mißhandelt, erging sich Canitz in leeren Drohungen: Sollte die Grenz- sperre wirklich eintreten, "so würde nichts übrig bleiben als ein Appell an die Mit- und Nachwelt durch offene Darlegung der Verhandlungen." Und als das Gefürchtete doch geschah, da jammerte er wie ein unschuldig bestrafter Musterschüler: "Trotz diesem Verfahren, welches wir uns gegen keinen mediatisirten Fürsten erlauben würden, haben wir den Fremden gegen- über treulich festgehalten, weil wir Europa nicht den Skandal und unseren Feinden nicht den Triumph geben wollten, daß man uns so schmählich be- handelt hätte."*) Metternich konnte seine Schadenfreude kaum verbergen. Er schrieb an den Gesandten in Berlin scheinbar verwundert (7. Jan. 1847): was denn die Preußen eigentlich noch wollten? Oesterreich hätte ja die drei Punkte jener preußischen Denkschrift angenommen und damit Alles erledigt. Wir sind, meinte er trocken, zu gar keiner Entschädigung verpflichtet, da die Handelsverluste sich nothwendig aus der Einverleibung ergeben. Darauf erwiderte Canitz: "man kann uns den Vorwurf der Un- vorsichtigkeit machen; wir hätten die königlichen Truppen nicht zu früh zu- rückziehen, wir hätten in die Besitznahme nicht einwilligen sollen;" jedoch wir haben uns auf die Ehrenhaftigkeit des Staatskanzlers verlassen, der unserem Monarchen versprochen hatte sein Vertrauen nicht mißbrauchen zu wollen.**)
Im diplomatischen Verkehre ist aber Unklugheit nicht blos ein Ver- standesfehler, sondern ein sittliches Verbrechen. Metternich konnte diese unwürdigen Klagen nur mit geringschätzigem Hohne vernehmen. Unter- dessen brach in Preußen, seit die Einverleibung bekannt wurde, ein Sturm der Entrüstung aus. Die Berliner Kaufmannschaft, die Breslauer Bürger, auch die großen Hüttenbesitzer Schlesiens, die Grafen Hochberg und Renard, beschworen den Minister, für den zerstörten Krakauer Handel mindestens einige Zoll-Erleichterungen zu verlangen. Das Handelsamt stimmte ihnen bei; die Zollvereinsregierungen sprachen ebenfalls ihre Besorgnisse aus. Der Oberbürgermeister von Breslau, Pinder eilte sogar nach Wien um die Interessen seiner Bürgerschaft zu vertreten. Dort war im December auch ein Unterhändler des Auswärtigen Amts eingetroffen, Legationsrath von Kamptz, der ganz aus der Art geschlagene Neffe des alten Demagogen- verfolgers, ein junger Beamter von gründlicher handelspolitischer Sach- kenntniß und freier nationaler Gesinnung. Der Unglückliche sollte nach- träglich erlangen was leider schon verloren war; er wurde von vornherein mit einer Ungezogenheit behandelt, wie man sie unter dem alten Könige nie gewagt hatte, und bald sogar als Demagog verdächtigt. Zur Unter- handlung verwendete Metternich erst den aller Handelspolitik unkundigen Bundesgesandten Münch, den geschworenen Preußenfeind, der ohne sich
*) Canitz an Arnim, 24. Nov., an Rochow, 26. Dec. 1846.
