so viel Lust und so viel Leid geschenkt, brach er weinend zusammen -- ein erschütternder Anblick für Jeden, der Menschenschuld und Menschen- ruhm menschlich zu verstehen vermag.
So klirrte und schwirrte es überall von streitbaren politischen Versen. Selbst Adolf Glasbrenner, der Liebling und Erzieher des zungenfertigen demokratischen Berliner Kleinbürgerthums, bestieg jetzt einmal das Flügel- roß. Sein Neuer Reineke Fuchs spiegelte den Jesuitenhaß der nord- deutschen Lichtfreunde in burlesken Bildern und ausgelassenen Späßen wieder; doch über die feine Grenze, welche die Prosa von der Poesie, die grobe direkte Satire vom verklärenden Humor trennt, kam er nur selten hinaus.
Unter den jungen Lyrikern war nur einer, der sich herausnahm, stolz, im Gefühle eines hohen künstlerischen Berufes, dem Radicalismus der Zeitpoeten und der Heinischen Frivolität zugleich entgegenzutreten: der Lübecker Emanuel Geibel. Aufgewachsen in der gesunden Luft eines frommen, hochgebildeten evangelischen Pfarrhauses, unter dem kräftigen Bürgerthum und den großen historischen Erinnerungen seiner alten Hanse- stadt, stand er von frühan fest auf dem Boden des christlichen Glaubens:
Mir quillt der Dichtung heil'ger Bronnen Am Felsen, der die Kirche trägt.
Er hatte Italien durchwandert, mit seinem Freunde, dem Philologen Ernst Curtius auf den Inseln des ägeischen Meeres eine selige Zeit der Dichterwonne durchlebt, und noch lange nachher fiel es ihm schwer, die Flammenstrahlen der südlichen Sonne zu entbehren. Die reine Schön- heit, die er dort geathmet, den Formenadel seines Lieblings Platen wollte er der deutschen Lyrik durch ernste, keusche Dichtungen wieder bringen, im bewußten Gegensatze zu Heine's spielender Formlosigkeit und zu der handgreiflichen Tendenz der politischen Dichter. Die Kritik wußte mit ihm zuerst nichts anzufangen; sie fällte das Urtheil, das er selbst vorhergesagt: "und wer nicht mitschreit heißt ein Knecht." Man nannte ihn den Poeten der Backfische, weil die Liebesgedichte seiner Jugend, ob- wohl allesammt erlebt in tiefem Seelenglück und Seelenleid, von senti- mentaler Weichheit nicht frei waren. Nachher kam doch die Zeit, da auch reife Männer sich an der getragenen Würde seiner gedankenreichen, form- vollendeten Terzinen und Sonette erfreuten. Die fortreißende Macht dramatischer Leidenschaft blieb ihm freilich ebenso versagt wie der Einblick in die tiefsten Abgründe des Seelenlebens. Fast zu gleicher Zeit versuchten sich Geibel und Heine an der Fabel vom Tannhäuser. Geibel's Gedicht ward ein wohlabgerundetes kleines Kunstwerk, vom Anfang bis zum Ende durchklungen von demselben Tone warnender Wehmuth, während Heine nach einem glücklichen Anfang sich den letzten Eindruck durch feuilleto- nistische Witzeleien selbst verdarb. Aber die Schauer der Wollust, die geheimnißvolle Macht der Weiberschönheit, die schon Vater Homer schreck-
V. 5. Realismus in Kunſt und Wiſſenſchaft.
ſo viel Luſt und ſo viel Leid geſchenkt, brach er weinend zuſammen — ein erſchütternder Anblick für Jeden, der Menſchenſchuld und Menſchen- ruhm menſchlich zu verſtehen vermag.
So klirrte und ſchwirrte es überall von ſtreitbaren politiſchen Verſen. Selbſt Adolf Glasbrenner, der Liebling und Erzieher des zungenfertigen demokratiſchen Berliner Kleinbürgerthums, beſtieg jetzt einmal das Flügel- roß. Sein Neuer Reineke Fuchs ſpiegelte den Jeſuitenhaß der nord- deutſchen Lichtfreunde in burlesken Bildern und ausgelaſſenen Späßen wieder; doch über die feine Grenze, welche die Proſa von der Poeſie, die grobe direkte Satire vom verklärenden Humor trennt, kam er nur ſelten hinaus.
Unter den jungen Lyrikern war nur einer, der ſich herausnahm, ſtolz, im Gefühle eines hohen künſtleriſchen Berufes, dem Radicalismus der Zeitpoeten und der Heiniſchen Frivolität zugleich entgegenzutreten: der Lübecker Emanuel Geibel. Aufgewachſen in der geſunden Luft eines frommen, hochgebildeten evangeliſchen Pfarrhauſes, unter dem kräftigen Bürgerthum und den großen hiſtoriſchen Erinnerungen ſeiner alten Hanſe- ſtadt, ſtand er von frühan feſt auf dem Boden des chriſtlichen Glaubens:
Mir quillt der Dichtung heil’ger Bronnen Am Felſen, der die Kirche trägt.
