Recht zu behalten und richtig zu steuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß dieser Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage zu erholen, der uns niedergeschmettert hat, und meine Lage erscheint mir wie ein Traum, aus welchem ich sehnlich das Erwachen wünsche." Das ganze Land theilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen standen die Massen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten- burger Mausoleum, wo der Verblichene neben seiner Luise ruhen wollte; die Laternen waren ausgelöscht, nur der Mond warf zuweilen aus den Wolken vortretend sein fahles Licht auf die schwarzen Wagen, die lautlos über den weichen Sandboden dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel bis zur Saar wurde gepredigt über den Text "der Herr hat Dich gesegnet in allen Werken Deiner Hände"; die Stadt Berlin beschloß, dem Entschla- fenen, dem sie so viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein Denkmal zu errichten und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain.
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver- storbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor- schrift über seine Bestattung, hinterlassen hatte. Er fügte den Aeußerungen des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick auf die Kriegsrüstungen der Franzosen, sagte er zuversichtlich: sollte je das Kleinod des theuer errungenen Friedens gefährdet werden, "so erhebt sich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie sein Volk sich auf seinen Ruf erhoben hat". Die beiden Testamente waren schon vor dreizehn Jahren niedergeschrieben, lange bevor die Julirevolution das deutsche Leben erschütterte, und ganz in dem patriarchalischen Stile jener stillen Tage gehalten. Das eine, "Mein letzter Wille" überschrieben, er- ging sich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten "auf Dich, meinen lieben Fritz", warnte den Thronfolger vor Neuerungs- sucht und unpraktischen Theorien, aber auch vor der zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Oesterreich und Rußland "als den Schlußstein der großen europäischen Allianz zu be- trachten". Der Berliner Magistrat ließ diese Vermächtnisse des alten Königs für seine Bürgerschaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch hingen sie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußischen Häusern. Aber die Zeit, der sie angehörten, war vorüber; mit diesem letzten Zolle der Dankbarkeit schien die Vergangenheit abgeschlossen; erwartungsvoll wendeten sich alle Blicke dem neuen Herrscher zu.
Das Erste, was er von sich hören ließ, waren Kundgebungen des Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erschien ihm als heilige Pflicht. Allen den Abgesandten, die sich ihm nahten, sagte er freundliche, ermuthigende Worte; sogar die Juden Berlins, die er sehr wenig liebte, empfingen die Versicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurtheile
V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Recht zu behalten und richtig zu ſteuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß dieſer Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage zu erholen, der uns niedergeſchmettert hat, und meine Lage erſcheint mir wie ein Traum, aus welchem ich ſehnlich das Erwachen wünſche.“ Das ganze Land theilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen ſtanden die Maſſen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten- burger Mauſoleum, wo der Verblichene neben ſeiner Luiſe ruhen wollte; die Laternen waren ausgelöſcht, nur der Mond warf zuweilen aus den Wolken vortretend ſein fahles Licht auf die ſchwarzen Wagen, die lautlos über den weichen Sandboden dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel bis zur Saar wurde gepredigt über den Text „der Herr hat Dich geſegnet in allen Werken Deiner Hände“; die Stadt Berlin beſchloß, dem Entſchla- fenen, dem ſie ſo viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein Denkmal zu errichten und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain.