**) Metternich, Weisung an Trauttmansdorff, 7. Jan.; Canitz, Weisung an Arnim, 13. Jan. 1847.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
mißhandelt, erging ſich Canitz in leeren Drohungen: Sollte die Grenz- ſperre wirklich eintreten, „ſo würde nichts übrig bleiben als ein Appell an die Mit- und Nachwelt durch offene Darlegung der Verhandlungen.“ Und als das Gefürchtete doch geſchah, da jammerte er wie ein unſchuldig beſtrafter Muſterſchüler: „Trotz dieſem Verfahren, welches wir uns gegen keinen mediatiſirten Fürſten erlauben würden, haben wir den Fremden gegen- über treulich feſtgehalten, weil wir Europa nicht den Skandal und unſeren Feinden nicht den Triumph geben wollten, daß man uns ſo ſchmählich be- handelt hätte.“*) Metternich konnte ſeine Schadenfreude kaum verbergen. Er ſchrieb an den Geſandten in Berlin ſcheinbar verwundert (7. Jan. 1847): was denn die Preußen eigentlich noch wollten? Oeſterreich hätte ja die drei Punkte jener preußiſchen Denkſchrift angenommen und damit Alles erledigt. Wir ſind, meinte er trocken, zu gar keiner Entſchädigung verpflichtet, da die Handelsverluſte ſich nothwendig aus der Einverleibung ergeben. Darauf erwiderte Canitz: „man kann uns den Vorwurf der Un- vorſichtigkeit machen; wir hätten die königlichen Truppen nicht zu früh zu- rückziehen, wir hätten in die Beſitznahme nicht einwilligen ſollen;“ jedoch wir haben uns auf die Ehrenhaftigkeit des Staatskanzlers verlaſſen, der unſerem Monarchen verſprochen hatte ſein Vertrauen nicht mißbrauchen zu wollen.**)
Im diplomatiſchen Verkehre iſt aber Unklugheit nicht blos ein Ver- ſtandesfehler, ſondern ein ſittliches Verbrechen. Metternich konnte dieſe unwürdigen Klagen nur mit geringſchätzigem Hohne vernehmen. Unter- deſſen brach in Preußen, ſeit die Einverleibung bekannt wurde, ein Sturm der Entrüſtung aus. Die Berliner Kaufmannſchaft, die Breslauer Bürger, auch die großen Hüttenbeſitzer Schleſiens, die Grafen Hochberg und Renard, beſchworen den Miniſter, für den zerſtörten Krakauer Handel mindeſtens einige Zoll-Erleichterungen zu verlangen. Das Handelsamt ſtimmte ihnen bei; die Zollvereinsregierungen ſprachen ebenfalls ihre Beſorgniſſe aus. Der Oberbürgermeiſter von Breslau, Pinder eilte ſogar nach Wien um die Intereſſen ſeiner Bürgerſchaft zu vertreten. Dort war im December auch ein Unterhändler des Auswärtigen Amts eingetroffen, Legationsrath von Kamptz, der ganz aus der Art geſchlagene Neffe des alten Demagogen- verfolgers, ein junger Beamter von gründlicher handelspolitiſcher Sach- kenntniß und freier nationaler Geſinnung. Der Unglückliche ſollte nach- träglich erlangen was leider ſchon verloren war; er wurde von vornherein mit einer Ungezogenheit behandelt, wie man ſie unter dem alten Könige nie gewagt hatte, und bald ſogar als Demagog verdächtigt. Zur Unter- handlung verwendete Metternich erſt den aller Handelspolitik unkundigen Bundesgeſandten Münch, den geſchworenen Preußenfeind, der ohne ſich
*) Canitz an Arnim, 24. Nov., an Rochow, 26. Dec. 1846.
