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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 7. Polen und Schleswigholstein.

Aus diesem ziellosen Gewoge diplomatischer Kämpfe erhob sich endlich
wieder eine festere Parteibildung, seit die geheime Arbeit der polnischen
Verschwörer die drei Ostmächte zu gemeinsamem Handeln zwang. Die
gastfreundliche Unterstützung, welche dieser erklärten Umsturzpartei in Eng-
land, Belgien und der Schweiz, vornehmlich in Frankreich gewährt wurde,
sprach allem Völkerrechte Hohn. Mit erstaunlicher Dreistigkeit pflegte der
Tuilerienhof von den Berliner Ministerien Mittheilungen zu erbitten
über preußische Unterthanen, die in Paris als polnische Märtyrer Unter-
stützung aus den geheimen Fonds verlangten. Canitz meinte zornig: "Es
ist eine eigene Forderung, die jetzt so oft wiederholt wird, daß die preußische
Regierung Anweisungen und Legitimationen für Verräther ertheilen soll."
Gleichwohl wurde die gewünschte Auskunft selten verweigert, weil man
auf solche Weise genaue Nachrichten über die Personen der Verräther er-
hielt.*) Viele der sogenannten Geächteten lebten, gänzlich unverfolgt, aus
freiem Willen in der Verbannung, um die jedem polnischen Herzen un-
widerstehlichen Reize der Pariser Geselligkeit zu genießen oder um das schlechte
Handwerk der Verschwörung unter französischem Schutze sicherer zu treiben.
Die drei namhaftesten polnischen Dichter der Zeit, Mickiewicz, Krasinski,
Stowaski spielten allesammt, gefühlvoll wie Heinrich Heine, die Rolle frei-
williger Flüchtlinge.

In den Kreisen solcher Ausgewanderten erlangen aber die extremen
Parteien stets die Oberhand. Die aristokratische Fraktion, die Gesellschaft
vom 3. Mai verehrte noch immer den greisen Fürsten Czartoryski als
ihren König Adam I. Czartoryski selbst hielt sich behutsam zurück. Er
empfing im Palaste Lambert die polnischen Flüchtlinge mit fürstlicher Gast-
freundschaft und nahm auch zuweilen die Huldigungen der Pariser Stu-
denten und Journalisten entgegen. Alljährlich am 29. Nov. zur Feier der
großen Woche hielt er seinen Landsleuten eine wohlgesetzte Rede um sie
auf den dereinstigen allgemeinen nationalen Aufstand zu vertrösten, aber
auch vor radicaler Ueberstürzung zu warnen. Seine Partei besaß an
den Grafen Zamoyski und Walewski zwei rührige, beharrlich umherreisende
Agenten, an dem schlauen, reichen Grafen Titus Dzialynski in Posen einen
mächtigen geheimen Verbündeten. Sie unterhielt Verkehr mit dem inter-
nationalen Priesterkreise zu München**), auch mit dem Posener hohen Clerus,
der seit den wohlfeilen Triumphen des Erzbischofs Dunin seine revolutionäre
Gesinnung kaum noch verbarg und unter den Bauern das Lied verbreiten ließ:

Sammelt schaarenweis Euch Alle!
Unser Feind, der Deutsche falle!
Ich der Propst verspreche Euch
Fest dafür das Himmelreich!

*) Canitz, Bemerkung zu der Note des Marquis de Dalmatie, 24. Nov.; Bodel-
schwingh an Canitz, 21. Dec. 1846.
**) Notice sur l'emigration polonaise, aus dem Departement des Grafen Orlow,
durch Rochow nach Berlin übersendet 26. Dec. 1846 -- nur mit Vorsicht zu benutzen.
V. 7. Polen und Schleswigholſtein.

Aus dieſem zielloſen Gewoge diplomatiſcher Kämpfe erhob ſich endlich
wieder eine feſtere Parteibildung, ſeit die geheime Arbeit der polniſchen
Verſchwörer die drei Oſtmächte zu gemeinſamem Handeln zwang. Die
gaſtfreundliche Unterſtützung, welche dieſer erklärten Umſturzpartei in Eng-
land, Belgien und der Schweiz, vornehmlich in Frankreich gewährt wurde,
ſprach allem Völkerrechte Hohn. Mit erſtaunlicher Dreiſtigkeit pflegte der
Tuilerienhof von den Berliner Miniſterien Mittheilungen zu erbitten
über preußiſche Unterthanen, die in Paris als polniſche Märtyrer Unter-
ſtützung aus den geheimen Fonds verlangten. Canitz meinte zornig: „Es
iſt eine eigene Forderung, die jetzt ſo oft wiederholt wird, daß die preußiſche
Regierung Anweiſungen und Legitimationen für Verräther ertheilen ſoll.“
Gleichwohl wurde die gewünſchte Auskunft ſelten verweigert, weil man
auf ſolche Weiſe genaue Nachrichten über die Perſonen der Verräther er-
hielt.*) Viele der ſogenannten Geächteten lebten, gänzlich unverfolgt, aus
freiem Willen in der Verbannung, um die jedem polniſchen Herzen un-
widerſtehlichen Reize der Pariſer Geſelligkeit zu genießen oder um das ſchlechte
Handwerk der Verſchwörung unter franzöſiſchem Schutze ſicherer zu treiben.
Die drei namhafteſten polniſchen Dichter der Zeit, Mickiewicz, Kraſinski,
Stowaski ſpielten alleſammt, gefühlvoll wie Heinrich Heine, die Rolle frei-
williger Flüchtlinge.

