Preußen. Nun wies ihm List nach, daß der Zollverein mit dem geliebten England auch dann in guter Freundschaft leben könnte, wenn er strenge Schutzzölle einführte. Was konnte ihm willkommener sein? Friedrich Wilhelm wünschte lebhaft, den durch Bunsen und Rönne warm empfohlenen Verfasser der Denkschrift im preußischen Dienste anzustellen, etwa als General-Inspector der Eisenbahnen und Fabriken des Zollvereins oder als Leiter der deutschen Colonisation in Posen, wie Bunsen vorschlug. Freilich konnte eine solche Ernennung nicht sogleich erfolgen, weil der Zwie- spalt im hohen Beamtenthum noch fortwährte. Als Kühne eben in diesen Tagen für die nochmals erledigte Stelle des Finanzministers vorgeschlagen wurde, da verlangte der König, Kühne müsse sich erst mit List, der nach Berlin berufen werden sollte, über die Grundsätze der Handelspolitik ver- ständigen. Hierauf konnte sich List's alter Gegner nicht einlassen, und diese Weigerung diente als Grund oder als Vorwand um den liberalen Candidaten, der sich ohnehin nicht der königlichen Gunst erfreute, vom Ministerrathe fern zu halten.*)
Von allen diesen Plänen erfuhr List kein Wort. Er erhielt vor- läufig nur ein einfaches Dankschreiben aus Berlin und kehrte fast muth- los in die Heimath zurück. Hier übermannte ihn gänzlich die schreckliche Hypochondrie, die seinen fröhlichen Sinn schon so oft gemartert hatte. Er wähnte sich verfolgt von aller Welt, da ihm die Gegner seine groben Angriffe durch schmähliche Verleumdungen heimzahlten; er fühlte sich un- fähig zu jeder Arbeit und obwohl für seine nächste Zukunft noch hinrei- chend gesorgt war, so meinte er doch die Zeit nahen zu sehen, da seine Feder ihn und seine heißgeliebte Familie nicht mehr ernähren könnte. Völlig krank, von fieberischer Unruhe gepackt unternahm er noch eine zwecklose Reise, und im November 1846 gab er sich in Kufstein selbst den Tod. Dies schauerliche Ende eines reichen Lebens erschütterte die ge- sammte Nation. Auf dem Kufsteiner Kirchhofe, dicht an der deutschen Grenze, wurde "Deutschlands Friedrich List" unter einem großen Grab- steine gebettet, Sammlungen der Parteifreunde sicherten den Unterhalt der Hinterlassenen, und manche klagende Stimme nannte ihn ein Opfer deutscher Undankbarkeit. In Wahrheit war sein Tod nur die Folge einer unheimlichen Krankheit, die ihm zuletzt die Freiheit des Willens benahm. Wer darf sagen, ob diese Prophetennatur, die nur wecken, er- regen, entflammen, nicht leiten konnte, in einem mächtigen Parlamente glücklicher gewirkt hätte? Das aber ist sicher: das Elend unserer Klein- staaterei, die einen großen politischen Charakter so gar nicht zu ertragen ver- mochte, hat ihm sein ganzes Leben vergällt und getrübt. Erst die Nachwelt würdigt ganz was unvergänglich war in seinem Schaffen. --
In allen diesen Zollvereinshändeln sprachen die beiden streitenden
*) Nach Kühne's Aufzeichnungen.
31*
Liſt’s Tod.
Preußen. Nun wies ihm Liſt nach, daß der Zollverein mit dem geliebten England auch dann in guter Freundſchaft leben könnte, wenn er ſtrenge Schutzzölle einführte. Was konnte ihm willkommener ſein? Friedrich Wilhelm wünſchte lebhaft, den durch Bunſen und Rönne warm empfohlenen Verfaſſer der Denkſchrift im preußiſchen Dienſte anzuſtellen, etwa als General-Inſpector der Eiſenbahnen und Fabriken des Zollvereins oder als Leiter der deutſchen Coloniſation in Poſen, wie Bunſen vorſchlug. Freilich konnte eine ſolche Ernennung nicht ſogleich erfolgen, weil der Zwie- ſpalt im hohen Beamtenthum noch fortwährte. Als Kühne eben in dieſen Tagen für die nochmals erledigte Stelle des Finanzminiſters vorgeſchlagen wurde, da verlangte der König, Kühne müſſe ſich erſt mit Liſt, der nach Berlin berufen werden ſollte, über die Grundſätze der Handelspolitik ver- ſtändigen. Hierauf konnte ſich Liſt’s alter Gegner nicht einlaſſen, und dieſe Weigerung diente als Grund oder als Vorwand um den liberalen Candidaten, der ſich ohnehin nicht der königlichen Gunſt erfreute, vom Miniſterrathe fern zu halten.*)
Von allen dieſen Plänen erfuhr Liſt kein Wort. Er erhielt vor- läufig nur ein einfaches Dankſchreiben aus Berlin und kehrte faſt muth- los in die Heimath zurück. Hier übermannte ihn gänzlich die ſchreckliche Hypochondrie, die ſeinen fröhlichen Sinn ſchon ſo oft gemartert hatte. Er wähnte ſich verfolgt von aller Welt, da ihm die Gegner ſeine groben Angriffe durch ſchmähliche Verleumdungen heimzahlten; er fühlte ſich un- fähig zu jeder Arbeit und obwohl für ſeine nächſte Zukunft noch hinrei- chend geſorgt war, ſo meinte er doch die Zeit nahen zu ſehen, da ſeine Feder ihn und ſeine heißgeliebte Familie nicht mehr ernähren könnte. Völlig krank, von fieberiſcher Unruhe gepackt unternahm er noch eine zweckloſe Reiſe, und im November 1846 gab er ſich in Kufſtein ſelbſt den Tod. Dies ſchauerliche Ende eines reichen Lebens erſchütterte die ge- ſammte Nation. Auf dem Kufſteiner Kirchhofe, dicht an der deutſchen Grenze, wurde „Deutſchlands Friedrich Liſt“ unter einem großen Grab- ſteine gebettet, Sammlungen der Parteifreunde ſicherten den Unterhalt der Hinterlaſſenen, und manche klagende Stimme nannte ihn ein Opfer deutſcher Undankbarkeit. In Wahrheit war ſein Tod nur die Folge einer unheimlichen Krankheit, die ihm zuletzt die Freiheit des Willens benahm. Wer darf ſagen, ob dieſe Prophetennatur, die nur wecken, er- regen, entflammen, nicht leiten konnte, in einem mächtigen Parlamente glücklicher gewirkt hätte? Das aber iſt ſicher: das Elend unſerer Klein- ſtaaterei, die einen großen politiſchen Charakter ſo gar nicht zu ertragen ver- mochte, hat ihm ſein ganzes Leben vergällt und getrübt. Erſt die Nachwelt würdigt ganz was unvergänglich war in ſeinem Schaffen. —
In allen dieſen Zollvereinshändeln ſprachen die beiden ſtreitenden
*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Liſt’s Tod.