**) Metternich, Weiſung an Trauttmansdorff, 7. Jan.; Canitz, Weiſung an Arnim, 13. Jan. 1847.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0566"n="552"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 7. Polen und Schleswigholſtein.</fw><lb/>
mißhandelt, erging ſich Canitz in leeren Drohungen: Sollte die Grenz-<lb/>ſperre wirklich eintreten, „ſo würde nichts übrig bleiben als ein Appell an<lb/>
die Mit- und Nachwelt durch offene Darlegung der Verhandlungen.“<lb/>
Und als das Gefürchtete doch geſchah, da jammerte er wie ein unſchuldig<lb/>
beſtrafter Muſterſchüler: „Trotz dieſem Verfahren, welches wir uns gegen<lb/>
keinen mediatiſirten Fürſten erlauben würden, haben wir den Fremden gegen-<lb/>
über treulich feſtgehalten, weil wir Europa nicht den Skandal und unſeren<lb/>
Feinden nicht den Triumph geben wollten, daß man uns ſo ſchmählich be-<lb/>
handelt hätte.“<noteplace="foot"n="*)">Canitz an Arnim, 24. Nov., an Rochow, 26. Dec. 1846.</note> Metternich konnte ſeine Schadenfreude kaum verbergen.<lb/>
Er ſchrieb an den Geſandten in Berlin ſcheinbar verwundert (7. Jan.<lb/>
1847): was denn die Preußen eigentlich noch wollten? Oeſterreich hätte ja<lb/>
die drei Punkte jener preußiſchen Denkſchrift angenommen und damit<lb/>
Alles erledigt. Wir ſind, meinte er trocken, zu gar keiner Entſchädigung<lb/>
verpflichtet, da die Handelsverluſte ſich nothwendig aus der Einverleibung<lb/>
ergeben. Darauf erwiderte Canitz: „man kann uns den Vorwurf der Un-<lb/>
vorſichtigkeit machen; wir hätten die königlichen Truppen nicht zu früh zu-<lb/>
rückziehen, wir hätten in die Beſitznahme nicht einwilligen ſollen;“ jedoch<lb/>
wir haben uns auf die Ehrenhaftigkeit des Staatskanzlers verlaſſen, der<lb/>
unſerem Monarchen verſprochen hatte ſein Vertrauen nicht mißbrauchen zu<lb/>
wollen.<noteplace="foot"n="**)">Metternich, Weiſung an Trauttmansdorff, 7. Jan.; Canitz, Weiſung an Arnim,<lb/>
13. Jan. 1847.</note></p><lb/><p>Im diplomatiſchen Verkehre iſt aber Unklugheit nicht blos ein Ver-<lb/>ſtandesfehler, ſondern ein ſittliches Verbrechen. Metternich konnte dieſe<lb/>
unwürdigen Klagen nur mit geringſchätzigem Hohne vernehmen. Unter-<lb/>
deſſen brach in Preußen, ſeit die Einverleibung bekannt wurde, ein Sturm<lb/>
der Entrüſtung aus. Die Berliner Kaufmannſchaft, die Breslauer Bürger,<lb/>
auch die großen Hüttenbeſitzer Schleſiens, die Grafen Hochberg und Renard,<lb/>
beſchworen den Miniſter, für den zerſtörten Krakauer Handel mindeſtens<lb/>
einige Zoll-Erleichterungen zu verlangen. Das Handelsamt ſtimmte ihnen<lb/>
bei; die Zollvereinsregierungen ſprachen ebenfalls ihre Beſorgniſſe aus. Der<lb/>
Oberbürgermeiſter von Breslau, Pinder eilte ſogar nach Wien um die<lb/>
Intereſſen ſeiner Bürgerſchaft zu vertreten. Dort war im December auch<lb/>
ein Unterhändler des Auswärtigen Amts eingetroffen, Legationsrath von<lb/>
Kamptz, der ganz aus der Art geſchlagene Neffe des alten Demagogen-<lb/>
verfolgers, ein junger Beamter von gründlicher handelspolitiſcher Sach-<lb/>
kenntniß und freier nationaler Geſinnung. Der Unglückliche ſollte nach-<lb/>
träglich erlangen was leider ſchon verloren war; er wurde von vornherein<lb/>
mit einer Ungezogenheit behandelt, wie man ſie unter dem alten Könige<lb/>
nie gewagt hatte, und bald ſogar als Demagog verdächtigt. Zur Unter-<lb/>
handlung verwendete Metternich erſt den aller Handelspolitik unkundigen<lb/>
Bundesgeſandten Münch, den geſchworenen Preußenfeind, der ohne ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[552/0566]
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
mißhandelt, erging ſich Canitz in leeren Drohungen: Sollte die Grenz-
ſperre wirklich eintreten, „ſo würde nichts übrig bleiben als ein Appell an
die Mit- und Nachwelt durch offene Darlegung der Verhandlungen.“
Und als das Gefürchtete doch geſchah, da jammerte er wie ein unſchuldig
beſtrafter Muſterſchüler: „Trotz dieſem Verfahren, welches wir uns gegen
keinen mediatiſirten Fürſten erlauben würden, haben wir den Fremden gegen-
über treulich feſtgehalten, weil wir Europa nicht den Skandal und unſeren
Feinden nicht den Triumph geben wollten, daß man uns ſo ſchmählich be-
handelt hätte.“ *) Metternich konnte ſeine Schadenfreude kaum verbergen.
