weil die arbeitenden "Hände" in den Fabriken nur wenn die Köpfe leidlich erleuchtet waren die größte Gütermasse erzeugen konnten; Fabrikgesetze hingegen verwarf er als einen Eingriff in die persönliche Freiheit.
Ein solches Evangelium des Mammonsdienstes drohte die Menschheit zu verstümmeln, alles Heldenthum, alles Schöne und Erhabene, alle Ideale des Gemüths zu vertilgen; dennoch zeigte die Lehre des Voluntarismus, des unbeschränkten, jeden Staatszwang ersetzenden socialen Wettbewerbs einen Zug kühner Selbstgewißheit, der kräftige, unternehmende Männer be- stechen mußte. War doch die ganze Gedankenbewegung des Revolutions- zeitalters von dem Kampfe der freien Persönlichkeit wider die Staats- gewalt ausgegangen. Auch Cobden empfand eine fast schwärmerische Be- geisterung für den nüchternen Gedanken des improvement, des materiellen Fortschritts, er hielt sich für den auserwählten Apostel des allgemeinen Völker- glücks. Freilich konnten seiner weltbürgerlichen Lehre, da sie von diesem selbst- gefälligen, alle Ausländer verachtenden Inselvolke herkam, arglistige kauf- männische Hintergedanken unmöglich fehlen. Er selbst zeigte für fremde Völker mehr Verständniß als die meisten seiner Landsleute, er bewunderte Preußen, sogar die Einheit Deutschlands und Italiens war ihm nicht schreckhaft. Doch schon beim Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit sagte er trocken: "unser einziges Ziel sind die gerechten Interessen Englands, ohne Rücksicht auf die Zwecke anderer Nationen." Seine Doctrin vom allgemeinen freien Waarenaustausch beruhte auf der stillschweigenden Vor- aussetzung, daß England die Großindustrie der weiten Welt beherrschen, anderen Völkern nur die Urproduction sowie einzelne schwer zu verpflan- zende Gewerbszweige überlassen müßte. Wie Canning und Palmerston einst die constitutionelle Phrase, so schätzte Cobden die freihändlerische Phrase als einen einträglichen Ausfuhrartikel, der die Runde um den Erd- kreis machen, alle Nationen für die Interessen der britischen Handelsherr- schaft gewinnen sollte. Da die klugen Fabrikanten diesen geheimen Zweck der Freihandelslehren alsbald durchschauten, so schwoll die Bewegung un- widerstehlich an, bis der leitende Staatsmann Robert Peel ihr nicht mehr widerstehen konnte.
Obschon Peel als Sohn eines reichen, durch Fleiß und Klugheit emporgekommenen Baumwollspinners selbst dem Bürgerthum angehörte, hatte er doch mit Cobden's Weltanschauung nicht das Mindeste gemein. Gleich seinem Vater, dem die Arbeiter für unzählige Beweise werkthätiger Menschenliebe immer dankbar blieben, stand er von jeher hoch über der Klassenselbstsucht der Fabrikanten. Er wuchs auf in den Gesinnungen der Torypartei, der Hochkirche, der altüberlieferten gediegenen classischen Bil- dung, und sah in Pitt das Ideal des Staatsmannes; der ruhige, er- wägsame, vorsichtige Mann erschien wie ein geborener Conservativer. Und doch beschied ihm das Schicksal die Rolle des Reformers. Die rasch schreitende Zeit zwang ihn wieder und wieder die Ansichten seiner Partei
Die Mancheſterſchule.
weil die arbeitenden „Hände“ in den Fabriken nur wenn die Köpfe leidlich erleuchtet waren die größte Gütermaſſe erzeugen konnten; Fabrikgeſetze hingegen verwarf er als einen Eingriff in die perſönliche Freiheit.
Ein ſolches Evangelium des Mammonsdienſtes drohte die Menſchheit zu verſtümmeln, alles Heldenthum, alles Schöne und Erhabene, alle Ideale des Gemüths zu vertilgen; dennoch zeigte die Lehre des Voluntarismus, des unbeſchränkten, jeden Staatszwang erſetzenden ſocialen Wettbewerbs einen Zug kühner Selbſtgewißheit, der kräftige, unternehmende Männer be- ſtechen mußte. War doch die ganze Gedankenbewegung des Revolutions- zeitalters von dem Kampfe der freien Perſönlichkeit wider die Staats- gewalt ausgegangen. Auch Cobden empfand eine faſt ſchwärmeriſche Be- geiſterung für den nüchternen Gedanken des improvement, des materiellen Fortſchritts, er hielt ſich für den auserwählten Apoſtel des allgemeinen Völker- glücks. Freilich konnten ſeiner weltbürgerlichen Lehre, da ſie von dieſem ſelbſt- gefälligen, alle Ausländer verachtenden Inſelvolke herkam, argliſtige kauf- männiſche Hintergedanken unmöglich fehlen. Er ſelbſt zeigte für fremde Völker mehr Verſtändniß als die meiſten ſeiner Landsleute, er bewunderte Preußen, ſogar die Einheit Deutſchlands und Italiens war ihm nicht ſchreckhaft. Doch ſchon beim Beginn ſeiner öffentlichen Wirkſamkeit ſagte er trocken: „unſer einziges Ziel ſind die gerechten Intereſſen Englands, ohne Rückſicht auf die Zwecke anderer Nationen.“ Seine Doctrin vom allgemeinen freien Waarenaustauſch beruhte auf der ſtillſchweigenden Vor- ausſetzung, daß England die Großinduſtrie der weiten Welt beherrſchen, anderen Völkern nur die Urproduction ſowie einzelne ſchwer zu verpflan- zende Gewerbszweige überlaſſen müßte. Wie Canning und Palmerſton einſt die conſtitutionelle Phraſe, ſo ſchätzte Cobden die freihändleriſche Phraſe als einen einträglichen Ausfuhrartikel, der die Runde um den Erd- kreis machen, alle Nationen für die Intereſſen der britiſchen Handelsherr- ſchaft gewinnen ſollte. Da die klugen Fabrikanten dieſen geheimen Zweck der Freihandelslehren alsbald durchſchauten, ſo ſchwoll die Bewegung un- widerſtehlich an, bis der leitende Staatsmann Robert Peel ihr nicht mehr widerſtehen konnte.
