Die Masse der Schlachtizen aber und die kleinen Pfarrer wollten sich zu den vornehmen Magnaten kein Herz fassen. Nach wüsten Kämpfen zwischen sechs verschiedenen Parteien blieb die Demokratische Gesellschaft obenauf, das Organ der Versailler Centralisation. Sie bekannte sich zu "rein demokratisch-philosophischen Grundsätzen", radicalen Lehren der Junghegelianer, die dem Communismus nahe kamen, und schrieb nicht blos den Aufruhr, sondern die sociale Revolution auf ihr Banner. In dem wiederhergestellten Polenreiche von 1772 sollten alle socialen Unter- schiede verschwinden, alle Polen wollten Brüder sein, Kinder eines Vaters, Gottes, einer Mutter, des Vaterlandes. Die alte natürliche Wahlver- wandtschaft zwischen der polnischen Adelslibertät und dem modernen Radi- calismus trat wieder zu Tage. Gelehrig ging der Posener adliche Pan auf diese demagogischen Schlagwörter ein; wenn er in den Agronomischen, den Unterstützungs-, den Lese-Vereinen mit den Bauern, die ihm sonst die Kniee zu küssen pflegten, kameradschaftlich zusammensaß, dann ver- langte er liebreich, daß man ihn fortan nicht mehr Graf, sondern Bruder nennen solle. Auch den kirchlichen Fanatismus verschmähten die Demo- kraten nicht. Da der Bischofsstreit beigelegt war, so schalt man auf die Duldung, welche der König den Deutschkatholiken in Schneidemühl ge- währte. Es kam dort sogar zu blutigen Händeln, und immer wieder warnten die Kapläne das Bauernvolk: der Preuße will uns die Religion rauben!
Die Seele der Demokratischen Gesellschaft war Ludwig von Mieros- lawski, ein echter Vertreter des vornehmen internationalen Demagogen- thums, in Frankreich geboren und der französischen Sprache mächtiger als der polnischen, nachher im Kriege gegen Rußland geschult; ein leichtes Talent, nicht ganz ohne mathematisch-militärische Kenntnisse, aber noch mehr bewun- dert als Redner und Improvisator, ritterlich, eitel, geschwätzig, liebenswürdig, nach Sarmatenart bald sanft bald gewaltthätig, ein Freund der Weiber, des Tanzes, der Toilettenkünste, so durch und durch frivol, daß er in einem Athem die Jungfrau Maria, das polnische Vaterland und seine eigene Geliebte hoch leben ließ. Daneben bestand noch eine eigentliche commu- nistische Partei, die in Posen durch die Schriftsteller der Stefanskischen Buchhandlung vertreten wurde. Communismus konnte dort im Osten, wo das bewegliche Capital so selten war, nichts anders bedeuten als Aecker- vertheilung. Dies Zauberwort zündete in Posen nur selten; denn hier waren die bäuerlichen Verhältnisse durch die Gerechtigkeit einer wohl- wollenden Regierung leidlich geordnet und der Bauer vernahm die freund- lichen Reden der vordem so hochmüthigen Edelleute mit Argwohn, schon weil er im Verkehre mit den Schacherjuden die Lebensregel gelernt hatte: wer mir schmeichelt will mich betrügen. Furchtbar aber, und ganz anders als die kurzsichtigen Demagogen wähnten, wirkte die communistische Propa- ganda in Galizien, wo das Landvolk längst über die schweren Roboten
Mieroslawski und die polniſche Emigration.
Die Maſſe der Schlachtizen aber und die kleinen Pfarrer wollten ſich zu den vornehmen Magnaten kein Herz faſſen. Nach wüſten Kämpfen zwiſchen ſechs verſchiedenen Parteien blieb die Demokratiſche Geſellſchaft obenauf, das Organ der Verſailler Centraliſation. Sie bekannte ſich zu „rein demokratiſch-philoſophiſchen Grundſätzen“, radicalen Lehren der Junghegelianer, die dem Communismus nahe kamen, und ſchrieb nicht blos den Aufruhr, ſondern die ſociale Revolution auf ihr Banner. In dem wiederhergeſtellten Polenreiche von 1772 ſollten alle ſocialen Unter- ſchiede verſchwinden, alle Polen wollten Brüder ſein, Kinder eines Vaters, Gottes, einer Mutter, des Vaterlandes. Die alte natürliche Wahlver- wandtſchaft zwiſchen der polniſchen Adelslibertät und dem modernen Radi- calismus trat wieder zu Tage. Gelehrig ging der Poſener adliche Pan auf dieſe demagogiſchen Schlagwörter ein; wenn er in den Agronomiſchen, den Unterſtützungs-, den Leſe-Vereinen mit den Bauern, die ihm ſonſt die Kniee zu küſſen pflegten, kameradſchaftlich zuſammenſaß, dann ver- langte er liebreich, daß man ihn fortan nicht mehr Graf, ſondern Bruder nennen ſolle. Auch den kirchlichen Fanatismus verſchmähten die Demo- kraten nicht. Da der Biſchofsſtreit beigelegt war, ſo ſchalt man auf die Duldung, welche der König den Deutſchkatholiken in Schneidemühl ge- währte. Es kam dort ſogar zu blutigen Händeln, und immer wieder warnten die Kapläne das Bauernvolk: der Preuße will uns die Religion rauben!