Preußen. Nun wies ihm Liſt nach, daß der Zollverein mit dem geliebten
England auch dann in guter Freundſchaft leben könnte, wenn er ſtrenge
Schutzzölle einführte. Was konnte ihm willkommener ſein? Friedrich
Wilhelm wünſchte lebhaft, den durch Bunſen und Rönne warm empfohlenen
Verfaſſer der Denkſchrift im preußiſchen Dienſte anzuſtellen, etwa als
General-Inſpector der Eiſenbahnen und Fabriken des Zollvereins oder
als Leiter der deutſchen Coloniſation in Poſen, wie Bunſen vorſchlug.
Freilich konnte eine ſolche Ernennung nicht ſogleich erfolgen, weil der Zwie-
ſpalt im hohen Beamtenthum noch fortwährte. Als Kühne eben in dieſen
Tagen für die nochmals erledigte Stelle des Finanzminiſters vorgeſchlagen
wurde, da verlangte der König, Kühne müſſe ſich erſt mit Liſt, der nach
Berlin berufen werden ſollte, über die Grundſätze der Handelspolitik ver-
ſtändigen. Hierauf konnte ſich Liſt’s alter Gegner nicht einlaſſen, und
dieſe Weigerung diente als Grund oder als Vorwand um den liberalen
Candidaten, der ſich ohnehin nicht der königlichen Gunſt erfreute, vom
Miniſterrathe fern zu halten. *)
Von allen dieſen Plänen erfuhr Liſt kein Wort. Er erhielt vor-
läufig nur ein einfaches Dankſchreiben aus Berlin und kehrte faſt muth-
los in die Heimath zurück. Hier übermannte ihn gänzlich die ſchreckliche
Hypochondrie, die ſeinen fröhlichen Sinn ſchon ſo oft gemartert hatte.
Er wähnte ſich verfolgt von aller Welt, da ihm die Gegner ſeine groben
Angriffe durch ſchmähliche Verleumdungen heimzahlten; er fühlte ſich un-
fähig zu jeder Arbeit und obwohl für ſeine nächſte Zukunft noch hinrei-
chend geſorgt war, ſo meinte er doch die Zeit nahen zu ſehen, da ſeine
Feder ihn und ſeine heißgeliebte Familie nicht mehr ernähren könnte.
Völlig krank, von fieberiſcher Unruhe gepackt unternahm er noch eine
zweckloſe Reiſe, und im November 1846 gab er ſich in Kufſtein ſelbſt den
Tod. Dies ſchauerliche Ende eines reichen Lebens erſchütterte die ge-
ſammte Nation. Auf dem Kufſteiner Kirchhofe, dicht an der deutſchen
Grenze, wurde „Deutſchlands Friedrich Liſt“ unter einem großen Grab-
ſteine gebettet, Sammlungen der Parteifreunde ſicherten den Unterhalt
der Hinterlaſſenen, und manche klagende Stimme nannte ihn ein Opfer
deutſcher Undankbarkeit. In Wahrheit war ſein Tod nur die Folge
einer unheimlichen Krankheit, die ihm zuletzt die Freiheit des Willens
benahm. Wer darf ſagen, ob dieſe Prophetennatur, die nur wecken, er-
regen, entflammen, nicht leiten konnte, in einem mächtigen Parlamente
glücklicher gewirkt hätte? Das aber iſt ſicher: das Elend unſerer Klein-
ſtaaterei, die einen großen politiſchen Charakter ſo gar nicht zu ertragen ver-
mochte, hat ihm ſein ganzes Leben vergällt und getrübt. Erſt die Nachwelt
würdigt ganz was unvergänglich war in ſeinem Schaffen. —
In allen dieſen Zollvereinshändeln ſprachen die beiden ſtreitenden
*) Nach Kühne’s Aufzeichnungen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/497>, abgerufen am 22.11.2024.
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