dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme seines guten Herzens; als Humboldt erkrankte, saß er stundenlang an seinem Bette und las ihm vor. Ueber Alles sollte der Alles Wissende Auskunft geben, bald über ein ernstes Problem, bald über ein müßiges Curiosum, so über die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Ziffersumme 9 ergeben. Wenn der König seinen Freund Abends im Potsdamer Schlosse besuchte, dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abschied das beglückende Ge- spräch noch auf der Treppe von Neuem eröffnete.
Minder liebenswerth als bei solchen geistreichen Zwiegesprächen zeigte sich der große Gelehrte auf den Hoffesten, wo er, angethan mit der Kammer- herrn-Uniform und dem großen Bande des schwarzen Adlerordens, jedem nichtigen Menschen etwas Verbindliches sagte, oder auf den kleinen Thee- Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt den Mittelpunkt des Salongesprächs zu bilden, und er konnte sich's nicht ver- sagen auch hier in Sanssouci oder Charlottenburg Aller Augen auf sich zu ziehen. Da stand er denn vor der mürrisch schweigenden Königin, die ihm immer mißtraute, vor neidischen Hofleuten und politischen Gegnern und berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitschriften, aus eigenen Aufzeichnungen über die Höhe des Popocatepetl oder die Isothermen oder die Gefängnisse, immer geistvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anwesenden unver- ständlich. Der König allein hörte aufmerksam zu, und auch er war zuweilen zerstreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Aerger und die Langeweile dieser unerquicklichen Abende, die er doch nicht missen wollte, nahm Humboldt seine stille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen, der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufsog, allerhand boshaften Hofklatsch zu, lieblos selbst gegen den liebevollen König, und zeigte durch sein Medisiren, daß in den Hauptstädten, zumal in dem afterrednerischen Berlin, selbst der hochbegabte Mensch klein wird, wenn er die Dinge allzu nahe sieht. Eines freilich ging aus seinen gehässigen Berichten unzweifel- haft hervor: diesem so mannichfach bewegten Hofe fehlte der beherrschende Kopf. --
"Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchster Gott ist meine Pflicht" -- so hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach seiner Thronbesteigung an Voltaire geschrieben. Von dieser entschlossenen Sicher- heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war völlig fassungslos, als Czar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde am Sterbebette des Schwiegervaters erschienen war, ihm den ersten Segens- wunsch zur Thronbesteigung aussprach; auch nachher brauchte er noch lange Zeit um seinen Schmerz zu bewältigen und sich in der neuen Lage zu- rechtzufinden. "Ach", schrieb er an Metternich, "wer Ihr warmes Herz mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das ist das gewisse Mittel immer
A. v. Humboldt bei Hofe.
dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme ſeines guten Herzens; als Humboldt erkrankte, ſaß er ſtundenlang an ſeinem Bette und las ihm vor. Ueber Alles ſollte der Alles Wiſſende Auskunft geben, bald über ein ernſtes Problem, bald über ein müßiges Curioſum, ſo über die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Zifferſumme 9 ergeben. Wenn der König ſeinen Freund Abends im Potsdamer Schloſſe beſuchte, dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abſchied das beglückende Ge- ſpräch noch auf der Treppe von Neuem eröffnete.
