Auch bei diesen Schlußverhandlungen ließen es die Moskowiter nicht an anmuthigen Ueberraschungen fehlen. Der Czar hatte soeben befohlen, daß alle russischen Juden, wenn sie das Reich ohne Paß verließen, da- durch von Rechtswegen alsbald ihre Staatsangehörigkeit verlieren sollten, und verlangte nun unschuldig, Preußen möge im Cartellvertrage diese Verordnung als rechtsverbindlich anerkennen. So konnte Rußland, nach seinen bewährten Verwaltungsgrundsätzen, den minder liebenswerthen Theil seiner Judenschaft einfach nach Preußen abschieben. Die Preußen verbaten sich jedoch diesen neuen Freundschaftsbeweis und setzten durch, daß die Juden in dem Cartellvertrage gar nicht erwähnt wurden.
Das Gesammt-Ergebniß war für Preußen wenig erfreulich. Die russi- schen Gewährungen bedeuteten nicht viel, und dafür übernahm man wieder die lästigen Cartellpflichten zu Gunsten einer halbasiatischen Nachbarmacht. Der König brachte dies schwere Opfer, das den preußischen Staat allein traf, lediglich um Deutschlands willen, um seinen Zollverbündeten die Gleichberechtigung zu sichern; und doch ward ihm dieser schöne Beweis deutscher Treue von den beharrlich schmähenden schutzzöllnerischen Blättern des Südens niemals angerechnet. Indessen gestaltete sich der Grenzverkehr in den nächsten Jahren etwas menschlicher. Noch bessere Aussichten schienen sich zu erschließen, als Cancrin den Abschied nahm und bald darauf (1845) starb. Mit seinem gewaltigen Urheber -- so hoffte alle Welt -- mußte auch das verhaßte Prohibitivsystem fallen. Der beste Kenner der russi- schen Volkswirthschaft, Tegoborski, verlangte entschieden die Herabsetzung der drückenden Zölle und wurde jetzt häufig zu Nesselrode berufen. Niko- laus selbst äußerte sich zuweilen in ähnlichem Sinne, wenn er mit Gene- ral Rochow zur Parade ritt, dem neuen Gesandten, der ihm als hoch- conservativer alter Soldat weit besser gefiel als vordem Liebermann. Aber alle diese guten Absichten, die immerhin etwas mehr waren als leere Vor- spiegelungen, trugen keine Frucht. Das alte System blieb aufrecht; denn der Czar konnte sich nicht entschließen einen fähigen Finanzmann in Can- crin's Stelle zu berufen, und die mächtigen, bei den neuen Fabriken stark betheiligten Hoffamilien widerstrebten jeder Reform.*) Darum kam Geh. Rath v. Patow, nach langen Berathungen mit Kühne, zu dem Schlusse: wir können keinen Vertrag mit dem Nachbar schließen, weil Rußland doch nichts gewährt oder nichts hält; "die Zeit der Handelsver- träge ist überhaupt vorüber, wie Sir Robert Peel sagt und zum Theil weil er es sagt."**)
Auch sonst im Auslande war Preußens Handelspolitik nicht glücklich. Ein mit den Vereinigten Staaten verabredeter Handelsvertrag wurde durch den amerikanischen Congreß verworfen. Lange, widerwärtige Verhandlungen mit Dänemark bewirkten schließlich nur eine geringe Ermäßigung des Sund-
Auch bei dieſen Schlußverhandlungen ließen es die Moskowiter nicht an anmuthigen Ueberraſchungen fehlen. Der Czar hatte ſoeben befohlen, daß alle ruſſiſchen Juden, wenn ſie das Reich ohne Paß verließen, da- durch von Rechtswegen alsbald ihre Staatsangehörigkeit verlieren ſollten, und verlangte nun unſchuldig, Preußen möge im Cartellvertrage dieſe Verordnung als rechtsverbindlich anerkennen. So konnte Rußland, nach ſeinen bewährten Verwaltungsgrundſätzen, den minder liebenswerthen Theil ſeiner Judenſchaft einfach nach Preußen abſchieben. Die Preußen verbaten ſich jedoch dieſen neuen Freundſchaftsbeweis und ſetzten durch, daß die Juden in dem Cartellvertrage gar nicht erwähnt wurden.
