die obere Weser befreit -- für 250 Thaler -- und die Dampfschifffahrt konnte beginnen. Der welfische Hof aber verwand es nicht, daß ihm die Berechnungen seiner Handelspolitik so freventlich gestört wurden, und ließ gegen Rolff wegen verbotener Steine-Ausfuhr ein Strafverfahren ein- leiten, das erst nach längerer Zeit wieder eingestellt wurde.
Diese Händel waren kaum beendet, da wagte Duckwitz schon, an eine transatlantische Dampfschifffahrt zu denken. Bisher war erst eine Dampfer- linie nach Nordamerika in regelmäßigem Betriebe, die von der englischen Regierung reichlich unterstützte Cunard-Linie zwischen Liverpool und Neu- York. Die schwachen Maschinen der Dampfer arbeiteten freilich noch so unsicher, daß viele Postverwaltungen vorzogen, bei günstigem Passat- winde rasche Segler zu benutzen; denn grade in diesen Jahren erreichte die Segelschifffahrt ihren Höhepunkt, es war die Zeit der gerühmten ameri- kanischen Klipper. Als nunmehr die Vereinigten Staaten den Plan faßten, eine Dampferlinie nach dem Festlande Europas einzurichten und zu unter- stützen, da bewirkte der Consul Man, angeregt durch Duckwitz und andere Bremer Kaufherren, daß die Weserstadt zum Zielpunkte dieser Linie ge- wählt wurde. Die Union verständigte sich darauf mit den deutschen Staaten, obgleich England kräftig entgegenzuwirken suchte. Zwei Dampfer, Washington und Hermann wurden ausgerüstet; Amerika zahlte 100,000 Dollars Unterstützung für jedes Schiff, Deutschland insgesammt 286,000, davon Preußen und Bremen je 100,000 Dollars. Und wie reiche Zinsen trug dies Opfer, das die radicalen Freihändler für Verschwendung er- klärten. Der regelmäßige Verkehr rief ganz von selbst neue Geschäfts- verbindungen hervor; alle deutschen Postverwaltungen bedienten sich der Bre- mischen Dampfer, so daß sich hier zuerst der Keim eines gesammtdeutschen Postwesens zeigte; und binnen acht Jahren stieg der Werth der über Bremen nach Nordamerika ausgeführten Industriewaaren von 3,3 auf 16 Mill. Thlr. Es war der bescheidene Anfang einer gewaltigen Ent- wickelung, die schließlich dahin führte, daß Deutschlands überseeischer Handel größer wurde als sein Handel mit dem europäischen Ausland.
Und wie viele andere Unterlassungssünden noch, die man in der langen Zeit binnenländischer Verstockung kaum bemerkt hatte, erschienen jetzt als eine nationale Schmach; die Deutschen besannen sich wieder auf sich selber und gedachten ihrer alten Seeherrschaft. Die Publicisten, List voran, forderten ungeduldig eine deutsche Flagge; mit vollem Rechte, denn die Ausländer wußten kaum, daß es ein Deutschland gebe, und sogar unsere Seeleute, die sich mit den besten der Welt kühnlich messen durften, standen draußen doch in geringem Ansehen, zumal da sie, nach dem be- scheidenen alten deutschen Brauche, nur halb so hohen Lohn empfingen wie die englischen. Ebenso lebhaft wurde die Einsetzung deutscher Consuln verlangt; Preußen besaß ihrer zwar schon 230, doch fast durchweg nur kauf- männische Wahl-Consuln, und sie durften andere Deutsche nicht vertreten.
Transatlantiſche Dampfſchifffahrt.
die obere Weſer befreit — für 250 Thaler — und die Dampfſchifffahrt konnte beginnen. Der welfiſche Hof aber verwand es nicht, daß ihm die Berechnungen ſeiner Handelspolitik ſo freventlich geſtört wurden, und ließ gegen Rolff wegen verbotener Steine-Ausfuhr ein Strafverfahren ein- leiten, das erſt nach längerer Zeit wieder eingeſtellt wurde.
Dieſe Händel waren kaum beendet, da wagte Duckwitz ſchon, an eine transatlantiſche Dampfſchifffahrt zu denken. Bisher war erſt eine Dampfer- linie nach Nordamerika in regelmäßigem Betriebe, die von der engliſchen Regierung reichlich unterſtützte Cunard-Linie zwiſchen Liverpool und Neu- York. Die ſchwachen Maſchinen der Dampfer arbeiteten freilich noch ſo unſicher, daß viele Poſtverwaltungen vorzogen, bei günſtigem Paſſat- winde raſche Segler zu benutzen; denn grade in dieſen Jahren erreichte die Segelſchifffahrt ihren Höhepunkt, es war die Zeit der gerühmten ameri- kaniſchen Klipper. Als nunmehr die Vereinigten Staaten den Plan faßten, eine Dampferlinie nach dem Feſtlande Europas einzurichten und zu unter- ſtützen, da bewirkte der Conſul Man, angeregt durch Duckwitz und andere Bremer Kaufherren, daß die Weſerſtadt zum Zielpunkte dieſer Linie ge- wählt wurde. Die Union verſtändigte ſich darauf mit den deutſchen Staaten, obgleich England kräftig entgegenzuwirken ſuchte. Zwei Dampfer, Waſhington und Hermann wurden ausgerüſtet; Amerika zahlte 100,000 Dollars Unterſtützung für jedes Schiff, Deutſchland insgeſammt 286,000, davon Preußen und Bremen je 100,000 Dollars. Und wie reiche Zinſen trug dies Opfer, das die radicalen Freihändler für Verſchwendung er- klärten. Der regelmäßige Verkehr rief ganz von ſelbſt neue Geſchäfts- verbindungen hervor; alle deutſchen Poſtverwaltungen bedienten ſich der Bre- miſchen Dampfer, ſo daß ſich hier zuerſt der Keim eines geſammtdeutſchen Poſtweſens zeigte; und binnen acht Jahren ſtieg der Werth der über Bremen nach Nordamerika ausgeführten Induſtriewaaren von 3,3 auf 16 Mill. Thlr. Es war der beſcheidene Anfang einer gewaltigen Ent- wickelung, die ſchließlich dahin führte, daß Deutſchlands überſeeiſcher Handel größer wurde als ſein Handel mit dem europäiſchen Ausland.
