des starken, mannhaften Realismus trat plötzlich Adolf Menzel auf, ein Schlesier, der schon seit seinen Jugendtagen, von Wenigen gewürdigt, in Berlin einen harten Lebenskampf bestanden hatte. Italien kannte er nicht, und von den lebenden deutschen Meistern hatte keiner tief auf ihn eingewirkt, nicht einmal der preußische Soldatenmaler Franz Krüger. Ganz selbständig schritt er seines Wegs, scharf um sich schauend in die wirkliche Welt, und sagte "den Schönheitsschwärmern" ruhig: "Man muß gar nichts ver- langen, dann wird man in allerwege überrascht."
Als im Jahre 1839 die Geschichte Friedrich's des Großen von dem Kunsthistoriker Franz Kugler mit Menzel's Zeichnungen erschien, da mochte die deutsche Wissenschaft wohl beschämt die Augen niederschlagen. Seit dem alten Archenholtz hatte sich kein namhafter Historiker mehr an den reichen Stoff herangewagt. Kugler selbst bot im Text nur eine muntere, wenig durchgeistigte Erzählung. Wie unwiderstehlich hingegen sprach aus diesen Holzschnitten das innerste Wesen einer großen Zeit. Schlachten und Hof- feste, Heldenzorn und Heldennoth, Zerstörung und Siegesfreude, die ganze gewaltige Entwicklung des Königs selbst von den stürmischen Jugendtagen an bis zu der Zeit, da er beim Ende des sechsten Kriegsjahres noch am Rande des Abgrunds als kühner Fechter stand und wieder bis zu den letzten finsteren Jahren der einsamen Größe -- das Alles erschien hier in so überwältigender Wahrheit, daß Alexis' patriotische Romane daneben doch ganz verschwanden. Mit einem male war das Werk da, und jeder treue Preuße, der sich darein versenkte, fragte unwillkürlich: warum ist es nicht immer da gewesen? Kein anderes Volk besaß ein solches nationales Erinnerungsbuch, das in seiner bescheidenen Gestalt in Jedermanns Hände gelangen konnte und doch an tiefem historischem Gehalt so reich war wie die großen Doelen- und Regentenstücke der alten Niederländer. Und welch ein ungeheuerer Fleiß verbarg sich hinter diesen kleinen Blättern. In sorgsamen Studien war der Abstand der Uniformknöpfe wie die Länge des Metallbeschlags an den Offiziersstöcken bis auf den Zoll vorher aus- gemessen, und nachher erschien das peinlich Erforschte doch in voller künst- lerischer Lebendigkeit. Der Künster wußte, daß alle wahrhaftige Geschichte grelle Farben trägt; er ließ sich's nicht verdrießen selbst den Regiments- profoßen durch sein hartes Tagewerk hindurch zu verfolgen und bildete ihn ab, wie er die Spießruthen schneidet für die Strafen des nächsten Morgens.
Vier Jahre nachher wurde die akademische Prachtausgabe der Werke Friedrich's vorbereitet; da verstand es sich schon von selbst, daß nur Menzel den Auftrag zur Ausführung der zweihundert Vignetten erhalten konnte. Dem Monarchen aber war offenbar nicht recht geheuer bei dem Realismus und der kriegerischen Kraft dieser fridericianischen Bilder; er besprach sich niemals mit dem Künstler, ließ sich niemals einen Entwurf vorlegen, obgleich er doch sonst so gern in der Kunst dilettirte. Während der sechsjährigen Arbeit erhielt Menzel vom Hofe nur die einzige Weisung,
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
des ſtarken, mannhaften Realismus trat plötzlich Adolf Menzel auf, ein Schleſier, der ſchon ſeit ſeinen Jugendtagen, von Wenigen gewürdigt, in Berlin einen harten Lebenskampf beſtanden hatte. Italien kannte er nicht, und von den lebenden deutſchen Meiſtern hatte keiner tief auf ihn eingewirkt, nicht einmal der preußiſche Soldatenmaler Franz Krüger. Ganz ſelbſtändig ſchritt er ſeines Wegs, ſcharf um ſich ſchauend in die wirkliche Welt, und ſagte „den Schönheitsſchwärmern“ ruhig: „Man muß gar nichts ver- langen, dann wird man in allerwege überraſcht.“
Als im Jahre 1839 die Geſchichte Friedrich’s des Großen von dem Kunſthiſtoriker Franz Kugler mit Menzel’s Zeichnungen erſchien, da mochte die deutſche Wiſſenſchaft wohl beſchämt die Augen niederſchlagen. Seit dem alten Archenholtz hatte ſich kein namhafter Hiſtoriker mehr an den reichen Stoff herangewagt. Kugler ſelbſt bot im Text nur eine muntere, wenig durchgeiſtigte Erzählung. Wie unwiderſtehlich hingegen ſprach aus dieſen Holzſchnitten das innerſte Weſen einer großen Zeit. Schlachten und Hof- feſte, Heldenzorn und Heldennoth, Zerſtörung und Siegesfreude, die ganze gewaltige Entwicklung des Königs ſelbſt von den ſtürmiſchen Jugendtagen an bis zu der Zeit, da er beim Ende des ſechſten Kriegsjahres noch am Rande des Abgrunds als kühner Fechter ſtand und wieder bis zu den letzten finſteren Jahren der einſamen Größe — das Alles erſchien hier in ſo überwältigender Wahrheit, daß Alexis’ patriotiſche Romane daneben doch ganz verſchwanden. Mit einem male war das Werk da, und jeder treue Preuße, der ſich darein verſenkte, fragte unwillkürlich: warum iſt es nicht immer da geweſen? Kein anderes Volk beſaß ein ſolches nationales Erinnerungsbuch, das in ſeiner beſcheidenen Geſtalt in Jedermanns Hände gelangen konnte und doch an tiefem hiſtoriſchem Gehalt ſo reich war wie die großen Doelen- und Regentenſtücke der alten Niederländer. Und welch ein ungeheuerer Fleiß verbarg ſich hinter dieſen kleinen Blättern. In ſorgſamen Studien war der Abſtand der Uniformknöpfe wie die Länge des Metallbeſchlags an den Offiziersſtöcken bis auf den Zoll vorher aus- gemeſſen, und nachher erſchien das peinlich Erforſchte doch in voller künſt- leriſcher Lebendigkeit. Der Künſter wußte, daß alle wahrhaftige Geſchichte grelle Farben trägt; er ließ ſich’s nicht verdrießen ſelbſt den Regiments- profoßen durch ſein hartes Tagewerk hindurch zu verfolgen und bildete ihn ab, wie er die Spießruthen ſchneidet für die Strafen des nächſten Morgens.