Obſchon Peel als Sohn eines reichen, durch Fleiß und Klugheit emporgekommenen Baumwollſpinners ſelbſt dem Bürgerthum angehörte, hatte er doch mit Cobden’s Weltanſchauung nicht das Mindeſte gemein. Gleich ſeinem Vater, dem die Arbeiter für unzählige Beweiſe werkthätiger Menſchenliebe immer dankbar blieben, ſtand er von jeher hoch über der Klaſſenſelbſtſucht der Fabrikanten. Er wuchs auf in den Geſinnungen der Torypartei, der Hochkirche, der altüberlieferten gediegenen claſſiſchen Bil- dung, und ſah in Pitt das Ideal des Staatsmannes; der ruhige, er- wägſame, vorſichtige Mann erſchien wie ein geborener Conſervativer. Und doch beſchied ihm das Schickſal die Rolle des Reformers. Die raſch ſchreitende Zeit zwang ihn wieder und wieder die Anſichten ſeiner Partei
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[477/0491]
Die Mancheſterſchule.
weil die arbeitenden „Hände“ in den Fabriken nur wenn die Köpfe leidlich
erleuchtet waren die größte Gütermaſſe erzeugen konnten; Fabrikgeſetze
hingegen verwarf er als einen Eingriff in die perſönliche Freiheit.
Ein ſolches Evangelium des Mammonsdienſtes drohte die Menſchheit
zu verſtümmeln, alles Heldenthum, alles Schöne und Erhabene, alle Ideale
des Gemüths zu vertilgen; dennoch zeigte die Lehre des Voluntarismus,
des unbeſchränkten, jeden Staatszwang erſetzenden ſocialen Wettbewerbs
einen Zug kühner Selbſtgewißheit, der kräftige, unternehmende Männer be-
ſtechen mußte. War doch die ganze Gedankenbewegung des Revolutions-
zeitalters von dem Kampfe der freien Perſönlichkeit wider die Staats-
gewalt ausgegangen. Auch Cobden empfand eine faſt ſchwärmeriſche Be-
geiſterung für den nüchternen Gedanken des improvement, des materiellen
Fortſchritts, er hielt ſich für den auserwählten Apoſtel des allgemeinen Völker-
glücks. Freilich konnten ſeiner weltbürgerlichen Lehre, da ſie von dieſem ſelbſt-
gefälligen, alle Ausländer verachtenden Inſelvolke herkam, argliſtige kauf-
männiſche Hintergedanken unmöglich fehlen. Er ſelbſt zeigte für fremde
Völker mehr Verſtändniß als die meiſten ſeiner Landsleute, er bewunderte
Preußen, ſogar die Einheit Deutſchlands und Italiens war ihm nicht
ſchreckhaft. Doch ſchon beim Beginn ſeiner öffentlichen Wirkſamkeit ſagte
er trocken: „unſer einziges Ziel ſind die gerechten Intereſſen Englands,
ohne Rückſicht auf die Zwecke anderer Nationen.“ Seine Doctrin vom
allgemeinen freien Waarenaustauſch beruhte auf der ſtillſchweigenden Vor-
ausſetzung, daß England die Großinduſtrie der weiten Welt beherrſchen,
anderen Völkern nur die Urproduction ſowie einzelne ſchwer zu verpflan-
zende Gewerbszweige überlaſſen müßte. Wie Canning und Palmerſton
einſt die conſtitutionelle Phraſe, ſo ſchätzte Cobden die freihändleriſche
Phraſe als einen einträglichen Ausfuhrartikel, der die Runde um den Erd-
kreis machen, alle Nationen für die Intereſſen der britiſchen Handelsherr-
ſchaft gewinnen ſollte. Da die klugen Fabrikanten dieſen geheimen Zweck
der Freihandelslehren alsbald durchſchauten, ſo ſchwoll die Bewegung un-
widerſtehlich an, bis der leitende Staatsmann Robert Peel ihr nicht mehr
widerſtehen konnte.
Obſchon Peel als Sohn eines reichen, durch Fleiß und Klugheit
emporgekommenen Baumwollſpinners ſelbſt dem Bürgerthum angehörte,
hatte er doch mit Cobden’s Weltanſchauung nicht das Mindeſte gemein.
Gleich ſeinem Vater, dem die Arbeiter für unzählige Beweiſe werkthätiger
Menſchenliebe immer dankbar blieben, ſtand er von jeher hoch über der
Klaſſenſelbſtſucht der Fabrikanten. Er wuchs auf in den Geſinnungen der
Torypartei, der Hochkirche, der altüberlieferten gediegenen claſſiſchen Bil-
dung, und ſah in Pitt das Ideal des Staatsmannes; der ruhige, er-
wägſame, vorſichtige Mann erſchien wie ein geborener Conſervativer.
Und doch beſchied ihm das Schickſal die Rolle des Reformers. Die raſch
ſchreitende Zeit zwang ihn wieder und wieder die Anſichten ſeiner Partei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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