Und wie viele andere Unterlaſſungsſünden noch, die man in der langen Zeit binnenländiſcher Verſtockung kaum bemerkt hatte, erſchienen jetzt als eine nationale Schmach; die Deutſchen beſannen ſich wieder auf ſich ſelber und gedachten ihrer alten Seeherrſchaft. Die Publiciſten, Liſt voran, forderten ungeduldig eine deutſche Flagge; mit vollem Rechte, denn die Ausländer wußten kaum, daß es ein Deutſchland gebe, und ſogar unſere Seeleute, die ſich mit den beſten der Welt kühnlich meſſen durften, ſtanden draußen doch in geringem Anſehen, zumal da ſie, nach dem be- ſcheidenen alten deutſchen Brauche, nur halb ſo hohen Lohn empfingen wie die engliſchen. Ebenſo lebhaft wurde die Einſetzung deutſcher Conſuln verlangt; Preußen beſaß ihrer zwar ſchon 230, doch faſt durchweg nur kauf- männiſche Wahl-Conſuln, und ſie durften andere Deutſche nicht vertreten.
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Transatlantiſche Dampfſchifffahrt.
die obere Weſer befreit — für 250 Thaler — und die Dampfſchifffahrt
konnte beginnen. Der welfiſche Hof aber verwand es nicht, daß ihm die
Berechnungen ſeiner Handelspolitik ſo freventlich geſtört wurden, und ließ
gegen Rolff wegen verbotener Steine-Ausfuhr ein Strafverfahren ein-
leiten, das erſt nach längerer Zeit wieder eingeſtellt wurde.
Dieſe Händel waren kaum beendet, da wagte Duckwitz ſchon, an eine
transatlantiſche Dampfſchifffahrt zu denken. Bisher war erſt eine Dampfer-
linie nach Nordamerika in regelmäßigem Betriebe, die von der engliſchen
Regierung reichlich unterſtützte Cunard-Linie zwiſchen Liverpool und Neu-
York. Die ſchwachen Maſchinen der Dampfer arbeiteten freilich noch
ſo unſicher, daß viele Poſtverwaltungen vorzogen, bei günſtigem Paſſat-
winde raſche Segler zu benutzen; denn grade in dieſen Jahren erreichte
die Segelſchifffahrt ihren Höhepunkt, es war die Zeit der gerühmten ameri-
kaniſchen Klipper. Als nunmehr die Vereinigten Staaten den Plan faßten,
eine Dampferlinie nach dem Feſtlande Europas einzurichten und zu unter-
ſtützen, da bewirkte der Conſul Man, angeregt durch Duckwitz und andere
Bremer Kaufherren, daß die Weſerſtadt zum Zielpunkte dieſer Linie ge-
wählt wurde. Die Union verſtändigte ſich darauf mit den deutſchen
Staaten, obgleich England kräftig entgegenzuwirken ſuchte. Zwei Dampfer,
Waſhington und Hermann wurden ausgerüſtet; Amerika zahlte 100,000
Dollars Unterſtützung für jedes Schiff, Deutſchland insgeſammt 286,000,
davon Preußen und Bremen je 100,000 Dollars. Und wie reiche Zinſen
trug dies Opfer, das die radicalen Freihändler für Verſchwendung er-
klärten. Der regelmäßige Verkehr rief ganz von ſelbſt neue Geſchäfts-
verbindungen hervor; alle deutſchen Poſtverwaltungen bedienten ſich der Bre-
miſchen Dampfer, ſo daß ſich hier zuerſt der Keim eines geſammtdeutſchen
Poſtweſens zeigte; und binnen acht Jahren ſtieg der Werth der über
Bremen nach Nordamerika ausgeführten Induſtriewaaren von 3,3 auf
16 Mill. Thlr. Es war der beſcheidene Anfang einer gewaltigen Ent-
wickelung, die ſchließlich dahin führte, daß Deutſchlands überſeeiſcher
Handel größer wurde als ſein Handel mit dem europäiſchen Ausland.
Und wie viele andere Unterlaſſungsſünden noch, die man in der
langen Zeit binnenländiſcher Verſtockung kaum bemerkt hatte, erſchienen
jetzt als eine nationale Schmach; die Deutſchen beſannen ſich wieder auf
ſich ſelber und gedachten ihrer alten Seeherrſchaft. Die Publiciſten, Liſt
voran, forderten ungeduldig eine deutſche Flagge; mit vollem Rechte, denn
die Ausländer wußten kaum, daß es ein Deutſchland gebe, und ſogar
unſere Seeleute, die ſich mit den beſten der Welt kühnlich meſſen durften,
ſtanden draußen doch in geringem Anſehen, zumal da ſie, nach dem be-
ſcheidenen alten deutſchen Brauche, nur halb ſo hohen Lohn empfingen
wie die engliſchen. Ebenſo lebhaft wurde die Einſetzung deutſcher Conſuln
verlangt; Preußen beſaß ihrer zwar ſchon 230, doch faſt durchweg nur kauf-
männiſche Wahl-Conſuln, und ſie durften andere Deutſche nicht vertreten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/501>, abgerufen am 22.11.2024.
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