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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthschaft.
lich ähnliche Vergünstigungen, wie sie Hannover durch seinen Sonder-
vertrag erlangt, auch für den Zollverein gefordert; sie verlangte, daß
England alle Fahrten deutscher Schiffe in der gesammten Nord- und
Ostsee als direkte Fahrten behandeln solle. Die Briten weigerten sich,
denn inzwischen war Gladstone, der geschworene Feind Deutschlands in
das Cabinet eingetreten. Da kündigte der Berliner Hof (1847) den Ver-
trag von 1841, der einst die Süddeutschen so sehr erbittert hatte, und
bewies damit abermals, daß er wirklich nicht gemeint war sich von
England in's Schlepptau nehmen zu lassen. Diese Kündigung erregte
in Downingstreet heftigen Unwillen, und doch trug sie dazu bei, daß
endlich ein Entschluß zur Reife kam, der ohnehin schon längst in dem
neuen Whig-Cabinet erwogen wurde. Seit dem Beginne der Freihandels-
politik ließ sich Cromwell's Werk, die Navigationsakte kaum noch halten;
die übermächtige englische Handelsflotte bedurfte auch nicht mehr dieser
Stütze, die ihr volle zweihundert Jahre hindurch so große Dienste er-
wiesen hatte. Um Weihnachten 1847 ward der Ministerrath einig; die
Thronrede kündigte dem Parlamente an, daß die Navigationsakte demnächst
fallen solle. Die deutsche Schifffahrt durfte also in naher Zukunft eine
lange gewünschte Erleichterung erwarten.

Ungeschreckt durch das Mißlingen seines Schifffahrtsbundes, brachte
der unermüdliche Duckwitz doch noch ein für die deutsche Schifffahrt folgen-
reiches Unternehmen zu Stande. Wie kläglich lag unsere Ausfuhr noch
darnieder: als der unternehmende Fritz Harkort seinen Dampfer "Rhein"
gradeswegs von Köln nach London zu senden wagte (1837), da mußte er
das Schiff, damit es nur die See halten konnte, mit Pflastersteinen füllen.
Und was für lächerliche Kämpfe hatte Duckwitz vor wenigen Jahren erst
gegen die bösen Welfischen Nachbarn führen müssen. Damals beabsichtigte
er, auf der oberen Weser bis nach Hameln hinauf eine Dampfschifffahrt
einzurichten; daß dies möglich war, hatte Harkort durch eine kühne Probe-
fahrt schon bewiesen. Alle die landesüblichen kleinen Bedenken und Hinder-
nisse waren endlich beseitigt; bei Liebenau aber, auf hannoverschem Ge-
biete lagen mitten im Strombett einige Felsblöcke, die den Fluß für die
gewöhnliche Fahrt der Dampfschiffe sperrten. Diese Liebenauer Steine zu
sprengen hielt die hannoversche Regierung für unmöglich; sie wollte auch
an das aussichtslose Wagniß kein Geld verschwenden, weil der Flußver-
kehr der Zollkasse weniger einbrachte als die Frachtfuhren auf den Land-
straßen. Da erschien eines Tages bei Duckwitz einer von Harkort's Fahrt-
genossen, der Schiffer Rolff aus Preußisch-Minden und erklärte dreist:
"wenn Sie mir 250 Thaler versprechen, so schaffe ich die Liebenauer
Steine weg." Er empfing die Zusage und erwirkte sich auch die Erlaubniß
des hannoverschen Amtmannes, der den tapferen Preußen für einen toll-
dreisten Narren hielt. Nach einigen Wochen kam er wieder nach Bremen
und meldete: "die Liebenauer Steine liegen hier im Hafen!" So ward

V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft.
lich ähnliche Vergünſtigungen, wie ſie Hannover durch ſeinen Sonder-
vertrag erlangt, auch für den Zollverein gefordert; ſie verlangte, daß
England alle Fahrten deutſcher Schiffe in der geſammten Nord- und
Oſtſee als direkte Fahrten behandeln ſolle. Die Briten weigerten ſich,
denn inzwiſchen war Gladſtone, der geſchworene Feind Deutſchlands in
das Cabinet eingetreten. Da kündigte der Berliner Hof (1847) den Ver-
trag von 1841, der einſt die Süddeutſchen ſo ſehr erbittert hatte, und
bewies damit abermals, daß er wirklich nicht gemeint war ſich von
England in’s Schlepptau nehmen zu laſſen. Dieſe Kündigung erregte
in Downingſtreet heftigen Unwillen, und doch trug ſie dazu bei, daß
endlich ein Entſchluß zur Reife kam, der ohnehin ſchon längſt in dem
neuen Whig-Cabinet erwogen wurde. Seit dem Beginne der Freihandels-
politik ließ ſich Cromwell’s Werk, die Navigationsakte kaum noch halten;
die übermächtige engliſche Handelsflotte bedurfte auch nicht mehr dieſer
Stütze, die ihr volle zweihundert Jahre hindurch ſo große Dienſte er-
wieſen hatte. Um Weihnachten 1847 ward der Miniſterrath einig; die
Thronrede kündigte dem Parlamente an, daß die Navigationsakte demnächſt
fallen ſolle. Die deutſche Schifffahrt durfte alſo in naher Zukunft eine
lange gewünſchte Erleichterung erwarten.