In den Kreiſen ſolcher Ausgewanderten erlangen aber die extremen
Parteien ſtets die Oberhand. Die ariſtokratiſche Fraktion, die Geſellſchaft
vom 3. Mai verehrte noch immer den greiſen Fürſten Czartoryski als
ihren König Adam I. Czartoryski ſelbſt hielt ſich behutſam zurück. Er
empfing im Palaſte Lambert die polniſchen Flüchtlinge mit fürſtlicher Gaſt-
freundſchaft und nahm auch zuweilen die Huldigungen der Pariſer Stu-
denten und Journaliſten entgegen. Alljährlich am 29. Nov. zur Feier der
großen Woche hielt er ſeinen Landsleuten eine wohlgeſetzte Rede um ſie
auf den dereinſtigen allgemeinen nationalen Aufſtand zu vertröſten, aber
auch vor radicaler Ueberſtürzung zu warnen. Seine Partei beſaß an
den Grafen Zamoyski und Walewski zwei rührige, beharrlich umherreiſende
Agenten, an dem ſchlauen, reichen Grafen Titus Dzialynski in Poſen einen
mächtigen geheimen Verbündeten. Sie unterhielt Verkehr mit dem inter-
nationalen Prieſterkreiſe zu München**), auch mit dem Poſener hohen Clerus,
der ſeit den wohlfeilen Triumphen des Erzbiſchofs Dunin ſeine revolutionäre
Geſinnung kaum noch verbarg und unter den Bauern das Lied verbreiten ließ:

Sammelt ſchaarenweis Euch Alle!
Unſer Feind, der Deutſche falle!
Ich der Propſt verſpreche Euch
Feſt dafür das Himmelreich!

*) Canitz, Bemerkung zu der Note des Marquis de Dalmatie, 24. Nov.; Bodel-
ſchwingh an Canitz, 21. Dec. 1846.
**) Notice sur l’émigration polonaise, aus dem Departement des Grafen Orlow,
durch Rochow nach Berlin überſendet 26. Dec. 1846 — nur mit Vorſicht zu benutzen.
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[540/0554] V. 7. Polen und Schleswigholſtein. Aus dieſem zielloſen Gewoge diplomatiſcher Kämpfe erhob ſich endlich wieder eine feſtere Parteibildung, ſeit die geheime Arbeit der polniſchen Verſchwörer die drei Oſtmächte zu gemeinſamem Handeln zwang. Die gaſtfreundliche Unterſtützung, welche dieſer erklärten Umſturzpartei in Eng- land, Belgien und der Schweiz, vornehmlich in Frankreich gewährt wurde, ſprach allem Völkerrechte Hohn. Mit erſtaunlicher Dreiſtigkeit pflegte der Tuilerienhof von den Berliner Miniſterien Mittheilungen zu erbitten über preußiſche Unterthanen, die in Paris als polniſche Märtyrer Unter- ſtützung aus den geheimen Fonds verlangten. Canitz meinte zornig: „Es iſt eine eigene Forderung, die jetzt ſo oft wiederholt wird, daß die preußiſche Regierung Anweiſungen und Legitimationen für Verräther ertheilen ſoll.“ Gleichwohl wurde die gewünſchte Auskunft ſelten verweigert, weil man auf ſolche Weiſe genaue Nachrichten über die Perſonen der Verräther er- hielt. *) Viele der ſogenannten Geächteten lebten, gänzlich unverfolgt, aus freiem Willen in der Verbannung, um die jedem polniſchen Herzen un- widerſtehlichen Reize der Pariſer Geſelligkeit zu genießen oder um das ſchlechte Handwerk der Verſchwörung unter franzöſiſchem Schutze ſicherer zu treiben. Die drei namhafteſten polniſchen Dichter der Zeit, Mickiewicz, Kraſinski, Stowaski ſpielten alleſammt, gefühlvoll wie Heinrich Heine, die Rolle frei- williger Flüchtlinge. In den Kreiſen ſolcher Ausgewanderten erlangen aber die extremen Parteien ſtets die Oberhand. Die ariſtokratiſche Fraktion, die Geſellſchaft vom 3. Mai verehrte noch immer den greiſen Fürſten Czartoryski als ihren König Adam I. Czartoryski ſelbſt hielt ſich behutſam zurück. Er empfing im Palaſte Lambert die polniſchen Flüchtlinge mit fürſtlicher Gaſt- freundſchaft und nahm auch zuweilen die Huldigungen der Pariſer Stu- denten und Journaliſten entgegen. Alljährlich am 29. Nov. zur Feier der großen Woche hielt er ſeinen Landsleuten eine wohlgeſetzte Rede um ſie auf den dereinſtigen allgemeinen nationalen Aufſtand zu vertröſten, aber auch vor radicaler Ueberſtürzung zu warnen. Seine Partei beſaß an den Grafen Zamoyski und Walewski zwei rührige, beharrlich umherreiſende Agenten, an dem ſchlauen, reichen Grafen Titus Dzialynski in Poſen einen mächtigen geheimen Verbündeten. Sie unterhielt Verkehr mit dem inter- nationalen Prieſterkreiſe zu München **), auch mit dem Poſener hohen Clerus, der ſeit den wohlfeilen Triumphen des Erzbiſchofs Dunin ſeine revolutionäre Geſinnung kaum noch verbarg und unter den Bauern das Lied verbreiten ließ: Sammelt ſchaarenweis Euch Alle! Unſer Feind, der Deutſche falle! Ich der Propſt verſpreche Euch Feſt dafür das Himmelreich! *) Canitz, Bemerkung zu der Note des Marquis de Dalmatie, 24. Nov.; Bodel- ſchwingh an Canitz, 21. Dec. 1846. **) Notice sur l’émigration polonaise, aus dem Departement des Grafen Orlow, durch Rochow nach Berlin überſendet 26. Dec. 1846 — nur mit Vorſicht zu benutzen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/554>, abgerufen am 22.11.2024.