Minder liebenswerth als bei ſolchen geiſtreichen Zwiegeſprächen zeigte ſich der große Gelehrte auf den Hoffeſten, wo er, angethan mit der Kammer- herrn-Uniform und dem großen Bande des ſchwarzen Adlerordens, jedem nichtigen Menſchen etwas Verbindliches ſagte, oder auf den kleinen Thee- Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt den Mittelpunkt des Salongeſprächs zu bilden, und er konnte ſich’s nicht ver- ſagen auch hier in Sansſouci oder Charlottenburg Aller Augen auf ſich zu ziehen. Da ſtand er denn vor der mürriſch ſchweigenden Königin, die ihm immer mißtraute, vor neidiſchen Hofleuten und politiſchen Gegnern und berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitſchriften, aus eigenen Aufzeichnungen über die Höhe des Popocatepetl oder die Iſothermen oder die Gefängniſſe, immer geiſtvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anweſenden unver- ſtändlich. Der König allein hörte aufmerkſam zu, und auch er war zuweilen zerſtreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Aerger und die Langeweile dieſer unerquicklichen Abende, die er doch nicht miſſen wollte, nahm Humboldt ſeine ſtille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen, der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufſog, allerhand boshaften Hofklatſch zu, lieblos ſelbſt gegen den liebevollen König, und zeigte durch ſein Mediſiren, daß in den Hauptſtädten, zumal in dem afterredneriſchen Berlin, ſelbſt der hochbegabte Menſch klein wird, wenn er die Dinge allzu nahe ſieht. Eines freilich ging aus ſeinen gehäſſigen Berichten unzweifel- haft hervor: dieſem ſo mannichfach bewegten Hofe fehlte der beherrſchende Kopf. —
„Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchſter Gott iſt meine Pflicht“ — ſo hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach ſeiner Thronbeſteigung an Voltaire geſchrieben. Von dieſer entſchloſſenen Sicher- heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war völlig faſſungslos, als Czar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde am Sterbebette des Schwiegervaters erſchienen war, ihm den erſten Segens- wunſch zur Thronbeſteigung ausſprach; auch nachher brauchte er noch lange Zeit um ſeinen Schmerz zu bewältigen und ſich in der neuen Lage zu- rechtzufinden. „Ach“, ſchrieb er an Metternich, „wer Ihr warmes Herz mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das iſt das gewiſſe Mittel immer
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[29/0043]
A. v. Humboldt bei Hofe.
dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme ſeines guten
Herzens; als Humboldt erkrankte, ſaß er ſtundenlang an ſeinem Bette
und las ihm vor. Ueber Alles ſollte der Alles Wiſſende Auskunft geben,
bald über ein ernſtes Problem, bald über ein müßiges Curioſum, ſo über
die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Zifferſumme 9 ergeben.
Wenn der König ſeinen Freund Abends im Potsdamer Schloſſe beſuchte,
dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein
warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abſchied das beglückende Ge-
ſpräch noch auf der Treppe von Neuem eröffnete.
Minder liebenswerth als bei ſolchen geiſtreichen Zwiegeſprächen zeigte
ſich der große Gelehrte auf den Hoffeſten, wo er, angethan mit der Kammer-
herrn-Uniform und dem großen Bande des ſchwarzen Adlerordens, jedem
nichtigen Menſchen etwas Verbindliches ſagte, oder auf den kleinen Thee-
Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt den
Mittelpunkt des Salongeſprächs zu bilden, und er konnte ſich’s nicht ver-
ſagen auch hier in Sansſouci oder Charlottenburg Aller Augen auf ſich zu
ziehen. Da ſtand er denn vor der mürriſch ſchweigenden Königin, die ihm
immer mißtraute, vor neidiſchen Hofleuten und politiſchen Gegnern und
berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitſchriften, aus eigenen Aufzeichnungen
über die Höhe des Popocatepetl oder die Iſothermen oder die Gefängniſſe,
immer geiſtvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anweſenden unver-
ſtändlich. Der König allein hörte aufmerkſam zu, und auch er war zuweilen
zerſtreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Aerger und
die Langeweile dieſer unerquicklichen Abende, die er doch nicht miſſen wollte,
nahm Humboldt ſeine ſtille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen,
der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufſog, allerhand boshaften
Hofklatſch zu, lieblos ſelbſt gegen den liebevollen König, und zeigte durch
ſein Mediſiren, daß in den Hauptſtädten, zumal in dem afterredneriſchen
Berlin, ſelbſt der hochbegabte Menſch klein wird, wenn er die Dinge allzu
nahe ſieht. Eines freilich ging aus ſeinen gehäſſigen Berichten unzweifel-
haft hervor: dieſem ſo mannichfach bewegten Hofe fehlte der beherrſchende
Kopf. —
„Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchſter Gott iſt
meine Pflicht“ — ſo hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach ſeiner
Thronbeſteigung an Voltaire geſchrieben. Von dieſer entſchloſſenen Sicher-
heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war
völlig faſſungslos, als Czar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde
am Sterbebette des Schwiegervaters erſchienen war, ihm den erſten Segens-
wunſch zur Thronbeſteigung ausſprach; auch nachher brauchte er noch
lange Zeit um ſeinen Schmerz zu bewältigen und ſich in der neuen Lage zu-
rechtzufinden. „Ach“, ſchrieb er an Metternich, „wer Ihr warmes Herz
mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das iſt das gewiſſe Mittel immer
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/43>, abgerufen am 23.11.2024.
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