vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die süddeutschen Kammern sollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräsentation, sondern eine Versammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten, eine im historischen Rechtsboden festgewurzelte Körperschaft, die eben deshalb weder den befreundeten Ostmächten Anstoß geben noch die preußische Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi- schen Ständelehre, welche der Fürst von Solms-Lich den Höfen neuerdings wieder mundgerecht vorgesetzt hatte. Er übersah, daß der constitutionelle bairische Landtag doch auch nach dem Grundsatze der ständischen Gliederung gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußische Reichstag, wenn er nur mehr war als ein kleiner Ausschuß, sich selbst für eine Volksvertretung ansehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger als der König hatte Dahlmann schon vor Jahren diese nothwendige Entwick- lung vorausgesagt, als er in einem der schönsten Capitel seiner "Politik" ausführte: dieselbe Macht der Geschichte, welche überall an die Stelle der Dienste das Geld, an die Stelle der Sitte die Einsicht, an die Stelle der Standesmeinung eine öffentliche Meinung gesetzt habe, sie nöthige auch die alten Landstände zusammenzurücken zu einer Volksvertretung. Solche Worte konnte der König nur für revolutionär ansehen, denn der Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche "den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen" wolle.
Eben diese Idee des christlich-germanischen Patrimonialstaates war dem Monarchen heilig; sie wollte er verwirklichen -- "auf Jahrhunderte hinaus", wie Fürst Solms zuversichtlich meinte -- im bewußten Gegen- satze zu den Staaten der Volkssouveränität und der papiernen Charten. Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in seine verborgenen Pläne. Im buchstäblichen Sinne verstand er die Mahnung, die ihm Leopold Gerlach in diesen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf "diesen Pumpernickel- Lafayette" gescholten, als die westphälischen Stände an das Verfassungs- versprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort sich durch seine kühne Sprache hervorthat. Das Volk sollte gehorsam abwarten, was des Königs Weisheit ihm schenken würde; nimmermehr wollte er sich drängen lassen.
Leider bekundeten jetzt schon mannichfache Anzeichen, wie wenig diese Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerstehen vermochte. Zu- gleich mit der Verfassungssache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite der beiden großen Fragen, welche ihm sein Vater ungelöst hinterlassen hatte, den Bischofsstreit, ernstlich ins Auge gefaßt. Er beschloß, durch eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Papste den Zwist beizulegen und gestattete schon am 13. Juli dem Erz-
Stände, nicht Volksvertreter.
vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die ſüddeutſchen Kammern ſollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräſentation, ſondern eine Verſammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten, eine im hiſtoriſchen Rechtsboden feſtgewurzelte Körperſchaft, die eben deshalb weder den befreundeten Oſtmächten Anſtoß geben noch die preußiſche Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi- ſchen Ständelehre, welche der Fürſt von Solms-Lich den Höfen neuerdings wieder mundgerecht vorgeſetzt hatte. Er überſah, daß der conſtitutionelle bairiſche Landtag doch auch nach dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußiſche Reichstag, wenn er nur mehr war als ein kleiner Ausſchuß, ſich ſelbſt für eine Volksvertretung anſehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger als der König hatte Dahlmann ſchon vor Jahren dieſe nothwendige Entwick- lung vorausgeſagt, als er in einem der ſchönſten Capitel ſeiner „Politik“ ausführte: dieſelbe Macht der Geſchichte, welche überall an die Stelle der Dienſte das Geld, an die Stelle der Sitte die Einſicht, an die Stelle der Standesmeinung eine öffentliche Meinung geſetzt habe, ſie nöthige auch die alten Landſtände zuſammenzurücken zu einer Volksvertretung. Solche Worte konnte der König nur für revolutionär anſehen, denn der Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche „den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen“ wolle.
Eben dieſe Idee des chriſtlich-germaniſchen Patrimonialſtaates war dem Monarchen heilig; ſie wollte er verwirklichen — „auf Jahrhunderte hinaus“, wie Fürſt Solms zuverſichtlich meinte — im bewußten Gegen- ſatze zu den Staaten der Volksſouveränität und der papiernen Charten. Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in ſeine verborgenen Pläne. Im buchſtäblichen Sinne verſtand er die Mahnung, die ihm Leopold Gerlach in dieſen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „dieſen Pumpernickel- Lafayette“ geſcholten, als die weſtphäliſchen Stände an das Verfaſſungs- verſprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort ſich durch ſeine kühne Sprache hervorthat. Das Volk ſollte gehorſam abwarten, was des Königs Weisheit ihm ſchenken würde; nimmermehr wollte er ſich drängen laſſen.
