des Tages, ein Schrecken für alle Reaktionäre; in der Entwicklung der deut- schen Wissenschaft behauptet sie eine noch höhere Stelle.
Mit dem Zartsinne des liebevollen Freundes und doch sehr deutlich äußerte Jakob Grimm seine Bedenken gegen diese moralisch-politische Härte, die sogar in unserer alten Thierfabel mehr das sittliche Beispiel oder auch die Satire suchte als das weichere epische Leben; am wenigsten verzieh er dem Freunde die Ungerechtigkeit gegen Goethe, "der doch so gesungen hat, daß ohne ihn wir uns nicht einmal recht als Deutsche fühlen könnten." Grimm selbst gehörte einem anderen Geschlechte an. Er hatte einst als Mar- burger Student niemals eine Zeitung zu Gesicht bekommen und dann die po- litische Begeisterung des Befreiungskampfes in warmem Herzen mitempfun- den, doch sogleich nach den Kriegswirren sich zurückgewendet zur "stillen För- derung des Volks", zur friedlichen gelehrten Forschung. So thaten die Brüder auch jetzt wieder in ihrer neuen Berliner Freistätte; daß man sie wegen der That der Göttinger Sieben als politische Helden feierte, war ihnen selber lästig, sie hatten ja nur nach ihrem Gewissen, als eidestreue Männer gehandelt. Wo auf deutscher Erde hätten die Beiden sich auch nicht heimisch fühlen sollen? Kinderhand ist leicht gefüllt; ihnen Beiden blieb bis zum Grabe neben der Kraft reichen Schaffens die schlichte Einfalt, die frohe Dankbarkeit für jedes Glück des Lebens. Die rothen Berge der hessischen Heimath vermißten sie freilich mit Schmerzen; aber dicht vor ihrem Hause rauschten die Wipfel der alten Bäume des Thiergartens; selbst an dem Goldfischteiche des Parks hatte Wilhelm seine kindliche Freude, und als er seiner Bettina das Märchenbuch von Neuem zueignete, das er in jeder Auflage reicher und sinniger ausgestaltete, da lobte er die alte Freundin treuherzig, weil sie noch mit der Lust der ersten Jugend in den Kelch einer einfachen Blume schauen konnte. An Beiden erfüllte sich was Jakob seinem Neffen schrieb: "die, welche als Studenten toll und wild sind, pflegen später im Leben zahm und matt zu werden, während denen, die eifrig studiren, hernach auch die Kraft und die Freude nicht ausgeht."*)
Grade bevor die Revolution begann, brachte Jakob das vierte seiner großen Werke noch unter Dach: die Geschichte der deutschen Sprache. Hier suchte er sich zu verständigen mit der vergleichenden Sprachwissen- schaft, die einst durch ihn selber mitbegründet, im Laufe der Jahre stark und selbständig aufgewachsen war. Er betrachtete das Verhältniß zwischen den Sprachen der zehn Urvölker, die er in Europa annahm, sodann die engere Verwandtschaft von Gothen, Hochdeutschen, Niederdeutschen, Skandinaviern, "die sich, je höher man zurücksteigt, desto ähnlicher werden und alle gleichen Ursprungs sind." Mit tiefem Ernst, wie der Wächter eines nationalen Schatzes, hielt er seinen Landsleuten vor, was die Sprache auch für die Macht der Völker bedeutet, denn wie unvergleichlich
*) Jakob Grimm an Rudolf Grimm, 18. Nov. 1848.
Grimm’s Geſchichte der deutſchen Sprache.
des Tages, ein Schrecken für alle Reaktionäre; in der Entwicklung der deut- ſchen Wiſſenſchaft behauptet ſie eine noch höhere Stelle.
Mit dem Zartſinne des liebevollen Freundes und doch ſehr deutlich äußerte Jakob Grimm ſeine Bedenken gegen dieſe moraliſch-politiſche Härte, die ſogar in unſerer alten Thierfabel mehr das ſittliche Beiſpiel oder auch die Satire ſuchte als das weichere epiſche Leben; am wenigſten verzieh er dem Freunde die Ungerechtigkeit gegen Goethe, „der doch ſo geſungen hat, daß ohne ihn wir uns nicht einmal recht als Deutſche fühlen könnten.“ Grimm ſelbſt gehörte einem anderen Geſchlechte an. Er hatte einſt als Mar- burger Student niemals eine Zeitung zu Geſicht bekommen und dann die po- litiſche Begeiſterung des Befreiungskampfes in warmem Herzen mitempfun- den, doch ſogleich nach den Kriegswirren ſich zurückgewendet zur „ſtillen För- derung des Volks“, zur friedlichen gelehrten Forſchung. So thaten die Brüder auch jetzt wieder in ihrer neuen Berliner Freiſtätte; daß man ſie wegen der That der Göttinger Sieben als politiſche Helden feierte, war ihnen ſelber läſtig, ſie hatten ja nur nach ihrem Gewiſſen, als eidestreue Männer gehandelt. Wo auf deutſcher Erde hätten die Beiden ſich auch nicht heimiſch fühlen ſollen? Kinderhand iſt leicht gefüllt; ihnen Beiden blieb bis zum Grabe neben der Kraft reichen Schaffens die ſchlichte Einfalt, die frohe Dankbarkeit für jedes Glück des Lebens. Die rothen Berge der heſſiſchen Heimath vermißten ſie freilich mit Schmerzen; aber dicht vor ihrem Hauſe rauſchten die Wipfel der alten Bäume des Thiergartens; ſelbſt an dem Goldfiſchteiche des Parks hatte Wilhelm ſeine kindliche Freude, und als er ſeiner Bettina das Märchenbuch von Neuem zueignete, das er in jeder Auflage reicher und ſinniger ausgeſtaltete, da lobte er die alte Freundin treuherzig, weil ſie noch mit der Luſt der erſten Jugend in den Kelch einer einfachen Blume ſchauen konnte. An Beiden erfüllte ſich was Jakob ſeinem Neffen ſchrieb: „die, welche als Studenten toll und wild ſind, pflegen ſpäter im Leben zahm und matt zu werden, während denen, die eifrig ſtudiren, hernach auch die Kraft und die Freude nicht ausgeht.“*)
Grade bevor die Revolution begann, brachte Jakob das vierte ſeiner großen Werke noch unter Dach: die Geſchichte der deutſchen Sprache. Hier ſuchte er ſich zu verſtändigen mit der vergleichenden Sprachwiſſen- ſchaft, die einſt durch ihn ſelber mitbegründet, im Laufe der Jahre ſtark und ſelbſtändig aufgewachſen war. Er betrachtete das Verhältniß zwiſchen den Sprachen der zehn Urvölker, die er in Europa annahm, ſodann die engere Verwandtſchaft von Gothen, Hochdeutſchen, Niederdeutſchen, Skandinaviern, „die ſich, je höher man zurückſteigt, deſto ähnlicher werden und alle gleichen Urſprungs ſind.“ Mit tiefem Ernſt, wie der Wächter eines nationalen Schatzes, hielt er ſeinen Landsleuten vor, was die Sprache auch für die Macht der Völker bedeutet, denn wie unvergleichlich
*) Jakob Grimm an Rudolf Grimm, 18. Nov. 1848.