Er hatte Italien durchwandert, mit ſeinem Freunde, dem Philologen Ernſt Curtius auf den Inſeln des ägeiſchen Meeres eine ſelige Zeit der Dichterwonne durchlebt, und noch lange nachher fiel es ihm ſchwer, die Flammenſtrahlen der ſüdlichen Sonne zu entbehren. Die reine Schön- heit, die er dort geathmet, den Formenadel ſeines Lieblings Platen wollte er der deutſchen Lyrik durch ernſte, keuſche Dichtungen wieder bringen, im bewußten Gegenſatze zu Heine’s ſpielender Formloſigkeit und zu der handgreiflichen Tendenz der politiſchen Dichter. Die Kritik wußte mit ihm zuerſt nichts anzufangen; ſie fällte das Urtheil, das er ſelbſt vorhergeſagt: „und wer nicht mitſchreit heißt ein Knecht.“ Man nannte ihn den Poeten der Backfiſche, weil die Liebesgedichte ſeiner Jugend, ob- wohl alleſammt erlebt in tiefem Seelenglück und Seelenleid, von ſenti- mentaler Weichheit nicht frei waren. Nachher kam doch die Zeit, da auch reife Männer ſich an der getragenen Würde ſeiner gedankenreichen, form- vollendeten Terzinen und Sonette erfreuten. Die fortreißende Macht dramatiſcher Leidenſchaft blieb ihm freilich ebenſo verſagt wie der Einblick in die tiefſten Abgründe des Seelenlebens. Faſt zu gleicher Zeit verſuchten ſich Geibel und Heine an der Fabel vom Tannhäuſer. Geibel’s Gedicht ward ein wohlabgerundetes kleines Kunſtwerk, vom Anfang bis zum Ende durchklungen von demſelben Tone warnender Wehmuth, während Heine nach einem glücklichen Anfang ſich den letzten Eindruck durch feuilleto- niſtiſche Witzeleien ſelbſt verdarb. Aber die Schauer der Wolluſt, die geheimnißvolle Macht der Weiberſchönheit, die ſchon Vater Homer ſchreck-
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ſo viel Luſt und ſo viel Leid geſchenkt, brach er weinend zuſammen —
ein erſchütternder Anblick für Jeden, der Menſchenſchuld und Menſchen-
ruhm menſchlich zu verſtehen vermag.
So klirrte und ſchwirrte es überall von ſtreitbaren politiſchen Verſen.
Selbſt Adolf Glasbrenner, der Liebling und Erzieher des zungenfertigen
demokratiſchen Berliner Kleinbürgerthums, beſtieg jetzt einmal das Flügel-
roß. Sein Neuer Reineke Fuchs ſpiegelte den Jeſuitenhaß der nord-
deutſchen Lichtfreunde in burlesken Bildern und ausgelaſſenen Späßen
wieder; doch über die feine Grenze, welche die Proſa von der Poeſie, die
grobe direkte Satire vom verklärenden Humor trennt, kam er nur ſelten
hinaus.
Unter den jungen Lyrikern war nur einer, der ſich herausnahm,
ſtolz, im Gefühle eines hohen künſtleriſchen Berufes, dem Radicalismus
der Zeitpoeten und der Heiniſchen Frivolität zugleich entgegenzutreten:
der Lübecker Emanuel Geibel. Aufgewachſen in der geſunden Luft eines
frommen, hochgebildeten evangeliſchen Pfarrhauſes, unter dem kräftigen
Bürgerthum und den großen hiſtoriſchen Erinnerungen ſeiner alten Hanſe-
ſtadt, ſtand er von frühan feſt auf dem Boden des chriſtlichen Glaubens:
Mir quillt der Dichtung heil’ger Bronnen
Am Felſen, der die Kirche trägt.
Er hatte Italien durchwandert, mit ſeinem Freunde, dem Philologen
Ernſt Curtius auf den Inſeln des ägeiſchen Meeres eine ſelige Zeit der
Dichterwonne durchlebt, und noch lange nachher fiel es ihm ſchwer, die
Flammenſtrahlen der ſüdlichen Sonne zu entbehren. Die reine Schön-
heit, die er dort geathmet, den Formenadel ſeines Lieblings Platen
wollte er der deutſchen Lyrik durch ernſte, keuſche Dichtungen wieder
bringen, im bewußten Gegenſatze zu Heine’s ſpielender Formloſigkeit und
zu der handgreiflichen Tendenz der politiſchen Dichter. Die Kritik wußte
mit ihm zuerſt nichts anzufangen; ſie fällte das Urtheil, das er ſelbſt
vorhergeſagt: „und wer nicht mitſchreit heißt ein Knecht.“ Man nannte
ihn den Poeten der Backfiſche, weil die Liebesgedichte ſeiner Jugend, ob-
wohl alleſammt erlebt in tiefem Seelenglück und Seelenleid, von ſenti-
mentaler Weichheit nicht frei waren. Nachher kam doch die Zeit, da auch
reife Männer ſich an der getragenen Würde ſeiner gedankenreichen, form-
vollendeten Terzinen und Sonette erfreuten. Die fortreißende Macht
dramatiſcher Leidenſchaft blieb ihm freilich ebenſo verſagt wie der Einblick
in die tiefſten Abgründe des Seelenlebens. Faſt zu gleicher Zeit verſuchten
ſich Geibel und Heine an der Fabel vom Tannhäuſer. Geibel’s Gedicht
ward ein wohlabgerundetes kleines Kunſtwerk, vom Anfang bis zum Ende
durchklungen von demſelben Tone warnender Wehmuth, während Heine
nach einem glücklichen Anfang ſich den letzten Eindruck durch feuilleto-
niſtiſche Witzeleien ſelbſt verdarb. Aber die Schauer der Wolluſt, die
geheimnißvolle Macht der Weiberſchönheit, die ſchon Vater Homer ſchreck-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/396>, abgerufen am 22.11.2024.
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