Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 7. Polen und Schleswigholstein. Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerston freilich,da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon- doner Presse waren, sich an dem nationalen Sport betheiligen und sagte im Parlamente schon im August: wenn die Wiener Verträge an der Weichsel nichts mehr gelten sollen, dann gelten sie auch nichts am Rhein und am Po! Aber zu gleicher Zeit besprach er "als guter Freund" mit Brunnow: was denn aus dieser Krakauer "Fliege" werden solle. Man kam gemüthlich dahin überein, England müsse protestiren sobald die Ein- verleibung erfolgt sei, und der Russe schloß verbindlich: Sie brauchen eine parlamentarische Deckung; wir werden Ihnen seiner Zeit genügendes Ma- terial liefern.*) Tief erbittert durch Guizot's spanische Umtriebe, wollte der Lord die zärtliche Freundschaft der Russen jetzt am wenigsten zurück- weisen. Auch der König von Preußen bemühte sich wieder eifrig, sein England zu den conservativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb durch Leopold Ranke eine Denkschrift ausarbeiten; sein Wunsch war, man sollte sich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verstän- digen. Ganz so weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre Beschlüsse gefaßt hatte, sprach Palmerston (23. Nov.) den Ostmächten sein Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, "die durch keine ge- nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre". Die Sanftmuth dieser Vor- würfe stach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord sonst in seinen Protestnoten anzuschlagen liebte. Mit Frankreich zusammen- zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er sich vor Bunsen: "die drei Mächte werden sehen, wie freundschaftlich ich in der Krakauer Sache gehandelt und wie ernst ich die heimtückischen Vorschläge des fran- zösischen Cabinets beantwortet habe."**) Sogar der alte grimmige Russenfeind Lord Ponsonby sagte zu Met- *) Brunnow's Bericht, 28. Aug. 1846. **) Palmerston, Weisung an Westmoreland, 23. Nov. Bunsen's Bericht, 26. Nov. ***) Arnim's Bericht, Wien, 9. Nov. 1846. +) Palmerston an Brunnow, 18. Jan. Brunnow's Antwort, 19. Jan. 1847.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein. Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerſton freilich,da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon- doner Preſſe waren, ſich an dem nationalen Sport betheiligen und ſagte im Parlamente ſchon im Auguſt: wenn die Wiener Verträge an der Weichſel nichts mehr gelten ſollen, dann gelten ſie auch nichts am Rhein und am Po! Aber zu gleicher Zeit beſprach er „als guter Freund“ mit Brunnow: was denn aus dieſer Krakauer „Fliege“ werden ſolle. Man kam gemüthlich dahin überein, England müſſe proteſtiren ſobald die Ein- verleibung erfolgt ſei, und der Ruſſe ſchloß verbindlich: Sie brauchen eine parlamentariſche Deckung; wir werden Ihnen ſeiner Zeit genügendes Ma- terial liefern.*) Tief erbittert durch Guizot’s ſpaniſche Umtriebe, wollte der Lord die zärtliche Freundſchaft der Ruſſen jetzt am wenigſten zurück- weiſen. Auch der König von Preußen bemühte ſich wieder eifrig, ſein England zu den conſervativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb durch Leopold Ranke eine Denkſchrift ausarbeiten; ſein Wunſch war, man ſollte ſich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verſtän- digen. Ganz ſo weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre Beſchlüſſe gefaßt hatte, ſprach Palmerſton (23. Nov.) den Oſtmächten ſein Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, „die durch keine ge- nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre“. Die Sanftmuth dieſer Vor- würfe ſtach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord ſonſt in ſeinen Proteſtnoten anzuſchlagen liebte. Mit Frankreich zuſammen- zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er ſich vor Bunſen: „die drei Mächte werden ſehen, wie freundſchaftlich ich in der Krakauer Sache gehandelt und wie ernſt ich die heimtückiſchen Vorſchläge des fran- zöſiſchen Cabinets beantwortet habe.