-
heimen Pläne fest um sie, listig die Schwäche der Menschen benutzend, nach
und nach zu verwirklichen. Ihm fehlte die Ehrfurcht vor dem Rechte,
der Glaube an die sittlichen Mächte der Geschichte und darum auch das
Verständniß für die nationalen Empfindungen seiner Völker.

So war er trotz seiner diplomatischen Verschlagenheit doch kein Staats-
mann; er dachte ein anderer Waldemar Attertag zu werden, und sein acht-
jähriges Regiment bereitete die Kämpfe vor, welche den dänischen Gesammt-
staat zerschlagen sollten. Er hatte sich einst durch feines Spiel die nor-
wegische Königskrone für wenige Monate errungen und damals, allerdings
nicht ganz freiwillig, die Verfassung unterzeichnet, welche fortan das Ideal
aller liberalen Skandinavier blieb. Auch nachher stand er noch lange im
Rufe radicaler Gesinnung, weil er auf einer Reise zufällig in die neapoli-
tanische Revolution hineingerathen und dort den Verhandlungen der Carbo-
nari nicht ohne Freude gefolgt war.*) In reiferen Jahren gelangte er zu
einer Weltanschauung, die sich mit den Ideen König Friedrich Wilhelm's
nahe berührte. Die Hegel'sche Philosophie hielt er für gemeingefährlich,
obgleich er selbst wenig religiöse Empfindung besaß; unschädlicher schienen
ihm die frommen naturphilosophischen Träumereien seines Landsmanns
Steffens. Als Erbe der dänischen Alleingewaltsherrscher wünschte er eine
freie starke Krone, die durch ständischen Beirath nur wenig, nur so weit es die
Stimme der Zeit durchaus verlangte, beschränkt werden durfte; und da die
dänischen Provinzialstände den preußischen nachgebildet waren, so entschloß
er sich auch den ständischen Reformplänen seines preußischen Freundes
Schritt für Schritt zu folgen. Wie dieser dachte er erst Vereinigte Aus-
schüsse zu bilden, nachher einen Vereinigten Landtag für die gesammte
Monarchie. In einem solchen Reichstage konnte der König theilend herrschen,
er konnte die Parteien und die Nationen wider einander ausspielen, den
Radicalismus seiner Dänen durch die conservative Gesinnung der Schleswig-
holsteiner, das Deutschthum der Herzogthümer durch das Dänenthum der
Inseln niederhalten.

Alle diese Entwürfe schwebten aber in der Luft, so lange der Bestand
des Gesammtstaates selber nicht gesichert war; die Sorge um die Thron-
folge drängte sich dem Könige gebieterisch auf, seit die Augustenburger ihre
Erbansprüche auf Schleswigholstein öffentlich angekündigt hatten.**) Chri-

*) S. o. I. 665. III. 156.
**) S. o. IV. 177.

Chriſtian VIII.
Niemand beherrſchte ihn, denn er glaubte etwas von der geheimnißvollen
Königskunſt, der Kingscraft der Stuarts zu beſitzen, und ſah mit ſtillem
Hochmuth auf die kleinen Sterblichen hernieder. Der Cabinetsſekretär Adler,
der ihn von Jugend an auf allen Irrwegen ſkandinaviſcher Politik be-
gleitet hatte, blieb ſein einziger Vertrauter. Vor kühnem Wagen und raſchen
Entſchlüſſen ſchrak er zurück, aber mit zäher Geduld hielt er ſeine ge-
heimen Pläne feſt um ſie, liſtig die Schwäche der Menſchen benutzend, nach
und nach zu verwirklichen. Ihm fehlte die Ehrfurcht vor dem Rechte,
der Glaube an die ſittlichen Mächte der Geſchichte und darum auch das
Verſtändniß für die nationalen Empfindungen ſeiner Völker.

So war er trotz ſeiner diplomatiſchen Verſchlagenheit doch kein Staats-
mann; er dachte ein anderer Waldemar Attertag zu werden, und ſein acht-
jähriges Regiment bereitete die Kämpfe vor, welche den däniſchen Geſammt-
ſtaat zerſchlagen ſollten. Er hatte ſich einſt durch feines Spiel die nor-
wegiſche Königskrone für wenige Monate errungen und damals, allerdings
nicht ganz freiwillig, die Verfaſſung unterzeichnet, welche fortan das Ideal
aller liberalen Skandinavier blieb. Auch nachher ſtand er noch lange im
Rufe radicaler Geſinnung, weil er auf einer Reiſe zufällig in die neapoli-
taniſche Revolution hineingerathen und dort den Verhandlungen der Carbo-
nari nicht ohne Freude gefolgt war.*) In reiferen Jahren gelangte er zu
einer Weltanſchauung, die ſich mit den Ideen König Friedrich Wilhelm’s
nahe berührte. Die Hegel’ſche Philoſophie hielt er für gemeingefährlich,
obgleich er ſelbſt wenig religiöſe Empfindung beſaß; unſchädlicher ſchienen
ihm die frommen naturphiloſophiſchen Träumereien ſeines Landsmanns
Steffens. Als Erbe der däniſchen Alleingewaltsherrſcher wünſchte er eine
freie ſtarke Krone, die durch ſtändiſchen Beirath nur wenig, nur ſo weit es die
Stimme der Zeit durchaus verlangte, beſchränkt werden durfte; und da die
däniſchen Provinzialſtände den preußiſchen nachgebildet waren, ſo entſchloß
er ſich auch den ſtändiſchen Reformplänen ſeines preußiſchen Freundes
Schritt für Schritt zu folgen. Wie dieſer dachte er erſt Vereinigte Aus-
ſchüſſe zu bilden, nachher einen Vereinigten Landtag für die geſammte
Monarchie. In einem ſolchen Reichstage konnte der König theilend herrſchen,
er konnte die Parteien und die Nationen wider einander ausſpielen, den
Radicalismus ſeiner Dänen durch die conſervative Geſinnung der Schleswig-
holſteiner, das Deutſchthum der Herzogthümer durch das Dänenthum der
Inſeln niederhalten.