Das Geſammt-Ergebniß war für Preußen wenig erfreulich. Die ruſſi- ſchen Gewährungen bedeuteten nicht viel, und dafür übernahm man wieder die läſtigen Cartellpflichten zu Gunſten einer halbaſiatiſchen Nachbarmacht. Der König brachte dies ſchwere Opfer, das den preußiſchen Staat allein traf, lediglich um Deutſchlands willen, um ſeinen Zollverbündeten die Gleichberechtigung zu ſichern; und doch ward ihm dieſer ſchöne Beweis deutſcher Treue von den beharrlich ſchmähenden ſchutzzöllneriſchen Blättern des Südens niemals angerechnet. Indeſſen geſtaltete ſich der Grenzverkehr in den nächſten Jahren etwas menſchlicher. Noch beſſere Ausſichten ſchienen ſich zu erſchließen, als Cancrin den Abſchied nahm und bald darauf (1845) ſtarb. Mit ſeinem gewaltigen Urheber — ſo hoffte alle Welt — mußte auch das verhaßte Prohibitivſyſtem fallen. Der beſte Kenner der ruſſi- ſchen Volkswirthſchaft, Tegoborski, verlangte entſchieden die Herabſetzung der drückenden Zölle und wurde jetzt häufig zu Neſſelrode berufen. Niko- laus ſelbſt äußerte ſich zuweilen in ähnlichem Sinne, wenn er mit Gene- ral Rochow zur Parade ritt, dem neuen Geſandten, der ihm als hoch- conſervativer alter Soldat weit beſſer gefiel als vordem Liebermann. Aber alle dieſe guten Abſichten, die immerhin etwas mehr waren als leere Vor- ſpiegelungen, trugen keine Frucht. Das alte Syſtem blieb aufrecht; denn der Czar konnte ſich nicht entſchließen einen fähigen Finanzmann in Can- crin’s Stelle zu berufen, und die mächtigen, bei den neuen Fabriken ſtark betheiligten Hoffamilien widerſtrebten jeder Reform.*) Darum kam Geh. Rath v. Patow, nach langen Berathungen mit Kühne, zu dem Schluſſe: wir können keinen Vertrag mit dem Nachbar ſchließen, weil Rußland doch nichts gewährt oder nichts hält; „die Zeit der Handelsver- träge iſt überhaupt vorüber, wie Sir Robert Peel ſagt und zum Theil weil er es ſagt.“**)
Auch ſonſt im Auslande war Preußens Handelspolitik nicht glücklich. Ein mit den Vereinigten Staaten verabredeter Handelsvertrag wurde durch den amerikaniſchen Congreß verworfen. Lange, widerwärtige Verhandlungen mit Dänemark bewirkten ſchließlich nur eine geringe Ermäßigung des Sund-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0481"n="467"/><fwplace="top"type="header">Abſchluß mit Rußland.</fw><lb/><p>Auch bei dieſen Schlußverhandlungen ließen es die Moskowiter nicht<lb/>
an anmuthigen Ueberraſchungen fehlen. Der Czar hatte ſoeben befohlen,<lb/>
daß alle ruſſiſchen Juden, wenn ſie das Reich ohne Paß verließen, da-<lb/>
durch von Rechtswegen alsbald ihre Staatsangehörigkeit verlieren ſollten,<lb/>
und verlangte nun unſchuldig, Preußen möge im Cartellvertrage dieſe<lb/>
Verordnung als rechtsverbindlich anerkennen. So konnte Rußland, nach<lb/>ſeinen bewährten Verwaltungsgrundſätzen, den minder liebenswerthen Theil<lb/>ſeiner Judenſchaft einfach nach Preußen abſchieben. Die Preußen verbaten<lb/>ſich jedoch dieſen neuen Freundſchaftsbeweis und ſetzten durch, daß die<lb/>
