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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Politische Lyrik. Herwegh.
verfielen darum, wie die Worte des Staatsmannes und des Publicisten,
dem Loose der Vergänglichkeit. Sobald die Politik in neue Bahnen ein-
lenkte erschienen sie überwunden und abgethan, während das reine Kunst-
werk, eine Welt für sich selber, der Zeit zu trotzen vermag; und schon
heute verstehen die Rückschauenden schwer, daß in der flüchtigen, doch nicht
hohlen Erscheinung dieser Zeitgedichte die nationale Sehnsucht eines lang-
sam zum politischen Wollen erstarkenden Geschlechtes ihren natürlichen
Ausdruck fand.

Im Grunde war keiner der jungen Zeitpoeten an eigenen Gedanken
und ursprünglicher Empfindung so arm wie der berühmteste von Allen,
Georg Herwegh. Man nannte ihn die Lerche des deutschen Völkerfrühlings,
weil die Gedichte eines Lebendigen, zum ersten male nach Anastasius Grün's
Wiener Spaziergängen, die politische Begeisterung vom Auslande hinweg
wieder zu den vaterländischen Kämpfen zurücklenkten. Schmetternd, sinn-
verwirrend erklangen diese ungestümen Weckrufe; prahlerische, unmögliche
Hyperbeln, die in den wohlgeglätteten Versen nur um so drastischer wirkten,
verstärkten noch den Eindruck, als wollte ein rasender Titane ein ver-
sinkendes Volk zum letzten Verzweiflungskampfe aufbieten:

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeih'n!

Doch der tiefe, ernste Inhalt fehlte. Fast überall nur eine fieberische Un-
geduld, die aus der Langeweile der Gegenwart hinausdrängte und zornig
drohend irgend eine unbestimmte Herrlichkeit, bald den Aufruhr schlechthin,
bald den Krieg mit Russen und Franzosen, bald auch die Verbrüderung
aller freien Völker forderte. Am glücklichsten zeigte sich die lyrische Be-
gabung des Poeten in den eingestreuten unpolitischen Gedichten: wenn er
die Todesahnung der in's Morgengrauen hinaussprengenden Reiter aus-
sprach oder in einem sentimentalen aber stimmungsvollen Klageliede sich
wünschte, hinzugehen wie das Abendroth und wie der Tag in seinen
letzten Gluthen. Seine politischen Ideen hatte er fast durchweg aus Börne's
Schriften geschöpft, und unter den Kämpfern der deutschen Vorzeit stand
ihm keiner höher als "unser Heiland" Ulrich von Hutten. Das trotzige
"Ich hab's gewagt" des fahrenden Ritters hallte in unzähligen Gedichten
und Zeitungsaufsätzen nach, der feurige, unklare politische Idealismus
des sechzehnten Jahrhunderts sagte dieser unkirchlichen Zeit zu während
Luther's religiöse Gewissenskämpfe ihr fremd blieben. Mit dem gedanken-
reichen Tiefsinn der Schwaben hatte Herwegh's oberflächliche, schnell-
fertige Keckheit nichts gemein; darum galt er auch in seiner Heimath
weniger als im Norden, und der erste Kunstkenner Schwabens, Friedrich
Vischer urtheilte, selbst ein Radicaler, in seinen geistvollen "Kritischen
Gängen" sehr hart über die dürftige Gestaltungskraft dieses Dichters der
hohen Worte. Herwegh gab sich früh aus; er zählte zu den Blendern,

Politiſche Lyrik. Herwegh.
verfielen darum, wie die Worte des Staatsmannes und des Publiciſten,
dem Looſe der Vergänglichkeit. Sobald die Politik in neue Bahnen ein-
lenkte erſchienen ſie überwunden und abgethan, während das reine Kunſt-
werk, eine Welt für ſich ſelber, der Zeit zu trotzen vermag; und ſchon
heute verſtehen die Rückſchauenden ſchwer, daß in der flüchtigen, doch nicht
hohlen Erſcheinung dieſer Zeitgedichte die nationale Sehnſucht eines lang-
ſam zum politiſchen Wollen erſtarkenden Geſchlechtes ihren natürlichen
Ausdruck fand.

Im Grunde war keiner der jungen Zeitpoeten an eigenen Gedanken
und urſprünglicher Empfindung ſo arm wie der berühmteſte von Allen,
Georg Herwegh. Man nannte ihn die Lerche des deutſchen Völkerfrühlings,
weil die Gedichte eines Lebendigen, zum erſten male nach Anaſtaſius Grün’s
Wiener Spaziergängen, die politiſche Begeiſterung vom Auslande hinweg
wieder zu den vaterländiſchen Kämpfen zurücklenkten. Schmetternd, ſinn-
verwirrend erklangen dieſe ungeſtümen Weckrufe; prahleriſche, unmögliche
Hyperbeln, die in den wohlgeglätteten Verſen nur um ſo draſtiſcher wirkten,
verſtärkten noch den Eindruck, als wollte ein raſender Titane ein ver-
ſinkendes Volk zum letzten Verzweiflungskampfe aufbieten:

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle ſollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird’s verzeih’n!