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver- ſtorbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor- ſchrift über ſeine Beſtattung, hinterlaſſen hatte. Er fügte den Aeußerungen des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick auf die Kriegsrüſtungen der Franzoſen, ſagte er zuverſichtlich: ſollte je das Kleinod des theuer errungenen Friedens gefährdet werden, „ſo erhebt ſich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie ſein Volk ſich auf ſeinen Ruf erhoben hat“. Die beiden Teſtamente waren ſchon vor dreizehn Jahren niedergeſchrieben, lange bevor die Julirevolution das deutſche Leben erſchütterte, und ganz in dem patriarchaliſchen Stile jener ſtillen Tage gehalten. Das eine, „Mein letzter Wille“ überſchrieben, er- ging ſich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten „auf Dich, meinen lieben Fritz“, warnte den Thronfolger vor Neuerungs- ſucht und unpraktiſchen Theorien, aber auch vor der zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Oeſterreich und Rußland „als den Schlußſtein der großen europäiſchen Allianz zu be- trachten“. Der Berliner Magiſtrat ließ dieſe Vermächtniſſe des alten Königs für ſeine Bürgerſchaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch hingen ſie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußiſchen Häuſern. Aber die Zeit, der ſie angehörten, war vorüber; mit dieſem letzten Zolle der Dankbarkeit ſchien die Vergangenheit abgeſchloſſen; erwartungsvoll wendeten ſich alle Blicke dem neuen Herrſcher zu.
Das Erſte, was er von ſich hören ließ, waren Kundgebungen des Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erſchien ihm als heilige Pflicht. Allen den Abgeſandten, die ſich ihm nahten, ſagte er freundliche, ermuthigende Worte; ſogar die Juden Berlins, die er ſehr wenig liebte, empfingen die Verſicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurtheile
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V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Recht zu behalten und richtig zu ſteuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß
dieſer Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage
zu erholen, der uns niedergeſchmettert hat, und meine Lage erſcheint mir
wie ein Traum, aus welchem ich ſehnlich das Erwachen wünſche.“ Das
ganze Land theilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen
ſtanden die Maſſen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten
Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten-
burger Mauſoleum, wo der Verblichene neben ſeiner Luiſe ruhen wollte;
die Laternen waren ausgelöſcht, nur der Mond warf zuweilen aus den
Wolken vortretend ſein fahles Licht auf die ſchwarzen Wagen, die lautlos
über den weichen Sandboden dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel
bis zur Saar wurde gepredigt über den Text „der Herr hat Dich geſegnet
in allen Werken Deiner Hände“; die Stadt Berlin beſchloß, dem Entſchla-
fenen, dem ſie ſo viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein
Denkmal zu errichten und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain.
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver-
ſtorbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen
Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor-
ſchrift über ſeine Beſtattung, hinterlaſſen hatte. Er fügte den Aeußerungen
des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick
auf die Kriegsrüſtungen der Franzoſen, ſagte er zuverſichtlich: ſollte
je das Kleinod des theuer errungenen Friedens gefährdet werden, „ſo
erhebt ſich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie ſein Volk ſich
auf ſeinen Ruf erhoben hat“. Die beiden Teſtamente waren ſchon vor
dreizehn Jahren niedergeſchrieben, lange bevor die Julirevolution das
deutſche Leben erſchütterte, und ganz in dem patriarchaliſchen Stile jener
ſtillen Tage gehalten. Das eine, „Mein letzter Wille“ überſchrieben, er-
ging ſich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten
„auf Dich, meinen lieben Fritz“, warnte den Thronfolger vor Neuerungs-
ſucht und unpraktiſchen Theorien, aber auch vor der zu weit getriebenen
Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Oeſterreich und
Rußland „als den Schlußſtein der großen europäiſchen Allianz zu be-
trachten“. Der Berliner Magiſtrat ließ dieſe Vermächtniſſe des alten
Königs für ſeine Bürgerſchaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch
hingen ſie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußiſchen Häuſern.
Aber die Zeit, der ſie angehörten, war vorüber; mit dieſem letzten Zolle
der Dankbarkeit ſchien die Vergangenheit abgeſchloſſen; erwartungsvoll
wendeten ſich alle Blicke dem neuen Herrſcher zu.
Das Erſte, was er von ſich hören ließ, waren Kundgebungen des
Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erſchien ihm als heilige
Pflicht. Allen den Abgeſandten, die ſich ihm nahten, ſagte er freundliche,
ermuthigende Worte; ſogar die Juden Berlins, die er ſehr wenig liebte,
empfingen die Verſicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurtheile
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/44>, abgerufen am 22.11.2024.
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