Juden in dem Cartellvertrage gar nicht erwähnt wurden.</p><lb/><p>Das Geſammt-Ergebniß war für Preußen wenig erfreulich. Die ruſſi-<lb/>ſchen Gewährungen bedeuteten nicht viel, und dafür übernahm man wieder<lb/>
die läſtigen Cartellpflichten zu Gunſten einer halbaſiatiſchen Nachbarmacht.<lb/>
Der König brachte dies ſchwere Opfer, das den preußiſchen Staat allein<lb/>
traf, lediglich um Deutſchlands willen, um ſeinen Zollverbündeten die<lb/>
Gleichberechtigung zu ſichern; und doch ward ihm dieſer ſchöne Beweis<lb/>
deutſcher Treue von den beharrlich ſchmähenden ſchutzzöllneriſchen Blättern<lb/>
des Südens niemals angerechnet. Indeſſen geſtaltete ſich der Grenzverkehr<lb/>
in den nächſten Jahren etwas menſchlicher. Noch beſſere Ausſichten ſchienen<lb/>ſich zu erſchließen, als Cancrin den Abſchied nahm und bald darauf (1845)<lb/>ſtarb. Mit ſeinem gewaltigen Urheber —ſo hoffte alle Welt — mußte<lb/>
auch das verhaßte Prohibitivſyſtem fallen. Der beſte Kenner der ruſſi-<lb/>ſchen Volkswirthſchaft, Tegoborski, verlangte entſchieden die Herabſetzung<lb/>
der drückenden Zölle und wurde jetzt häufig zu Neſſelrode berufen. Niko-<lb/>
laus ſelbſt äußerte ſich zuweilen in ähnlichem Sinne, wenn er mit Gene-<lb/>
ral Rochow zur Parade ritt, dem neuen Geſandten, der ihm als hoch-<lb/>
conſervativer alter Soldat weit beſſer gefiel als vordem Liebermann. Aber<lb/>
alle dieſe guten Abſichten, die immerhin etwas mehr waren als leere Vor-<lb/>ſpiegelungen, trugen keine Frucht. Das alte Syſtem blieb aufrecht; denn<lb/>
der Czar konnte ſich nicht entſchließen einen fähigen Finanzmann in Can-<lb/>
crin’s Stelle zu berufen, und die mächtigen, bei den neuen Fabriken<lb/>ſtark betheiligten Hoffamilien widerſtrebten jeder Reform.<noteplace="foot"n="*)">Rochow’s Berichte, 11. Nov. 1845, 24. Sept., 4. Nov. 1846.</note> Darum kam<lb/>
Geh. Rath v. Patow, nach langen Berathungen mit Kühne, zu dem<lb/>
Schluſſe: wir können keinen Vertrag mit dem Nachbar ſchließen, weil<lb/>
Rußland doch nichts gewährt oder nichts hält; „die Zeit der Handelsver-<lb/>
träge iſt überhaupt vorüber, <hirendition="#g">wie</hi> Sir Robert Peel ſagt und zum Theil<lb/><hirendition="#g">weil</hi> er es ſagt.“<noteplace="foot"n="**)">Patow an Canitz, 21. Jan. 1847.</note></p><lb/><p>Auch ſonſt im Auslande war Preußens Handelspolitik nicht glücklich.<lb/>
Ein mit den Vereinigten Staaten verabredeter Handelsvertrag wurde durch<lb/>
den amerikaniſchen Congreß verworfen. Lange, widerwärtige Verhandlungen<lb/>
mit Dänemark bewirkten ſchließlich nur eine geringe Ermäßigung des Sund-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">30*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[467/0481]
Abſchluß mit Rußland.