Leider bekundeten jetzt ſchon mannichfache Anzeichen, wie wenig dieſe Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerſtehen vermochte. Zu- gleich mit der Verfaſſungsſache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite der beiden großen Fragen, welche ihm ſein Vater ungelöſt hinterlaſſen hatte, den Biſchofsſtreit, ernſtlich ins Auge gefaßt. Er beſchloß, durch eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Papſte den Zwiſt beizulegen und geſtattete ſchon am 13. Juli dem Erz-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0051"n="37"/><fwplace="top"type="header">Stände, nicht Volksvertreter.</fw><lb/>
vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die ſüddeutſchen Kammern<lb/>ſollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräſentation,<lb/>ſondern eine Verſammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu<lb/>
wahren hätten, eine im hiſtoriſchen Rechtsboden feſtgewurzelte Körperſchaft,<lb/>
die eben deshalb weder den befreundeten Oſtmächten Anſtoß geben noch<lb/>
die preußiſche Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme<lb/>
treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi-<lb/>ſchen Ständelehre, welche der Fürſt von Solms-Lich den Höfen neuerdings<lb/>
wieder mundgerecht vorgeſetzt hatte. Er überſah, daß der conſtitutionelle<lb/>
bairiſche Landtag doch auch nach dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung<lb/>
gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußiſche Reichstag, wenn er nur<lb/>
mehr war als ein kleiner Ausſchuß, ſich ſelbſt für eine Volksvertretung<lb/>
anſehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger<lb/>
als der König hatte Dahlmann ſchon vor Jahren dieſe nothwendige Entwick-<lb/>
lung vorausgeſagt, als er in einem der ſchönſten Capitel ſeiner „Politik“<lb/>
ausführte: dieſelbe Macht der Geſchichte, welche überall an die Stelle der<lb/>
Dienſte das Geld, an die Stelle der Sitte die Einſicht, an die Stelle<lb/>
der Standesmeinung eine öffentliche Meinung geſetzt habe, ſie nöthige<lb/>
auch die alten Landſtände zuſammenzurücken zu einer Volksvertretung.<lb/>
Solche Worte konnte der König nur für revolutionär anſehen, denn der<lb/>
Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche<lb/>„den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen“ wolle.</p><lb/><p>Eben dieſe Idee des chriſtlich-germaniſchen Patrimonialſtaates war<lb/>
dem Monarchen heilig; ſie wollte er verwirklichen —„auf Jahrhunderte<lb/>
hinaus“, wie Fürſt Solms zuverſichtlich meinte — im bewußten Gegen-<lb/>ſatze zu den Staaten der Volksſouveränität und der papiernen Charten.<lb/>
Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in ſeine verborgenen<lb/>
Pläne. Im buchſtäblichen Sinne verſtand er die Mahnung, die ihm<lb/>
Leopold Gerlach in dieſen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu<lb/>
regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden<lb/>
hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „dieſen Pumpernickel-<lb/>
Lafayette“ geſcholten, als die weſtphäliſchen Stände an das Verfaſſungs-<lb/>
verſprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort ſich durch<lb/>ſeine kühne Sprache hervorthat. Das Volk ſollte gehorſam abwarten,<lb/>
was des Königs Weisheit ihm ſchenken würde; nimmermehr wollte er ſich<lb/>
drängen laſſen.</p><lb/><p>Leider bekundeten jetzt ſchon mannichfache Anzeichen, wie wenig dieſe<lb/>
Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerſtehen vermochte. Zu-<lb/>
gleich mit der Verfaſſungsſache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite<lb/>
der beiden großen Fragen, welche ihm ſein Vater ungelöſt hinterlaſſen<lb/>
hatte, den Biſchofsſtreit, ernſtlich ins Auge gefaßt. Er beſchloß, durch<lb/>
eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem<lb/>
Papſte den Zwiſt beizulegen und geſtattete ſchon am 13. Juli dem Erz-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0051]
Stände, nicht Volksvertreter.
vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die ſüddeutſchen Kammern
ſollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräſentation,
ſondern eine Verſammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu
wahren hätten, eine im hiſtoriſchen Rechtsboden feſtgewurzelte Körperſchaft,
die eben deshalb weder den befreundeten Oſtmächten Anſtoß geben noch
die preußiſche Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme
treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi-
ſchen Ständelehre, welche der Fürſt von Solms-Lich den Höfen neuerdings
wieder mundgerecht vorgeſetzt hatte. Er überſah, daß der conſtitutionelle
bairiſche Landtag doch auch nach dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung
gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußiſche Reichstag, wenn er nur
mehr war als ein kleiner Ausſchuß, ſich ſelbſt für eine Volksvertretung
anſehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger
als der König hatte Dahlmann ſchon vor Jahren dieſe nothwendige Entwick-
lung vorausgeſagt, als er in einem der ſchönſten Capitel ſeiner „Politik“
ausführte: dieſelbe Macht der Geſchichte, welche überall an die Stelle der
Dienſte das Geld, an die Stelle der Sitte die Einſicht, an die Stelle
der Standesmeinung eine öffentliche Meinung geſetzt habe, ſie nöthige
auch die alten Landſtände zuſammenzurücken zu einer Volksvertretung.
Solche Worte konnte der König nur für revolutionär anſehen, denn der
Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche
„den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen“ wolle.
Eben dieſe Idee des chriſtlich-germaniſchen Patrimonialſtaates war
dem Monarchen heilig; ſie wollte er verwirklichen — „auf Jahrhunderte
hinaus“, wie Fürſt Solms zuverſichtlich meinte — im bewußten Gegen-
ſatze zu den Staaten der Volksſouveränität und der papiernen Charten.
Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in ſeine verborgenen
Pläne. Im buchſtäblichen Sinne verſtand er die Mahnung, die ihm
Leopold Gerlach in dieſen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu
regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden
hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „dieſen Pumpernickel-
Lafayette“ geſcholten, als die weſtphäliſchen Stände an das Verfaſſungs-
verſprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort ſich durch
ſeine kühne Sprache hervorthat. Das Volk ſollte gehorſam abwarten,
was des Königs Weisheit ihm ſchenken würde; nimmermehr wollte er ſich
drängen laſſen.
Leider bekundeten jetzt ſchon mannichfache Anzeichen, wie wenig dieſe
Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerſtehen vermochte. Zu-
gleich mit der Verfaſſungsſache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite
der beiden großen Fragen, welche ihm ſein Vater ungelöſt hinterlaſſen
hatte, den Biſchofsſtreit, ernſtlich ins Auge gefaßt. Er beſchloß, durch
eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem
Papſte den Zwiſt beizulegen und geſtattete ſchon am 13. Juli dem Erz-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/51>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.