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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Freytag.
mitten in seiner Entwicklung, seine Helden spielten noch übermüthig mit
dem Leben ohne es handelnd zu beherrschen; die Zeit sollte noch kommen,
da er der Lieblingsdichter des deutschen gebildeten Bürgerthums wurde.

Auffällig unterschied sich Freytag von den anderen Dramatikern auch
durch den Adel seiner einfachen, reinen, seelenvollen Sprache. Wer diese
Dramen las oder die Gedichte Geibel's und Dingelstedt's, oder die Prosa
der Brüder Grimm, Ranke's, Dahlmann's, Schelling's, der mußte freudig
erkennen, daß die frische Lebenskraft der jüngsten und bildsamsten Cultur-
sprache weder unter der Jätelust der urteutonischen Sprachreiniger, noch
unter der fremdbrüderlichen Ziergärtnerei der Jungdeutschen ernstlich ge-
litten hatte. Alle diese Schriftsteller schrieben gut deutsch, keiner dem
andern gleich, und in der Freiheit des individuellen Stils lag unsere
Stärke. Die straffen Saiten der alten herrlichen Goldharfe gaben noch
vollen Klang, sie harrten immer nur des Meisters, der sie spielen konnte.
Mit gerechtem Stolze rief Rückert unserer Sprache zu:

Durch der Eichenwälder Bogen
Bist du brausend hingezogen
Bis der letzte Wipfel barst.
Durch der Fürstenschlösser Prangen
Bist du klingend hergegangen,
Und noch bist du die du warst. --


Die Poesie bleibt allezeit die eigentlich nationale Kunst. Wie ihre
Sprache nur von den Volksgenossen ganz verstanden wird, so schöpft auch
der Dichter die Ideale für sein bewußtes Wirken gradeswegs aus dem
Leben seines eigenen Volks; alle großen christlichen Nationen, wie Vieles
sie auch dem Gedankenaustausche mit dem Auslande verdanken mochten,
haben sich ihre classische Dichtung wesentlich aus eigener Kraft geschaffen,
auf sehr verschiedenen Altersstufen, manche in Zeiten da die anderen
Völker sämmtlich brach lagen, aber alle dann wenn ihnen die eigene Seele
frei und reich ward. Das Gemüth ist national, Ohr und Auge sind
Weltbürger. Die großen Epochen der Musik und der bildenden Künste,
Gothik, Renaissance, Barock und Zopf gehören, trotz der Mannichfaltig-
keit der nationalen Stile, allen Culturvölkern an; aus der Gemeinsam-
keit der Sitten und Trachten, des Verkehres und der Weltverhältnisse
bildete sich jedes Jahrhundert bestimmte Tonempfindungen und Formen-
typen aus, denen sich keine Nation ganz entziehen konnte. Und dieser
weltbürgerliche Zug der bildenden Künste verleugnete sich auch nicht in
dem neunzehnten Jahrhundert, das unstät suchend, hastig schaffend seinen
eigenen Stil niemals recht zu finden vermochte. Der erhabene Idealismus
der einst unter den deutschen Malern in Rom zuerst erwacht war, hatte
auch die französische Kunst nicht unberührt gelassen; doch schon nach zwei

Freytag.
mitten in ſeiner Entwicklung, ſeine Helden ſpielten noch übermüthig mit
dem Leben ohne es handelnd zu beherrſchen; die Zeit ſollte noch kommen,
da er der Lieblingsdichter des deutſchen gebildeten Bürgerthums wurde.

Auffällig unterſchied ſich Freytag von den anderen Dramatikern auch
durch den Adel ſeiner einfachen, reinen, ſeelenvollen Sprache. Wer dieſe
Dramen las oder die Gedichte Geibel’s und Dingelſtedt’s, oder die Proſa
der Brüder Grimm, Ranke’s, Dahlmann’s, Schelling’s, der mußte freudig
erkennen, daß die friſche Lebenskraft der jüngſten und bildſamſten Cultur-
ſprache weder unter der Jäteluſt der urteutoniſchen Sprachreiniger, noch
unter der fremdbrüderlichen Ziergärtnerei der Jungdeutſchen ernſtlich ge-
litten hatte. Alle dieſe Schriftſteller ſchrieben gut deutſch, keiner dem
andern gleich, und in der Freiheit des individuellen Stils lag unſere
Stärke. Die ſtraffen Saiten der alten herrlichen Goldharfe gaben noch
vollen Klang, ſie harrten immer nur des Meiſters, der ſie ſpielen konnte.
Mit gerechtem Stolze rief Rückert unſerer Sprache zu:

Durch der Eichenwälder Bogen
Biſt du brauſend hingezogen
Bis der letzte Wipfel barſt.
Durch der Fürſtenſchlöſſer Prangen
Biſt du klingend hergegangen,
Und noch biſt du die du warſt. —


