Cäsaren behandelte "das Verhältniß der Monarchie zu den Wirkungen der Aufklärung, Monarchie und Cultus im Bunde gegen die Glaubensfreiheit" -- und was der plumpen Andeutungen mehr war. Friedrich Wilhelm und Tiberius, Eichhorn und Sejan erschienen hier wie nahe Gesinnungsver- wandte; die auf beiden Füßen hinkenden Vergleichungen, die hämischen Sticheleien und Nutzanwendungen verzerrten das Bild der Vergangenheit gänzlich, aber die von Parteihaß zerwühlte Zeit bewunderte selbst ein so giftiges Buch.
Für das starke Selbstgefühl dieser constitutionellen Gelehrten war es ein harter Schlag, daß der größte deutsche Historiker ihren Bestrebungen fast ebenso kühl gegenüberstand wie einst Erasmus den Kämpfen Luther's. Ranke genoß der persönlichen Freundschaft König Friedrich Wilhelm's und folgte der neuen Regierung mit hoffnungsvollem Vertrauen. Jeder Ten- denz, zu allermeist der liberalen, abhold, vollendete er jetzt mit staunens- werther Fruchtbarkeit die deutsche Geschichte im Zeitalter der Reforma- tion, das wissenschaftlich werthvollste unter allen seinen bisherigen Werken. Wunderbar, wie wenig die Deutschen von dem folgenreichsten Jahrhundert ihrer Vorzeit noch kannten. Die Schriftsteller der Aufklärung hatten die Zeit der Reformation wenig beachtet oder sie wohl gar, wie König Friedrich that, in's Platt-Alltägliche hinabgezogen; Schiller, dessen genialer In- stinkt die einzige Größe jenes Zeitalters sofort durchschaute, konnte die Tage Luther's nur mit einigen beiläufigen geistvollen Bemerkungen streifen, weil es der Stoff seiner beiden Geschichtswerke so verlangte. Seitdem blieb die Geschichte unseres sechzehnten Jahrhunderts vornehmlich den theo- logischen Kirchenhistorikern überlassen, die sich denn nach ihrer Weise die weltumgestaltende Bewegung als einen Kampf dogmatischer Systeme zurechtlegten. Ranke zuerst wagte die politische Geschichte des Zeitraums zu schreiben, auf Grund der Reichstagsakten sowie zahlreicher anderer archivalischer Fünde, und er hob die entscheidenden Männer, die bestimmen- den Thatsachen aus der Flucht der Erscheinungen so sicher heraus, daß er mit gerechtem Selbstgefühle sagen durfte, "spätere Entdeckungen würden zwar wohl das Einzelne näher bestimmen, aber die Grundwahrnehmungen doch zuletzt bestätigen müssen."
Die Mehrzahl der Leser kannte nur die den Aufklärern wie den Jesuiten gleich geläufige Behauptung, daß die Gier nach dem Kirchengute die Politik der deutschen Fürsten wesentlich bestimmt haben sollte; eine neue Welt ging ihnen auf, als ihnen hier das feine Geäder der diplomati- schen Verhandlungen bloßgelegt und im Einzelnen nachgewiesen wurde, wie die politischen und die kirchlichen Gegensätze einander fort und fort bald bedingt bald durchkreuzt hatten. Noch stärker fast als die Fülle der neuen Mittheilungen überraschte das selbständige Urtheil, das längst bekannten, unverstandenen Thatsachen sofort ihre historische Stellung sicherte; wer hatte vordem je bemerkt, daß die eigentliche Kirchenspaltung, die Bildung
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
Cäſaren behandelte „das Verhältniß der Monarchie zu den Wirkungen der Aufklärung, Monarchie und Cultus im Bunde gegen die Glaubensfreiheit“ — und was der plumpen Andeutungen mehr war. Friedrich Wilhelm und Tiberius, Eichhorn und Sejan erſchienen hier wie nahe Geſinnungsver- wandte; die auf beiden Füßen hinkenden Vergleichungen, die hämiſchen Sticheleien und Nutzanwendungen verzerrten das Bild der Vergangenheit gänzlich, aber die von Parteihaß zerwühlte Zeit bewunderte ſelbſt ein ſo giftiges Buch.
