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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Streit um die Krakauer Mauth.
auf irgend eine sachliche Erörterung einzulassen, immer betheuerte: "Oester-
reich und Preußen gespannt, das heißt die Welt aus ihren Fugen treiben"
-- nachher den Dr. Hock, einen tüchtigen Nationalökonomen, der aber im
Staatsdienste noch eine so untergeordnete Stellung einnahm, daß er wichtige
Geschäfte unmöglich abschließen konnte. Kamptz merkte bald: man wollte
ihn nur hinhalten. Er fragte bitter: "ob es Preußens Aufgabe ist, sich
mit den Ansichten an der Donau und Newa, selbst auf Kosten des
inneren häuslichen Friedens und des Vertrauens der übrigen deutschen
Staaten, unter allen Umständen conform zu halten ... Wahrlich, wir
haben noch viel zu thun wenn wir das wieder werden wollen, was wir
gewesen sind." Nach fast zwei Monaten, zu Ende Januar 1847, reiste
Kamptz unverrichteter Dinge heim; er fürchtete geradezu, bei längerem
Verweilen ausgewiesen zu werden.*) Im Auswärtigen Amte wurde noch-
mals erwogen, ob man nicht Arnim abberufen, den diplomatischen Verkehr
mit dem Wiener Hofe abbrechen solle;**) aber was konnte das alles noch
fruchten, nachdem das Wiener Protokoll unterzeichnet, die Einverleibung
Krakaus vollzogen war?

Nach einigen Wochen peinlicher Spannung fand Metternich das rechte
Mittel um die erzürnten Preußen zu beschwichtigen. Seit Langem schon
plagte ihn der Berliner Hof mit Plänen für deutsche Bundesreform, für
deutsches Post-, Maß- und Münzwesen -- lauter Gedanken, die der Staats-
kanzler als Utopien des "Nationalismus" still belächelte, aber auch nicht
gradehin ablehnen wollte. Nun schickte er im März 1847 seinen ver-
trauten Hofrath v. Werner nach Berlin um eine ganz allgemein gehaltene
Denkschrift über eine mögliche deutsch-österreichische Handelseinigung vor-
zulegen. Das Auswärtige Amt war angenehm überrascht. Selbst Kamptz
der tief gekränkte rieth: jetzt müsse man zuerst diese wichtige nationale
Frage erledigen; gelinge das, dann falle die Krakauer Sache von selbst
hinweg. Canitz aber schrieb glückselig an Werner: "senden Sie uns bald
einen Mann hierher, mit dem wir über die Verkehrsverhältnisse im All-
gemeinen verhandeln können, so soll er von Krakau gar nichts zu hören
bekommen."***) Die große Handelseinigung ging, wie Metternich voraus-
gesehen, den Weg aller Bundesreformen, sie löste sich bald in Rauch auf;
aber der Krakauer Streit war begraben.

Der Wiener Hof hielt sein Mauthwesen, das einer Grenzsperre nahe
kam, aufrecht, er erfüllte sogar die drei bescheidenen der preußischen Re-
gierung gewährten Bedingungen unredlich: da fortan alle für Oesterreich
bestimmten Waaren sofort an der Grenze verzollt wurden, so verlor das

*) Kamptz, Promemoria für Münch, 26. Dec. 1846; Berichte an Canitz, 10. 25. Jan.
1847.
**) Geh. Rath v. Patow, Berichte an Canitz, 13. 25. Jan. 1847.
***) Metternich, Weisung an Werner, 29. März; Kamptz's Denkschrift, 3. April;
Canitz an Werner, 8. April 1847.

Streit um die Krakauer Mauth.
auf irgend eine ſachliche Erörterung einzulaſſen, immer betheuerte: „Oeſter-
reich und Preußen geſpannt, das heißt die Welt aus ihren Fugen treiben“
— nachher den Dr. Hock, einen tüchtigen Nationalökonomen, der aber im
Staatsdienſte noch eine ſo untergeordnete Stellung einnahm, daß er wichtige
Geſchäfte unmöglich abſchließen konnte. Kamptz merkte bald: man wollte
ihn nur hinhalten. Er fragte bitter: „ob es Preußens Aufgabe iſt, ſich
mit den Anſichten an der Donau und Newa, ſelbſt auf Koſten des
inneren häuslichen Friedens und des Vertrauens der übrigen deutſchen
Staaten, unter allen Umſtänden conform zu halten … Wahrlich, wir
haben noch viel zu thun wenn wir das wieder werden wollen, was wir
geweſen ſind.“ Nach faſt zwei Monaten, zu Ende Januar 1847, reiſte
Kamptz unverrichteter Dinge heim; er fürchtete geradezu, bei längerem
Verweilen ausgewieſen zu werden.*) Im Auswärtigen Amte wurde noch-
mals erwogen, ob man nicht Arnim abberufen, den diplomatiſchen Verkehr
mit dem Wiener Hofe abbrechen ſolle;**) aber was konnte das alles noch
fruchten, nachdem das Wiener Protokoll unterzeichnet, die Einverleibung
Krakaus vollzogen war?