Vier Jahre nachher wurde die akademiſche Prachtausgabe der Werke Friedrich’s vorbereitet; da verſtand es ſich ſchon von ſelbſt, daß nur Menzel den Auftrag zur Ausführung der zweihundert Vignetten erhalten konnte. Dem Monarchen aber war offenbar nicht recht geheuer bei dem Realismus und der kriegeriſchen Kraft dieſer fridericianiſchen Bilder; er beſprach ſich niemals mit dem Künſtler, ließ ſich niemals einen Entwurf vorlegen, obgleich er doch ſonſt ſo gern in der Kunſt dilettirte. Während der ſechsjährigen Arbeit erhielt Menzel vom Hofe nur die einzige Weiſung,
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V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
des ſtarken, mannhaften Realismus trat plötzlich Adolf Menzel auf, ein
Schleſier, der ſchon ſeit ſeinen Jugendtagen, von Wenigen gewürdigt, in
Berlin einen harten Lebenskampf beſtanden hatte. Italien kannte er nicht,
und von den lebenden deutſchen Meiſtern hatte keiner tief auf ihn eingewirkt,
nicht einmal der preußiſche Soldatenmaler Franz Krüger. Ganz ſelbſtändig
ſchritt er ſeines Wegs, ſcharf um ſich ſchauend in die wirkliche Welt, und
ſagte „den Schönheitsſchwärmern“ ruhig: „Man muß gar nichts ver-
langen, dann wird man in allerwege überraſcht.“
Als im Jahre 1839 die Geſchichte Friedrich’s des Großen von dem
Kunſthiſtoriker Franz Kugler mit Menzel’s Zeichnungen erſchien, da mochte
die deutſche Wiſſenſchaft wohl beſchämt die Augen niederſchlagen. Seit dem
alten Archenholtz hatte ſich kein namhafter Hiſtoriker mehr an den reichen
Stoff herangewagt. Kugler ſelbſt bot im Text nur eine muntere, wenig
durchgeiſtigte Erzählung. Wie unwiderſtehlich hingegen ſprach aus dieſen
Holzſchnitten das innerſte Weſen einer großen Zeit. Schlachten und Hof-
feſte, Heldenzorn und Heldennoth, Zerſtörung und Siegesfreude, die ganze
gewaltige Entwicklung des Königs ſelbſt von den ſtürmiſchen Jugendtagen
an bis zu der Zeit, da er beim Ende des ſechſten Kriegsjahres noch am
Rande des Abgrunds als kühner Fechter ſtand und wieder bis zu den
letzten finſteren Jahren der einſamen Größe — das Alles erſchien hier
in ſo überwältigender Wahrheit, daß Alexis’ patriotiſche Romane daneben
doch ganz verſchwanden. Mit einem male war das Werk da, und jeder
treue Preuße, der ſich darein verſenkte, fragte unwillkürlich: warum iſt es
nicht immer da geweſen? Kein anderes Volk beſaß ein ſolches nationales
Erinnerungsbuch, das in ſeiner beſcheidenen Geſtalt in Jedermanns
Hände gelangen konnte und doch an tiefem hiſtoriſchem Gehalt ſo reich
war wie die großen Doelen- und Regentenſtücke der alten Niederländer.
Und welch ein ungeheuerer Fleiß verbarg ſich hinter dieſen kleinen Blättern.
In ſorgſamen Studien war der Abſtand der Uniformknöpfe wie die Länge
des Metallbeſchlags an den Offiziersſtöcken bis auf den Zoll vorher aus-
gemeſſen, und nachher erſchien das peinlich Erforſchte doch in voller künſt-
leriſcher Lebendigkeit. Der Künſter wußte, daß alle wahrhaftige Geſchichte
grelle Farben trägt; er ließ ſich’s nicht verdrießen ſelbſt den Regiments-
profoßen durch ſein hartes Tagewerk hindurch zu verfolgen und bildete ihn ab,
wie er die Spießruthen ſchneidet für die Strafen des nächſten Morgens.
Vier Jahre nachher wurde die akademiſche Prachtausgabe der Werke
Friedrich’s vorbereitet; da verſtand es ſich ſchon von ſelbſt, daß nur
Menzel den Auftrag zur Ausführung der zweihundert Vignetten erhalten
konnte. Dem Monarchen aber war offenbar nicht recht geheuer bei dem
Realismus und der kriegeriſchen Kraft dieſer fridericianiſchen Bilder; er
beſprach ſich niemals mit dem Künſtler, ließ ſich niemals einen Entwurf
vorlegen, obgleich er doch ſonſt ſo gern in der Kunſt dilettirte. Während
der ſechsjährigen Arbeit erhielt Menzel vom Hofe nur die einzige Weiſung,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/418>, abgerufen am 22.11.2024.
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