Er ſchrieb an den Geſandten in Berlin ſcheinbar verwundert (7. Jan.
1847): was denn die Preußen eigentlich noch wollten? Oeſterreich hätte ja
die drei Punkte jener preußiſchen Denkſchrift angenommen und damit
Alles erledigt. Wir ſind, meinte er trocken, zu gar keiner Entſchädigung
verpflichtet, da die Handelsverluſte ſich nothwendig aus der Einverleibung
ergeben. Darauf erwiderte Canitz: „man kann uns den Vorwurf der Un-
vorſichtigkeit machen; wir hätten die königlichen Truppen nicht zu früh zu-
rückziehen, wir hätten in die Beſitznahme nicht einwilligen ſollen;“ jedoch
wir haben uns auf die Ehrenhaftigkeit des Staatskanzlers verlaſſen, der
unſerem Monarchen verſprochen hatte ſein Vertrauen nicht mißbrauchen zu
wollen. **)
Im diplomatiſchen Verkehre iſt aber Unklugheit nicht blos ein Ver-
ſtandesfehler, ſondern ein ſittliches Verbrechen. Metternich konnte dieſe
unwürdigen Klagen nur mit geringſchätzigem Hohne vernehmen. Unter-
deſſen brach in Preußen, ſeit die Einverleibung bekannt wurde, ein Sturm
der Entrüſtung aus. Die Berliner Kaufmannſchaft, die Breslauer Bürger,
auch die großen Hüttenbeſitzer Schleſiens, die Grafen Hochberg und Renard,
beſchworen den Miniſter, für den zerſtörten Krakauer Handel mindeſtens
einige Zoll-Erleichterungen zu verlangen. Das Handelsamt ſtimmte ihnen
bei; die Zollvereinsregierungen ſprachen ebenfalls ihre Beſorgniſſe aus. Der
Oberbürgermeiſter von Breslau, Pinder eilte ſogar nach Wien um die
Intereſſen ſeiner Bürgerſchaft zu vertreten. Dort war im December auch
ein Unterhändler des Auswärtigen Amts eingetroffen, Legationsrath von
Kamptz, der ganz aus der Art geſchlagene Neffe des alten Demagogen-
verfolgers, ein junger Beamter von gründlicher handelspolitiſcher Sach-
kenntniß und freier nationaler Geſinnung. Der Unglückliche ſollte nach-
träglich erlangen was leider ſchon verloren war; er wurde von vornherein
mit einer Ungezogenheit behandelt, wie man ſie unter dem alten Könige
nie gewagt hatte, und bald ſogar als Demagog verdächtigt. Zur Unter-
handlung verwendete Metternich erſt den aller Handelspolitik unkundigen
Bundesgeſandten Münch, den geſchworenen Preußenfeind, der ohne ſich
*) Canitz an Arnim, 24. Nov., an Rochow, 26. Dec. 1846.
**) Metternich, Weiſung an Trauttmansdorff, 7. Jan.; Canitz, Weiſung an Arnim,
13. Jan. 1847.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/566>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.