Nach einigen Wochen peinlicher Spannung fand Metternich das rechte
Mittel um die erzürnten Preußen zu beſchwichtigen. Seit Langem ſchon
plagte ihn der Berliner Hof mit Plänen für deutſche Bundesreform, für
deutſches Poſt-, Maß- und Münzweſen — lauter Gedanken, die der Staats-
kanzler als Utopien des „Nationalismus“ ſtill belächelte, aber auch nicht
gradehin ablehnen wollte. Nun ſchickte er im März 1847 ſeinen ver-
trauten Hofrath v. Werner nach Berlin um eine ganz allgemein gehaltene
Denkſchrift über eine mögliche deutſch-öſterreichiſche Handelseinigung vor-
zulegen. Das Auswärtige Amt war angenehm überraſcht. Selbſt Kamptz
der tief gekränkte rieth: jetzt müſſe man zuerſt dieſe wichtige nationale
Frage erledigen; gelinge das, dann falle die Krakauer Sache von ſelbſt
hinweg. Canitz aber ſchrieb glückſelig an Werner: „ſenden Sie uns bald
einen Mann hierher, mit dem wir über die Verkehrsverhältniſſe im All-
gemeinen verhandeln können, ſo ſoll er von Krakau gar nichts zu hören
bekommen.“***) Die große Handelseinigung ging, wie Metternich voraus-
geſehen, den Weg aller Bundesreformen, ſie löſte ſich bald in Rauch auf;
aber der Krakauer Streit war begraben.

Der Wiener Hof hielt ſein Mauthweſen, das einer Grenzſperre nahe
kam, aufrecht, er erfüllte ſogar die drei beſcheidenen der preußiſchen Re-
gierung gewährten Bedingungen unredlich: da fortan alle für Oeſterreich
beſtimmten Waaren ſofort an der Grenze verzollt wurden, ſo verlor das

*) Kamptz, Promemoria für Münch, 26. Dec. 1846; Berichte an Canitz, 10. 25. Jan.
1847.
**) Geh. Rath v. Patow, Berichte an Canitz, 13. 25. Jan. 1847.
***) Metternich, Weiſung an Werner, 29. März; Kamptz’s Denkſchrift, 3. April;
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[553/0567] Streit um die Krakauer Mauth. auf irgend eine ſachliche Erörterung einzulaſſen, immer betheuerte: „Oeſter- reich und Preußen geſpannt, das heißt die Welt aus ihren Fugen treiben“ — nachher den Dr. Hock, einen tüchtigen Nationalökonomen, der aber im Staatsdienſte noch eine ſo untergeordnete Stellung einnahm, daß er wichtige Geſchäfte unmöglich abſchließen konnte. Kamptz merkte bald: man wollte ihn nur hinhalten. Er fragte bitter: „ob es Preußens Aufgabe iſt, ſich mit den Anſichten an der Donau und Newa, ſelbſt auf Koſten des inneren häuslichen Friedens und des Vertrauens der übrigen deutſchen Staaten, unter allen Umſtänden conform zu halten … Wahrlich, wir haben noch viel zu thun wenn wir das wieder werden wollen, was wir geweſen ſind.“ Nach faſt zwei Monaten, zu Ende Januar 1847, reiſte Kamptz unverrichteter Dinge heim; er fürchtete geradezu, bei längerem Verweilen ausgewieſen zu werden. *) Im Auswärtigen Amte wurde noch- mals erwogen, ob man nicht Arnim abberufen, den diplomatiſchen Verkehr mit dem Wiener Hofe abbrechen ſolle; **) aber was konnte das alles noch fruchten, nachdem das Wiener Protokoll unterzeichnet, die Einverleibung Krakaus vollzogen war? Nach einigen Wochen peinlicher Spannung fand Metternich das rechte Mittel um die erzürnten Preußen zu beſchwichtigen. Seit Langem ſchon plagte ihn der Berliner Hof mit Plänen für deutſche Bundesreform, für deutſches Poſt-, Maß- und Münzweſen — lauter Gedanken, die der Staats- kanzler als Utopien des „Nationalismus“ ſtill belächelte, aber auch nicht gradehin ablehnen wollte. Nun ſchickte er im März 1847 ſeinen ver- trauten Hofrath v. Werner nach Berlin um eine ganz allgemein gehaltene Denkſchrift über eine mögliche deutſch-öſterreichiſche Handelseinigung vor- zulegen. Das Auswärtige Amt war angenehm überraſcht. Selbſt Kamptz der tief gekränkte rieth: jetzt müſſe man zuerſt dieſe wichtige nationale Frage erledigen; gelinge das, dann falle die Krakauer Sache von ſelbſt hinweg. Canitz aber ſchrieb glückſelig an Werner: „ſenden Sie uns bald einen Mann hierher, mit dem wir über die Verkehrsverhältniſſe im All- gemeinen verhandeln können, ſo ſoll er von Krakau gar nichts zu hören bekommen.“ ***) Die große Handelseinigung ging, wie Metternich voraus- geſehen, den Weg aller Bundesreformen, ſie löſte ſich bald in Rauch auf; aber der Krakauer Streit war begraben. Der Wiener Hof hielt ſein Mauthweſen, das einer Grenzſperre nahe kam, aufrecht, er erfüllte ſogar die drei beſcheidenen der preußiſchen Re- gierung gewährten Bedingungen unredlich: da fortan alle für Oeſterreich beſtimmten Waaren ſofort an der Grenze verzollt wurden, ſo verlor das *) Kamptz, Promemoria für Münch, 26. Dec. 1846; Berichte an Canitz, 10. 25. Jan. 1847. **) Geh. Rath v. Patow, Berichte an Canitz, 13. 25. Jan. 1847. ***) Metternich, Weiſung an Werner, 29. März; Kamptz’s Denkſchrift, 3. April; Canitz an Werner, 8. April 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/567>, abgerufen am 22.11.2024.