Doch der tiefe, ernſte Inhalt fehlte. Faſt überall nur eine fieberiſche Un-
geduld, die aus der Langeweile der Gegenwart hinausdrängte und zornig
drohend irgend eine unbeſtimmte Herrlichkeit, bald den Aufruhr ſchlechthin,
bald den Krieg mit Ruſſen und Franzoſen, bald auch die Verbrüderung
aller freien Völker forderte. Am glücklichſten zeigte ſich die lyriſche Be-
gabung des Poeten in den eingeſtreuten unpolitiſchen Gedichten: wenn er
die Todesahnung der in’s Morgengrauen hinausſprengenden Reiter aus-
ſprach oder in einem ſentimentalen aber ſtimmungsvollen Klageliede ſich
wünſchte, hinzugehen wie das Abendroth und wie der Tag in ſeinen
letzten Gluthen. Seine politiſchen Ideen hatte er faſt durchweg aus Börne’s
Schriften geſchöpft, und unter den Kämpfern der deutſchen Vorzeit ſtand
ihm keiner höher als „unſer Heiland“ Ulrich von Hutten. Das trotzige
„Ich hab’s gewagt“ des fahrenden Ritters hallte in unzähligen Gedichten
und Zeitungsaufſätzen nach, der feurige, unklare politiſche Idealismus
des ſechzehnten Jahrhunderts ſagte dieſer unkirchlichen Zeit zu während
Luther’s religiöſe Gewiſſenskämpfe ihr fremd blieben. Mit dem gedanken-
reichen Tiefſinn der Schwaben hatte Herwegh’s oberflächliche, ſchnell-
fertige Keckheit nichts gemein; darum galt er auch in ſeiner Heimath
weniger als im Norden, und der erſte Kunſtkenner Schwabens, Friedrich
Viſcher urtheilte, ſelbſt ein Radicaler, in ſeinen geiſtvollen „Kritiſchen
Gängen“ ſehr hart über die dürftige Geſtaltungskraft dieſes Dichters der
hohen Worte. Herwegh gab ſich früh aus; er zählte zu den Blendern,

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[373/0387] Politiſche Lyrik. Herwegh. verfielen darum, wie die Worte des Staatsmannes und des Publiciſten, dem Looſe der Vergänglichkeit. Sobald die Politik in neue Bahnen ein- lenkte erſchienen ſie überwunden und abgethan, während das reine Kunſt- werk, eine Welt für ſich ſelber, der Zeit zu trotzen vermag; und ſchon heute verſtehen die Rückſchauenden ſchwer, daß in der flüchtigen, doch nicht hohlen Erſcheinung dieſer Zeitgedichte die nationale Sehnſucht eines lang- ſam zum politiſchen Wollen erſtarkenden Geſchlechtes ihren natürlichen Ausdruck fand. Im Grunde war keiner der jungen Zeitpoeten an eigenen Gedanken und urſprünglicher Empfindung ſo arm wie der berühmteſte von Allen, Georg Herwegh. Man nannte ihn die Lerche des deutſchen Völkerfrühlings, weil die Gedichte eines Lebendigen, zum erſten male nach Anaſtaſius Grün’s Wiener Spaziergängen, die politiſche Begeiſterung vom Auslande hinweg wieder zu den vaterländiſchen Kämpfen zurücklenkten. Schmetternd, ſinn- verwirrend erklangen dieſe ungeſtümen Weckrufe; prahleriſche, unmögliche Hyperbeln, die in den wohlgeglätteten Verſen nur um ſo draſtiſcher wirkten, verſtärkten noch den Eindruck, als wollte ein raſender Titane ein ver- ſinkendes Volk zum letzten Verzweiflungskampfe aufbieten: Reißt die Kreuze aus der Erden! Alle ſollen Schwerter werden, Gott im Himmel wird’s verzeih’n! Doch der tiefe, ernſte Inhalt fehlte. Faſt überall nur eine fieberiſche Un- geduld, die aus der Langeweile der Gegenwart hinausdrängte und zornig drohend irgend eine unbeſtimmte Herrlichkeit, bald den Aufruhr ſchlechthin, bald den Krieg mit Ruſſen und Franzoſen, bald auch die Verbrüderung aller freien Völker forderte. Am glücklichſten zeigte ſich die lyriſche Be- gabung des Poeten in den eingeſtreuten unpolitiſchen Gedichten: wenn er die Todesahnung der in’s Morgengrauen hinausſprengenden Reiter aus- ſprach oder in einem ſentimentalen aber ſtimmungsvollen Klageliede ſich wünſchte, hinzugehen wie das Abendroth und wie der Tag in ſeinen letzten Gluthen. Seine politiſchen Ideen hatte er faſt durchweg aus Börne’s Schriften geſchöpft, und unter den Kämpfern der deutſchen Vorzeit ſtand ihm keiner höher als „unſer Heiland“ Ulrich von Hutten. Das trotzige „Ich hab’s gewagt“ des fahrenden Ritters hallte in unzähligen Gedichten und Zeitungsaufſätzen nach, der feurige, unklare politiſche Idealismus des ſechzehnten Jahrhunderts ſagte dieſer unkirchlichen Zeit zu während Luther’s religiöſe Gewiſſenskämpfe ihr fremd blieben. Mit dem gedanken- reichen Tiefſinn der Schwaben hatte Herwegh’s oberflächliche, ſchnell- fertige Keckheit nichts gemein; darum galt er auch in ſeiner Heimath weniger als im Norden, und der erſte Kunſtkenner Schwabens, Friedrich Viſcher urtheilte, ſelbſt ein Radicaler, in ſeinen geiſtvollen „Kritiſchen Gängen“ ſehr hart über die dürftige Geſtaltungskraft dieſes Dichters der hohen Worte. Herwegh gab ſich früh aus; er zählte zu den Blendern,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/387>, abgerufen am 22.11.2024.