Die Seele der Demokratiſchen Geſellſchaft war Ludwig von Mieros- lawski, ein echter Vertreter des vornehmen internationalen Demagogen- thums, in Frankreich geboren und der franzöſiſchen Sprache mächtiger als der polniſchen, nachher im Kriege gegen Rußland geſchult; ein leichtes Talent, nicht ganz ohne mathematiſch-militäriſche Kenntniſſe, aber noch mehr bewun- dert als Redner und Improviſator, ritterlich, eitel, geſchwätzig, liebenswürdig, nach Sarmatenart bald ſanft bald gewaltthätig, ein Freund der Weiber, des Tanzes, der Toilettenkünſte, ſo durch und durch frivol, daß er in einem Athem die Jungfrau Maria, das polniſche Vaterland und ſeine eigene Geliebte hoch leben ließ. Daneben beſtand noch eine eigentliche commu- niſtiſche Partei, die in Poſen durch die Schriftſteller der Stefanskiſchen Buchhandlung vertreten wurde. Communismus konnte dort im Oſten, wo das bewegliche Capital ſo ſelten war, nichts anders bedeuten als Aecker- vertheilung. Dies Zauberwort zündete in Poſen nur ſelten; denn hier waren die bäuerlichen Verhältniſſe durch die Gerechtigkeit einer wohl- wollenden Regierung leidlich geordnet und der Bauer vernahm die freund- lichen Reden der vordem ſo hochmüthigen Edelleute mit Argwohn, ſchon weil er im Verkehre mit den Schacherjuden die Lebensregel gelernt hatte: wer mir ſchmeichelt will mich betrügen. Furchtbar aber, und ganz anders als die kurzſichtigen Demagogen wähnten, wirkte die communiſtiſche Propa- ganda in Galizien, wo das Landvolk längſt über die ſchweren Roboten
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Mieroslawski und die polniſche Emigration.
Die Maſſe der Schlachtizen aber und die kleinen Pfarrer wollten
ſich zu den vornehmen Magnaten kein Herz faſſen. Nach wüſten Kämpfen
zwiſchen ſechs verſchiedenen Parteien blieb die Demokratiſche Geſellſchaft
obenauf, das Organ der Verſailler Centraliſation. Sie bekannte ſich zu
„rein demokratiſch-philoſophiſchen Grundſätzen“, radicalen Lehren der
Junghegelianer, die dem Communismus nahe kamen, und ſchrieb nicht
blos den Aufruhr, ſondern die ſociale Revolution auf ihr Banner. In
dem wiederhergeſtellten Polenreiche von 1772 ſollten alle ſocialen Unter-
ſchiede verſchwinden, alle Polen wollten Brüder ſein, Kinder eines Vaters,
Gottes, einer Mutter, des Vaterlandes. Die alte natürliche Wahlver-
wandtſchaft zwiſchen der polniſchen Adelslibertät und dem modernen Radi-
calismus trat wieder zu Tage. Gelehrig ging der Poſener adliche Pan
auf dieſe demagogiſchen Schlagwörter ein; wenn er in den Agronomiſchen,
den Unterſtützungs-, den Leſe-Vereinen mit den Bauern, die ihm ſonſt
die Kniee zu küſſen pflegten, kameradſchaftlich zuſammenſaß, dann ver-
langte er liebreich, daß man ihn fortan nicht mehr Graf, ſondern Bruder
nennen ſolle. Auch den kirchlichen Fanatismus verſchmähten die Demo-
kraten nicht. Da der Biſchofsſtreit beigelegt war, ſo ſchalt man auf die
Duldung, welche der König den Deutſchkatholiken in Schneidemühl ge-
währte. Es kam dort ſogar zu blutigen Händeln, und immer wieder
warnten die Kapläne das Bauernvolk: der Preuße will uns die Religion
rauben!
Die Seele der Demokratiſchen Geſellſchaft war Ludwig von Mieros-
lawski, ein echter Vertreter des vornehmen internationalen Demagogen-
thums, in Frankreich geboren und der franzöſiſchen Sprache mächtiger als
der polniſchen, nachher im Kriege gegen Rußland geſchult; ein leichtes Talent,
nicht ganz ohne mathematiſch-militäriſche Kenntniſſe, aber noch mehr bewun-
dert als Redner und Improviſator, ritterlich, eitel, geſchwätzig, liebenswürdig,
nach Sarmatenart bald ſanft bald gewaltthätig, ein Freund der Weiber,
des Tanzes, der Toilettenkünſte, ſo durch und durch frivol, daß er in einem
Athem die Jungfrau Maria, das polniſche Vaterland und ſeine eigene
Geliebte hoch leben ließ. Daneben beſtand noch eine eigentliche commu-
niſtiſche Partei, die in Poſen durch die Schriftſteller der Stefanskiſchen
Buchhandlung vertreten wurde. Communismus konnte dort im Oſten,
wo das bewegliche Capital ſo ſelten war, nichts anders bedeuten als Aecker-
vertheilung. Dies Zauberwort zündete in Poſen nur ſelten; denn hier
waren die bäuerlichen Verhältniſſe durch die Gerechtigkeit einer wohl-
wollenden Regierung leidlich geordnet und der Bauer vernahm die freund-
lichen Reden der vordem ſo hochmüthigen Edelleute mit Argwohn, ſchon
weil er im Verkehre mit den Schacherjuden die Lebensregel gelernt hatte:
wer mir ſchmeichelt will mich betrügen. Furchtbar aber, und ganz anders
als die kurzſichtigen Demagogen wähnten, wirkte die communiſtiſche Propa-
ganda in Galizien, wo das Landvolk längſt über die ſchweren Roboten
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/555>, abgerufen am 22.11.2024.
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