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Grimm’s Geſchichte der deutſchen Sprache.
des Tages, ein Schrecken für alle Reaktionäre; in der Entwicklung der deut-
ſchen Wiſſenſchaft behauptet ſie eine noch höhere Stelle.
Mit dem Zartſinne des liebevollen Freundes und doch ſehr deutlich
äußerte Jakob Grimm ſeine Bedenken gegen dieſe moraliſch-politiſche Härte,
die ſogar in unſerer alten Thierfabel mehr das ſittliche Beiſpiel oder auch
die Satire ſuchte als das weichere epiſche Leben; am wenigſten verzieh er
dem Freunde die Ungerechtigkeit gegen Goethe, „der doch ſo geſungen hat,
daß ohne ihn wir uns nicht einmal recht als Deutſche fühlen könnten.“
Grimm ſelbſt gehörte einem anderen Geſchlechte an. Er hatte einſt als Mar-
burger Student niemals eine Zeitung zu Geſicht bekommen und dann die po-
litiſche Begeiſterung des Befreiungskampfes in warmem Herzen mitempfun-
den, doch ſogleich nach den Kriegswirren ſich zurückgewendet zur „ſtillen För-
derung des Volks“, zur friedlichen gelehrten Forſchung. So thaten die
Brüder auch jetzt wieder in ihrer neuen Berliner Freiſtätte; daß man ſie
wegen der That der Göttinger Sieben als politiſche Helden feierte, war ihnen
ſelber läſtig, ſie hatten ja nur nach ihrem Gewiſſen, als eidestreue Männer
gehandelt. Wo auf deutſcher Erde hätten die Beiden ſich auch nicht heimiſch
fühlen ſollen? Kinderhand iſt leicht gefüllt; ihnen Beiden blieb bis zum
Grabe neben der Kraft reichen Schaffens die ſchlichte Einfalt, die frohe
Dankbarkeit für jedes Glück des Lebens. Die rothen Berge der heſſiſchen
Heimath vermißten ſie freilich mit Schmerzen; aber dicht vor ihrem Hauſe
rauſchten die Wipfel der alten Bäume des Thiergartens; ſelbſt an dem
Goldfiſchteiche des Parks hatte Wilhelm ſeine kindliche Freude, und als
er ſeiner Bettina das Märchenbuch von Neuem zueignete, das er in jeder
Auflage reicher und ſinniger ausgeſtaltete, da lobte er die alte Freundin
treuherzig, weil ſie noch mit der Luſt der erſten Jugend in den Kelch
einer einfachen Blume ſchauen konnte. An Beiden erfüllte ſich was Jakob
ſeinem Neffen ſchrieb: „die, welche als Studenten toll und wild ſind, pflegen
ſpäter im Leben zahm und matt zu werden, während denen, die eifrig
ſtudiren, hernach auch die Kraft und die Freude nicht ausgeht.“ *)
Grade bevor die Revolution begann, brachte Jakob das vierte ſeiner
großen Werke noch unter Dach: die Geſchichte der deutſchen Sprache.
Hier ſuchte er ſich zu verſtändigen mit der vergleichenden Sprachwiſſen-
ſchaft, die einſt durch ihn ſelber mitbegründet, im Laufe der Jahre ſtark
und ſelbſtändig aufgewachſen war. Er betrachtete das Verhältniß zwiſchen
den Sprachen der zehn Urvölker, die er in Europa annahm, ſodann
die engere Verwandtſchaft von Gothen, Hochdeutſchen, Niederdeutſchen,
Skandinaviern, „die ſich, je höher man zurückſteigt, deſto ähnlicher werden
und alle gleichen Urſprungs ſind.“ Mit tiefem Ernſt, wie der Wächter
eines nationalen Schatzes, hielt er ſeinen Landsleuten vor, was die
Sprache auch für die Macht der Völker bedeutet, denn wie unvergleichlich
*) Jakob Grimm an Rudolf Grimm, 18. Nov. 1848.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/435>, abgerufen am 23.11.2024.
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