Alle dieſe Entwürfe ſchwebten aber in der Luft, ſo lange der Beſtand
des Geſammtſtaates ſelber nicht geſichert war; die Sorge um die Thron-
folge drängte ſich dem Könige gebieteriſch auf, ſeit die Auguſtenburger ihre
Erbanſprüche auf Schleswigholſtein öffentlich angekündigt hatten.**) Chri-

*) S. o. I. 665. III. 156.
**) S. o. IV. 177.
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[565/0579] Chriſtian VIII. Niemand beherrſchte ihn, denn er glaubte etwas von der geheimnißvollen Königskunſt, der Kingscraft der Stuarts zu beſitzen, und ſah mit ſtillem Hochmuth auf die kleinen Sterblichen hernieder. Der Cabinetsſekretär Adler, der ihn von Jugend an auf allen Irrwegen ſkandinaviſcher Politik be- gleitet hatte, blieb ſein einziger Vertrauter. Vor kühnem Wagen und raſchen Entſchlüſſen ſchrak er zurück, aber mit zäher Geduld hielt er ſeine ge- heimen Pläne feſt um ſie, liſtig die Schwäche der Menſchen benutzend, nach und nach zu verwirklichen. Ihm fehlte die Ehrfurcht vor dem Rechte, der Glaube an die ſittlichen Mächte der Geſchichte und darum auch das Verſtändniß für die nationalen Empfindungen ſeiner Völker. So war er trotz ſeiner diplomatiſchen Verſchlagenheit doch kein Staats- mann; er dachte ein anderer Waldemar Attertag zu werden, und ſein acht- jähriges Regiment bereitete die Kämpfe vor, welche den däniſchen Geſammt- ſtaat zerſchlagen ſollten. Er hatte ſich einſt durch feines Spiel die nor- wegiſche Königskrone für wenige Monate errungen und damals, allerdings nicht ganz freiwillig, die Verfaſſung unterzeichnet, welche fortan das Ideal aller liberalen Skandinavier blieb. Auch nachher ſtand er noch lange im Rufe radicaler Geſinnung, weil er auf einer Reiſe zufällig in die neapoli- taniſche Revolution hineingerathen und dort den Verhandlungen der Carbo- nari nicht ohne Freude gefolgt war. *) In reiferen Jahren gelangte er zu einer Weltanſchauung, die ſich mit den Ideen König Friedrich Wilhelm’s nahe berührte. Die Hegel’ſche Philoſophie hielt er für gemeingefährlich, obgleich er ſelbſt wenig religiöſe Empfindung beſaß; unſchädlicher ſchienen ihm die frommen naturphiloſophiſchen Träumereien ſeines Landsmanns Steffens. Als Erbe der däniſchen Alleingewaltsherrſcher wünſchte er eine freie ſtarke Krone, die durch ſtändiſchen Beirath nur wenig, nur ſo weit es die Stimme der Zeit durchaus verlangte, beſchränkt werden durfte; und da die däniſchen Provinzialſtände den preußiſchen nachgebildet waren, ſo entſchloß er ſich auch den ſtändiſchen Reformplänen ſeines preußiſchen Freundes Schritt für Schritt zu folgen. Wie dieſer dachte er erſt Vereinigte Aus- ſchüſſe zu bilden, nachher einen Vereinigten Landtag für die geſammte Monarchie. In einem ſolchen Reichstage konnte der König theilend herrſchen, er konnte die Parteien und die Nationen wider einander ausſpielen, den Radicalismus ſeiner Dänen durch die conſervative Geſinnung der Schleswig- holſteiner, das Deutſchthum der Herzogthümer durch das Dänenthum der Inſeln niederhalten. Alle dieſe Entwürfe ſchwebten aber in der Luft, ſo lange der Beſtand des Geſammtſtaates ſelber nicht geſichert war; die Sorge um die Thron- folge drängte ſich dem Könige gebieteriſch auf, ſeit die Auguſtenburger ihre Erbanſprüche auf Schleswigholſtein öffentlich angekündigt hatten. **) Chri- *) S. o. I. 665. III. 156. **) S. o. IV. 177.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/579>, abgerufen am 22.11.2024.