Auch bei dieſen Schlußverhandlungen ließen es die Moskowiter nicht
an anmuthigen Ueberraſchungen fehlen. Der Czar hatte ſoeben befohlen,
daß alle ruſſiſchen Juden, wenn ſie das Reich ohne Paß verließen, da-
durch von Rechtswegen alsbald ihre Staatsangehörigkeit verlieren ſollten,
und verlangte nun unſchuldig, Preußen möge im Cartellvertrage dieſe
Verordnung als rechtsverbindlich anerkennen. So konnte Rußland, nach
ſeinen bewährten Verwaltungsgrundſätzen, den minder liebenswerthen Theil
ſeiner Judenſchaft einfach nach Preußen abſchieben. Die Preußen verbaten
ſich jedoch dieſen neuen Freundſchaftsbeweis und ſetzten durch, daß die
Juden in dem Cartellvertrage gar nicht erwähnt wurden.
Das Geſammt-Ergebniß war für Preußen wenig erfreulich. Die ruſſi-
ſchen Gewährungen bedeuteten nicht viel, und dafür übernahm man wieder
die läſtigen Cartellpflichten zu Gunſten einer halbaſiatiſchen Nachbarmacht.
Der König brachte dies ſchwere Opfer, das den preußiſchen Staat allein
traf, lediglich um Deutſchlands willen, um ſeinen Zollverbündeten die
Gleichberechtigung zu ſichern; und doch ward ihm dieſer ſchöne Beweis
deutſcher Treue von den beharrlich ſchmähenden ſchutzzöllneriſchen Blättern
des Südens niemals angerechnet. Indeſſen geſtaltete ſich der Grenzverkehr
in den nächſten Jahren etwas menſchlicher. Noch beſſere Ausſichten ſchienen
ſich zu erſchließen, als Cancrin den Abſchied nahm und bald darauf (1845)
ſtarb. Mit ſeinem gewaltigen Urheber — ſo hoffte alle Welt — mußte
auch das verhaßte Prohibitivſyſtem fallen. Der beſte Kenner der ruſſi-
ſchen Volkswirthſchaft, Tegoborski, verlangte entſchieden die Herabſetzung
der drückenden Zölle und wurde jetzt häufig zu Neſſelrode berufen. Niko-
laus ſelbſt äußerte ſich zuweilen in ähnlichem Sinne, wenn er mit Gene-
ral Rochow zur Parade ritt, dem neuen Geſandten, der ihm als hoch-
conſervativer alter Soldat weit beſſer gefiel als vordem Liebermann. Aber
alle dieſe guten Abſichten, die immerhin etwas mehr waren als leere Vor-
ſpiegelungen, trugen keine Frucht. Das alte Syſtem blieb aufrecht; denn
der Czar konnte ſich nicht entſchließen einen fähigen Finanzmann in Can-
crin’s Stelle zu berufen, und die mächtigen, bei den neuen Fabriken
ſtark betheiligten Hoffamilien widerſtrebten jeder Reform. *) Darum kam
Geh. Rath v. Patow, nach langen Berathungen mit Kühne, zu dem
Schluſſe: wir können keinen Vertrag mit dem Nachbar ſchließen, weil
Rußland doch nichts gewährt oder nichts hält; „die Zeit der Handelsver-
träge iſt überhaupt vorüber, wie Sir Robert Peel ſagt und zum Theil
weil er es ſagt.“ **)
Auch ſonſt im Auslande war Preußens Handelspolitik nicht glücklich.
Ein mit den Vereinigten Staaten verabredeter Handelsvertrag wurde durch
den amerikaniſchen Congreß verworfen. Lange, widerwärtige Verhandlungen
mit Dänemark bewirkten ſchließlich nur eine geringe Ermäßigung des Sund-
*) Rochow’s Berichte, 11. Nov. 1845, 24. Sept., 4. Nov. 1846.
**) Patow an Canitz, 21. Jan. 1847.
30*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/481>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.