Ungeſchreckt durch das Mißlingen ſeines Schifffahrtsbundes, brachte
der unermüdliche Duckwitz doch noch ein für die deutſche Schifffahrt folgen-
reiches Unternehmen zu Stande. Wie kläglich lag unſere Ausfuhr noch
darnieder: als der unternehmende Fritz Harkort ſeinen Dampfer „Rhein“
gradeswegs von Köln nach London zu ſenden wagte (1837), da mußte er
das Schiff, damit es nur die See halten konnte, mit Pflaſterſteinen füllen.
Und was für lächerliche Kämpfe hatte Duckwitz vor wenigen Jahren erſt
gegen die böſen Welfiſchen Nachbarn führen müſſen. Damals beabſichtigte
er, auf der oberen Weſer bis nach Hameln hinauf eine Dampfſchifffahrt
einzurichten; daß dies möglich war, hatte Harkort durch eine kühne Probe-
fahrt ſchon bewieſen. Alle die landesüblichen kleinen Bedenken und Hinder-
niſſe waren endlich beſeitigt; bei Liebenau aber, auf hannoverſchem Ge-
biete lagen mitten im Strombett einige Felsblöcke, die den Fluß für die
gewöhnliche Fahrt der Dampfſchiffe ſperrten. Dieſe Liebenauer Steine zu
ſprengen hielt die hannoverſche Regierung für unmöglich; ſie wollte auch
an das ausſichtsloſe Wagniß kein Geld verſchwenden, weil der Flußver-
kehr der Zollkaſſe weniger einbrachte als die Frachtfuhren auf den Land-
ſtraßen. Da erſchien eines Tages bei Duckwitz einer von Harkort’s Fahrt-
genoſſen, der Schiffer Rolff aus Preußiſch-Minden und erklärte dreiſt:
„wenn Sie mir 250 Thaler verſprechen, ſo ſchaffe ich die Liebenauer
Steine weg.“ Er empfing die Zuſage und erwirkte ſich auch die Erlaubniß
des hannoverſchen Amtmannes, der den tapferen Preußen für einen toll-
dreiſten Narren hielt. Nach einigen Wochen kam er wieder nach Bremen
und meldete: „die Liebenauer Steine liegen hier im Hafen!“ So ward

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[486/0500] V. 6. Wachsthum und Siechthum der Volkswirthſchaft. lich ähnliche Vergünſtigungen, wie ſie Hannover durch ſeinen Sonder- vertrag erlangt, auch für den Zollverein gefordert; ſie verlangte, daß England alle Fahrten deutſcher Schiffe in der geſammten Nord- und Oſtſee als direkte Fahrten behandeln ſolle. Die Briten weigerten ſich, denn inzwiſchen war Gladſtone, der geſchworene Feind Deutſchlands in das Cabinet eingetreten. Da kündigte der Berliner Hof (1847) den Ver- trag von 1841, der einſt die Süddeutſchen ſo ſehr erbittert hatte, und bewies damit abermals, daß er wirklich nicht gemeint war ſich von England in’s Schlepptau nehmen zu laſſen. Dieſe Kündigung erregte in Downingſtreet heftigen Unwillen, und doch trug ſie dazu bei, daß endlich ein Entſchluß zur Reife kam, der ohnehin ſchon längſt in dem neuen Whig-Cabinet erwogen wurde. Seit dem Beginne der Freihandels- politik ließ ſich Cromwell’s Werk, die Navigationsakte kaum noch halten; die übermächtige engliſche Handelsflotte bedurfte auch nicht mehr dieſer Stütze, die ihr volle zweihundert Jahre hindurch ſo große Dienſte er- wieſen hatte. Um Weihnachten 1847 ward der Miniſterrath einig; die Thronrede kündigte dem Parlamente an, daß die Navigationsakte demnächſt fallen ſolle. Die deutſche Schifffahrt durfte alſo in naher Zukunft eine lange gewünſchte Erleichterung erwarten. Ungeſchreckt durch das Mißlingen ſeines Schifffahrtsbundes, brachte der unermüdliche Duckwitz doch noch ein für die deutſche Schifffahrt folgen- reiches Unternehmen zu Stande. Wie kläglich lag unſere Ausfuhr noch darnieder: als der unternehmende Fritz Harkort ſeinen Dampfer „Rhein“ gradeswegs von Köln nach London zu ſenden wagte (1837), da mußte er das Schiff, damit es nur die See halten konnte, mit Pflaſterſteinen füllen. Und was für lächerliche Kämpfe hatte Duckwitz vor wenigen Jahren erſt gegen die böſen Welfiſchen Nachbarn führen müſſen. Damals beabſichtigte er, auf der oberen Weſer bis nach Hameln hinauf eine Dampfſchifffahrt einzurichten; daß dies möglich war, hatte Harkort durch eine kühne Probe- fahrt ſchon bewieſen. Alle die landesüblichen kleinen Bedenken und Hinder- niſſe waren endlich beſeitigt; bei Liebenau aber, auf hannoverſchem Ge- biete lagen mitten im Strombett einige Felsblöcke, die den Fluß für die gewöhnliche Fahrt der Dampfſchiffe ſperrten. Dieſe Liebenauer Steine zu ſprengen hielt die hannoverſche Regierung für unmöglich; ſie wollte auch an das ausſichtsloſe Wagniß kein Geld verſchwenden, weil der Flußver- kehr der Zollkaſſe weniger einbrachte als die Frachtfuhren auf den Land- ſtraßen. Da erſchien eines Tages bei Duckwitz einer von Harkort’s Fahrt- genoſſen, der Schiffer Rolff aus Preußiſch-Minden und erklärte dreiſt: „wenn Sie mir 250 Thaler verſprechen, ſo ſchaffe ich die Liebenauer Steine weg.“ Er empfing die Zuſage und erwirkte ſich auch die Erlaubniß des hannoverſchen Amtmannes, der den tapferen Preußen für einen toll- dreiſten Narren hielt. Nach einigen Wochen kam er wieder nach Bremen und meldete: „die Liebenauer Steine liegen hier im Hafen!“ So ward

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/500>, abgerufen am 22.11.2024.