“**) Sogar der alte grimmige Ruſſenfeind Lord Ponſonby ſagte zu Met- *) Brunnow’s Bericht, 28. Aug. 1846. **) Palmerſton, Weiſung an Weſtmoreland, 23. Nov. Bunſen’s Bericht, 26. Nov. ***) Arnim’s Bericht, Wien, 9. Nov. 1846. †) Palmerſton an Brunnow, 18. Jan. Brunnow’s Antwort, 19. Jan. 1847.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0570" n="556"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 7. Polen und Schleswigholſtein.</fw><lb/> Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerſton freilich,<lb/> da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon-<lb/> doner Preſſe waren, ſich an dem nationalen Sport betheiligen und ſagte<lb/> im Parlamente ſchon im Auguſt: wenn die Wiener Verträge an der<lb/> Weichſel nichts mehr gelten ſollen, dann gelten ſie auch nichts am Rhein<lb/> und am Po! Aber zu gleicher Zeit beſprach er „als guter Freund“ mit<lb/> Brunnow: was denn aus dieſer Krakauer „Fliege“ werden ſolle. Man<lb/> kam gemüthlich dahin überein, England müſſe proteſtiren ſobald die Ein-<lb/> verleibung erfolgt ſei, und der Ruſſe ſchloß verbindlich: Sie brauchen eine<lb/> parlamentariſche Deckung; wir werden Ihnen ſeiner Zeit genügendes Ma-<lb/> terial liefern.<note place="foot" n="*)">Brunnow’s Bericht, 28. Aug. 1846.</note> Tief erbittert durch Guizot’s ſpaniſche Umtriebe, wollte<lb/> der Lord die zärtliche Freundſchaft der Ruſſen jetzt am wenigſten zurück-<lb/> weiſen. Auch der König von Preußen bemühte ſich wieder eifrig, ſein<lb/> England zu den conſervativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb<lb/> durch Leopold Ranke eine Denkſchrift ausarbeiten; ſein Wunſch war, man<lb/> ſollte ſich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verſtän-<lb/> digen. Ganz ſo weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre<lb/> Beſchlüſſe gefaßt hatte, ſprach Palmerſton (23. Nov.) den Oſtmächten ſein<lb/> Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, „die durch keine ge-<lb/> nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre“. Die Sanftmuth dieſer Vor-<lb/> würfe ſtach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord ſonſt<lb/> in ſeinen Proteſtnoten anzuſchlagen liebte. Mit Frankreich zuſammen-<lb/> zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er ſich vor Bunſen:<lb/> „die drei Mächte werden ſehen, wie freundſchaftlich ich in der Krakauer<lb/> Sache gehandelt und wie ernſt ich die heimtückiſchen Vorſchläge des fran-<lb/> zöſiſchen Cabinets beantwortet habe.“<note place="foot" n="**)">Palmerſton, Weiſung an Weſtmoreland, 23. Nov. Bunſen’s Bericht, 26. Nov.</note></p><lb/> <p>Sogar der alte grimmige Ruſſenfeind Lord Ponſonby ſagte zu Met-<lb/> ternich: man möge nur ſchnell handeln, durch die vollendete Thatſache<lb/> der Einverleibung Alles erledigen — und König Friedrich Wilhelm ſchrieb<lb/> vergnügt an den Rand des Berichts: <hi rendition="#aq">Noël! Noël! Ouf!</hi><note place="foot" n="***)">Arnim’s Bericht, Wien, 9. Nov. 1846.