Für das ſtarke Selbſtgefühl dieſer conſtitutionellen Gelehrten war es ein harter Schlag, daß der größte deutſche Hiſtoriker ihren Beſtrebungen faſt ebenſo kühl gegenüberſtand wie einſt Erasmus den Kämpfen Luther’s. Ranke genoß der perſönlichen Freundſchaft König Friedrich Wilhelm’s und folgte der neuen Regierung mit hoffnungsvollem Vertrauen. Jeder Ten- denz, zu allermeiſt der liberalen, abhold, vollendete er jetzt mit ſtaunens- werther Fruchtbarkeit die deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reforma- tion, das wiſſenſchaftlich werthvollſte unter allen ſeinen bisherigen Werken. Wunderbar, wie wenig die Deutſchen von dem folgenreichſten Jahrhundert ihrer Vorzeit noch kannten. Die Schriftſteller der Aufklärung hatten die Zeit der Reformation wenig beachtet oder ſie wohl gar, wie König Friedrich that, in’s Platt-Alltägliche hinabgezogen; Schiller, deſſen genialer In- ſtinkt die einzige Größe jenes Zeitalters ſofort durchſchaute, konnte die Tage Luther’s nur mit einigen beiläufigen geiſtvollen Bemerkungen ſtreifen, weil es der Stoff ſeiner beiden Geſchichtswerke ſo verlangte. Seitdem blieb die Geſchichte unſeres ſechzehnten Jahrhunderts vornehmlich den theo- logiſchen Kirchenhiſtorikern überlaſſen, die ſich denn nach ihrer Weiſe die weltumgeſtaltende Bewegung als einen Kampf dogmatiſcher Syſteme zurechtlegten. Ranke zuerſt wagte die politiſche Geſchichte des Zeitraums zu ſchreiben, auf Grund der Reichstagsakten ſowie zahlreicher anderer archivaliſcher Fünde, und er hob die entſcheidenden Männer, die beſtimmen- den Thatſachen aus der Flucht der Erſcheinungen ſo ſicher heraus, daß er mit gerechtem Selbſtgefühle ſagen durfte, „ſpätere Entdeckungen würden zwar wohl das Einzelne näher beſtimmen, aber die Grundwahrnehmungen doch zuletzt beſtätigen müſſen.“
Die Mehrzahl der Leſer kannte nur die den Aufklärern wie den Jeſuiten gleich geläufige Behauptung, daß die Gier nach dem Kirchengute die Politik der deutſchen Fürſten weſentlich beſtimmt haben ſollte; eine neue Welt ging ihnen auf, als ihnen hier das feine Geäder der diplomati- ſchen Verhandlungen bloßgelegt und im Einzelnen nachgewieſen wurde, wie die politiſchen und die kirchlichen Gegenſätze einander fort und fort bald bedingt bald durchkreuzt hatten. Noch ſtärker faſt als die Fülle der neuen Mittheilungen überraſchte das ſelbſtändige Urtheil, das längſt bekannten, unverſtandenen Thatſachen ſofort ihre hiſtoriſche Stellung ſicherte; wer hatte vordem je bemerkt, daß die eigentliche Kirchenſpaltung, die Bildung
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
Cäſaren behandelte „das Verhältniß der Monarchie zu den Wirkungen der
Aufklärung, Monarchie und Cultus im Bunde gegen die Glaubensfreiheit“
— und was der plumpen Andeutungen mehr war. Friedrich Wilhelm und
Tiberius, Eichhorn und Sejan erſchienen hier wie nahe Geſinnungsver-
wandte; die auf beiden Füßen hinkenden Vergleichungen, die hämiſchen
Sticheleien und Nutzanwendungen verzerrten das Bild der Vergangenheit
gänzlich, aber die von Parteihaß zerwühlte Zeit bewunderte ſelbſt ein ſo
giftiges Buch.
Für das ſtarke Selbſtgefühl dieſer conſtitutionellen Gelehrten war es
ein harter Schlag, daß der größte deutſche Hiſtoriker ihren Beſtrebungen
faſt ebenſo kühl gegenüberſtand wie einſt Erasmus den Kämpfen Luther’s.
Ranke genoß der perſönlichen Freundſchaft König Friedrich Wilhelm’s und
folgte der neuen Regierung mit hoffnungsvollem Vertrauen. Jeder Ten-
denz, zu allermeiſt der liberalen, abhold, vollendete er jetzt mit ſtaunens-
werther Fruchtbarkeit die deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reforma-
tion, das wiſſenſchaftlich werthvollſte unter allen ſeinen bisherigen Werken.
Wunderbar, wie wenig die Deutſchen von dem folgenreichſten Jahrhundert
ihrer Vorzeit noch kannten. Die Schriftſteller der Aufklärung hatten die
Zeit der Reformation wenig beachtet oder ſie wohl gar, wie König Friedrich
that, in’s Platt-Alltägliche hinabgezogen; Schiller, deſſen genialer In-
ſtinkt die einzige Größe jenes Zeitalters ſofort durchſchaute, konnte die
Tage Luther’s nur mit einigen beiläufigen geiſtvollen Bemerkungen ſtreifen,
weil es der Stoff ſeiner beiden Geſchichtswerke ſo verlangte. Seitdem
blieb die Geſchichte unſeres ſechzehnten Jahrhunderts vornehmlich den theo-
logiſchen Kirchenhiſtorikern überlaſſen, die ſich denn nach ihrer Weiſe die
weltumgeſtaltende Bewegung als einen Kampf dogmatiſcher Syſteme
zurechtlegten. Ranke zuerſt wagte die politiſche Geſchichte des Zeitraums
zu ſchreiben, auf Grund der Reichstagsakten ſowie zahlreicher anderer
archivaliſcher Fünde, und er hob die entſcheidenden Männer, die beſtimmen-
den Thatſachen aus der Flucht der Erſcheinungen ſo ſicher heraus, daß
er mit gerechtem Selbſtgefühle ſagen durfte, „ſpätere Entdeckungen würden
zwar wohl das Einzelne näher beſtimmen, aber die Grundwahrnehmungen
doch zuletzt beſtätigen müſſen.“
Die Mehrzahl der Leſer kannte nur die den Aufklärern wie den
Jeſuiten gleich geläufige Behauptung, daß die Gier nach dem Kirchengute
die Politik der deutſchen Fürſten weſentlich beſtimmt haben ſollte; eine
neue Welt ging ihnen auf, als ihnen hier das feine Geäder der diplomati-
ſchen Verhandlungen bloßgelegt und im Einzelnen nachgewieſen wurde, wie
die politiſchen und die kirchlichen Gegenſätze einander fort und fort bald
bedingt bald durchkreuzt hatten. Noch ſtärker faſt als die Fülle der neuen
Mittheilungen überraſchte das ſelbſtändige Urtheil, das längſt bekannten,
unverſtandenen Thatſachen ſofort ihre hiſtoriſche Stellung ſicherte; wer
hatte vordem je bemerkt, daß die eigentliche Kirchenſpaltung, die Bildung
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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