Die Poeſie bleibt allezeit die eigentlich nationale Kunſt. Wie ihre
Sprache nur von den Volksgenoſſen ganz verſtanden wird, ſo ſchöpft auch
der Dichter die Ideale für ſein bewußtes Wirken gradeswegs aus dem
Leben ſeines eigenen Volks; alle großen chriſtlichen Nationen, wie Vieles
ſie auch dem Gedankenaustauſche mit dem Auslande verdanken mochten,
haben ſich ihre claſſiſche Dichtung weſentlich aus eigener Kraft geſchaffen,
auf ſehr verſchiedenen Altersſtufen, manche in Zeiten da die anderen
Völker ſämmtlich brach lagen, aber alle dann wenn ihnen die eigene Seele
frei und reich ward. Das Gemüth iſt national, Ohr und Auge ſind
Weltbürger. Die großen Epochen der Muſik und der bildenden Künſte,
Gothik, Renaiſſance, Barock und Zopf gehören, trotz der Mannichfaltig-
keit der nationalen Stile, allen Culturvölkern an; aus der Gemeinſam-
keit der Sitten und Trachten, des Verkehres und der Weltverhältniſſe
bildete ſich jedes Jahrhundert beſtimmte Tonempfindungen und Formen-
typen aus, denen ſich keine Nation ganz entziehen konnte. Und dieſer
weltbürgerliche Zug der bildenden Künſte verleugnete ſich auch nicht in
dem neunzehnten Jahrhundert, das unſtät ſuchend, haſtig ſchaffend ſeinen
eigenen Stil niemals recht zu finden vermochte. Der erhabene Idealismus
der einſt unter den deutſchen Malern in Rom zuerſt erwacht war, hatte
auch die franzöſiſche Kunſt nicht unberührt gelaſſen; doch ſchon nach zwei

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[395/0409] Freytag. mitten in ſeiner Entwicklung, ſeine Helden ſpielten noch übermüthig mit dem Leben ohne es handelnd zu beherrſchen; die Zeit ſollte noch kommen, da er der Lieblingsdichter des deutſchen gebildeten Bürgerthums wurde. Auffällig unterſchied ſich Freytag von den anderen Dramatikern auch durch den Adel ſeiner einfachen, reinen, ſeelenvollen Sprache. Wer dieſe Dramen las oder die Gedichte Geibel’s und Dingelſtedt’s, oder die Proſa der Brüder Grimm, Ranke’s, Dahlmann’s, Schelling’s, der mußte freudig erkennen, daß die friſche Lebenskraft der jüngſten und bildſamſten Cultur- ſprache weder unter der Jäteluſt der urteutoniſchen Sprachreiniger, noch unter der fremdbrüderlichen Ziergärtnerei der Jungdeutſchen ernſtlich ge- litten hatte. Alle dieſe Schriftſteller ſchrieben gut deutſch, keiner dem andern gleich, und in der Freiheit des individuellen Stils lag unſere Stärke. Die ſtraffen Saiten der alten herrlichen Goldharfe gaben noch vollen Klang, ſie harrten immer nur des Meiſters, der ſie ſpielen konnte. Mit gerechtem Stolze rief Rückert unſerer Sprache zu: Durch der Eichenwälder Bogen Biſt du brauſend hingezogen Bis der letzte Wipfel barſt. Durch der Fürſtenſchlöſſer Prangen Biſt du klingend hergegangen, Und noch biſt du die du warſt. — Die Poeſie bleibt allezeit die eigentlich nationale Kunſt. Wie ihre Sprache nur von den Volksgenoſſen ganz verſtanden wird, ſo ſchöpft auch der Dichter die Ideale für ſein bewußtes Wirken gradeswegs aus dem Leben ſeines eigenen Volks; alle großen chriſtlichen Nationen, wie Vieles ſie auch dem Gedankenaustauſche mit dem Auslande verdanken mochten, haben ſich ihre claſſiſche Dichtung weſentlich aus eigener Kraft geſchaffen, auf ſehr verſchiedenen Altersſtufen, manche in Zeiten da die anderen Völker ſämmtlich brach lagen, aber alle dann wenn ihnen die eigene Seele frei und reich ward. Das Gemüth iſt national, Ohr und Auge ſind Weltbürger. Die großen Epochen der Muſik und der bildenden Künſte, Gothik, Renaiſſance, Barock und Zopf gehören, trotz der Mannichfaltig- keit der nationalen Stile, allen Culturvölkern an; aus der Gemeinſam- keit der Sitten und Trachten, des Verkehres und der Weltverhältniſſe bildete ſich jedes Jahrhundert beſtimmte Tonempfindungen und Formen- typen aus, denen ſich keine Nation ganz entziehen konnte. Und dieſer weltbürgerliche Zug der bildenden Künſte verleugnete ſich auch nicht in dem neunzehnten Jahrhundert, das unſtät ſuchend, haſtig ſchaffend ſeinen eigenen Stil niemals recht zu finden vermochte. Der erhabene Idealismus der einſt unter den deutſchen Malern in Rom zuerſt erwacht war, hatte auch die franzöſiſche Kunſt nicht unberührt gelaſſen; doch ſchon nach zwei

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/409>, abgerufen am 28.03.2024.