</note> Nach Alle-<lb/> dem konnte das unvermeidliche parlamentariſche Wehgeſchrei die Oſtmächte<lb/> nicht mehr beunruhigen. Als die beiden Häuſer im Januar 1847 wieder<lb/> zuſammentraten, zeigte Palmerſton „ſeinem theueren Brunnow“ den Satz<lb/> der Thronrede, der von Krakau handelte, und änderte auf Wunſch des<lb/> Ruſſen einige Worte. Die drei Geſandten fanden jedoch die Stelle, trotz<lb/> der Milderung, noch ziemlich ſcharf, und Brunnow ſchrieb dem Lord in<lb/> Freundſchaft: wir Drei wollen lieber nicht (<hi rendition="#aq">rather not</hi>) zur Eröffnung<lb/> des Parlaments erſcheinen, ſo vermeiden wir einen peinlichen Depeſchen-<lb/> wechſel.<note place="foot" n="†)">Palmerſton an Brunnow, 18. Jan. Brunnow’s Antwort, 19. Jan. 1847.</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [556/0570]
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerſton freilich,
da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon-
doner Preſſe waren, ſich an dem nationalen Sport betheiligen und ſagte
im Parlamente ſchon im Auguſt: wenn die Wiener Verträge an der
Weichſel nichts mehr gelten ſollen, dann gelten ſie auch nichts am Rhein
und am Po! Aber zu gleicher Zeit beſprach er „als guter Freund“ mit
Brunnow: was denn aus dieſer Krakauer „Fliege“ werden ſolle. Man
kam gemüthlich dahin überein, England müſſe proteſtiren ſobald die Ein-
verleibung erfolgt ſei, und der Ruſſe ſchloß verbindlich: Sie brauchen eine
parlamentariſche Deckung; wir werden Ihnen ſeiner Zeit genügendes Ma-
terial liefern. *) Tief erbittert durch Guizot’s ſpaniſche Umtriebe, wollte
der Lord die zärtliche Freundſchaft der Ruſſen jetzt am wenigſten zurück-
weiſen. Auch der König von Preußen bemühte ſich wieder eifrig, ſein
England zu den conſervativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb
durch Leopold Ranke eine Denkſchrift ausarbeiten; ſein Wunſch war, man
ſollte ſich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verſtän-
digen. Ganz ſo weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre
Beſchlüſſe gefaßt hatte, ſprach Palmerſton (23. Nov.) den Oſtmächten ſein
Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, „die durch keine ge-
nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre“. Die Sanftmuth dieſer Vor-
würfe ſtach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord ſonſt
in ſeinen Proteſtnoten anzuſchlagen liebte. Mit Frankreich zuſammen-
zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er ſich vor Bunſen:
„die drei Mächte werden ſehen, wie freundſchaftlich ich in der Krakauer
Sache gehandelt und wie ernſt ich die heimtückiſchen Vorſchläge des fran-
zöſiſchen Cabinets beantwortet habe.“ **)
Sogar der alte grimmige Ruſſenfeind Lord Ponſonby ſagte zu Met-
ternich: man möge nur ſchnell handeln, durch die vollendete Thatſache
der Einverleibung Alles erledigen — und König Friedrich Wilhelm ſchrieb
vergnügt an den Rand des Berichts: Noël! Noël! Ouf! ***) Nach Alle-
dem konnte das unvermeidliche parlamentariſche Wehgeſchrei die Oſtmächte
nicht mehr beunruhigen. Als die beiden Häuſer im Januar 1847 wieder
zuſammentraten, zeigte Palmerſton „ſeinem theueren Brunnow“ den Satz
der Thronrede, der von Krakau handelte, und änderte auf Wunſch des
Ruſſen einige Worte. Die drei Geſandten fanden jedoch die Stelle, trotz
der Milderung, noch ziemlich ſcharf, und Brunnow ſchrieb dem Lord in
Freundſchaft: wir Drei wollen lieber nicht (rather not) zur Eröffnung
des Parlaments erſcheinen, ſo vermeiden wir einen peinlichen Depeſchen-
wechſel. †)
*) Brunnow’s Bericht, 28. Aug. 1846.
**) Palmerſton, Weiſung an Weſtmoreland, 23. Nov. Bunſen’s Bericht, 26. Nov.
***) Arnim’s Bericht, Wien, 9. Nov. 1846.
†) Palmerſton an Brunnow, 18. Jan. Brunnow’s Antwort, 19. Jan. 1847.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |