Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
schaft Jesu eine hohe Stellung einnahm: diese durch die Schwäche der Be-
hörden verwöhnte "sogenannte Hauptstadt der Intelligenz" sei neben Königs-
berg der Hauptsitz des deutschen Demagogenthums; den Tumult hätten die
Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; "hier ist
Alles zur Revolution reif, versöhnt wird hier Niemand." Seine Schilde-
rung war so grell, daß selbst das preußische Ministerium meinte, der
Oesterreicher scheine doch nicht unbefangen.*)

Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten sich die königlichen Be-
hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erschien in den Straßen.
Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten,
versahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienst.
Nachmittags drängten sich Schaaren von Bürgern und Studenten in das
Schützenhaus, Alles verwünschte den Prinzen, dem man eine berechnete
Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergossene Blut. Da trat
plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Versammlung. Er
war am Tage zuvor verreist gewesen -- was ihm jetzt sehr zum Vor-
theil gereichte -- und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen-
blicklich übersah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt-
thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede
sprach er den Versammelten aus, eine Sühne müsse der Stadt werden,
aber nur auf gesetzlichem Wege. Dann führte er diese erbitterten Tau-
sende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, so rühmte
Blum, "die wahrhafte Majestät dieser Volksversammlung". Nach kurzer
Frist verkündete er vom Altane des Rathhauses herab, daß der Stadt-
rath sich den Beschlüssen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garnison
und strenge Untersuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch
beherrschte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden schienen ver-
schwunden. Beim Begräbniß der Erschossenen erklangen wieder stürmische
Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungestört; die Communalgarde
hielt strenge Wacht, nach den Weisungen des Demagogen.

Am Dresdener Hofe wußte man sich anfangs nicht zu helfen. Die
Minister schöpften erst wieder Muth, als durch Blum's Entschlossenheit die
nächste Gefahr beseitigt war, und nun endlich griffen sie sehr scharf ein.
In stiller Nacht wurden Truppen mit Geschützen nach Leipzig gesendet, und
gedeckt durch diese bewaffnete Macht erschien am 17. als königlicher Commissär
der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Jurist, der sich in allen politischen
Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiisch verfuhr er
auch hier. Er kündigte, wie billig, eine strenge Untersuchung gegen die
Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines-
wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,

*) Hübner's Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des
Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
ſchaft Jeſu eine hohe Stellung einnahm: dieſe durch die Schwäche der Be-
hörden verwöhnte „ſogenannte Hauptſtadt der Intelligenz“ ſei neben Königs-
berg der Hauptſitz des deutſchen Demagogenthums; den Tumult hätten die
Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; „hier iſt
Alles zur Revolution reif, verſöhnt wird hier Niemand.“ Seine Schilde-
rung war ſo grell, daß ſelbſt das preußiſche Miniſterium meinte, der
Oeſterreicher ſcheine doch nicht unbefangen.*)

Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten ſich die königlichen Be-
hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erſchien in den Straßen.
Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten,
verſahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienſt.
Nachmittags drängten ſich Schaaren von Bürgern und Studenten in das
Schützenhaus, Alles verwünſchte den Prinzen, dem man eine berechnete
Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergoſſene Blut. Da trat
plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Verſammlung. Er
war am Tage zuvor verreiſt geweſen — was ihm jetzt ſehr zum Vor-
theil gereichte — und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen-
blicklich überſah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt-
thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede
ſprach er den Verſammelten aus, eine Sühne müſſe der Stadt werden,
aber nur auf geſetzlichem Wege. Dann führte er dieſe erbitterten Tau-
ſende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, ſo rühmte
Blum, „die wahrhafte Majeſtät dieſer Volksverſammlung“. Nach kurzer
Friſt verkündete er vom Altane des Rathhauſes herab, daß der Stadt-
rath ſich den Beſchlüſſen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garniſon
und ſtrenge Unterſuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch
beherrſchte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden ſchienen ver-
ſchwunden. Beim Begräbniß der Erſchoſſenen erklangen wieder ſtürmiſche
Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungeſtört; die Communalgarde
hielt ſtrenge Wacht, nach den Weiſungen des Demagogen.

Am Dresdener Hofe wußte man ſich anfangs nicht zu helfen. Die
Miniſter ſchöpften erſt wieder Muth, als durch Blum’s Entſchloſſenheit die
nächſte Gefahr beſeitigt war, und nun endlich griffen ſie ſehr ſcharf ein.
In ſtiller Nacht wurden Truppen mit Geſchützen nach Leipzig geſendet, und
gedeckt durch dieſe bewaffnete Macht erſchien am 17. als königlicher Commiſſär
der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Juriſt, der ſich in allen politiſchen
Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiiſch verfuhr er
auch hier. Er kündigte, wie billig, eine ſtrenge Unterſuchung gegen die
Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines-
wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,

*) Hübner’s Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des
Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="346"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 4. Die Parteiung in der Kirche.</fw><lb/>
&#x017F;chaft Je&#x017F;u eine hohe Stellung einnahm: die&#x017F;e durch die Schwäche der Be-<lb/>
hörden verwöhnte &#x201E;&#x017F;ogenannte Haupt&#x017F;tadt der Intelligenz&#x201C; &#x017F;ei neben Königs-<lb/>
berg der Haupt&#x017F;itz des deut&#x017F;chen Demagogenthums; den Tumult hätten die<lb/>
Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; &#x201E;hier i&#x017F;t<lb/>
Alles zur Revolution reif, ver&#x017F;öhnt wird hier Niemand.&#x201C; Seine Schilde-<lb/>
rung war &#x017F;o grell, daß &#x017F;elb&#x017F;t das preußi&#x017F;che Mini&#x017F;terium meinte, der<lb/>
Oe&#x017F;terreicher &#x017F;cheine doch nicht unbefangen.<note place="foot" n="*)">Hübner&#x2019;s Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des<lb/>
Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.</note></p><lb/>
          <p>Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten &#x017F;ich die königlichen Be-<lb/>
hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat er&#x017F;chien in den Straßen.<lb/>
Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten,<lb/>
ver&#x017F;ahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdien&#x017F;t.<lb/>
Nachmittags drängten &#x017F;ich Schaaren von Bürgern und Studenten in das<lb/>
Schützenhaus, Alles verwün&#x017F;chte den Prinzen, dem man eine berechnete<lb/>
Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergo&#x017F;&#x017F;ene Blut. Da trat<lb/>
plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Ver&#x017F;ammlung. Er<lb/>
war am Tage zuvor verrei&#x017F;t gewe&#x017F;en &#x2014; was ihm jetzt &#x017F;ehr zum Vor-<lb/>
theil gereichte &#x2014; und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen-<lb/>
blicklich über&#x017F;ah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt-<lb/>
thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede<lb/>
&#x017F;prach er den Ver&#x017F;ammelten aus, eine Sühne mü&#x017F;&#x017F;e der Stadt werden,<lb/>
aber nur auf ge&#x017F;etzlichem Wege. Dann führte er die&#x017F;e erbitterten Tau-<lb/>
&#x017F;ende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, &#x017F;o rühmte<lb/>
Blum, &#x201E;die wahrhafte Maje&#x017F;tät die&#x017F;er Volksver&#x017F;ammlung&#x201C;. Nach kurzer<lb/>
Fri&#x017F;t verkündete er vom Altane des Rathhau&#x017F;es herab, daß der Stadt-<lb/>
rath &#x017F;ich den Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en des Volks unterworfen habe, Abzug der Garni&#x017F;on<lb/>
und &#x017F;trenge Unter&#x017F;uchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch<lb/>
beherr&#x017F;chte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden &#x017F;chienen ver-<lb/>
&#x017F;chwunden. Beim Begräbniß der Er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen erklangen wieder &#x017F;türmi&#x017F;che<lb/>
Reden, doch die Ordnung blieb völlig unge&#x017F;tört; die Communalgarde<lb/>
hielt &#x017F;trenge Wacht, nach den Wei&#x017F;ungen des Demagogen.</p><lb/>
          <p>Am Dresdener Hofe wußte man &#x017F;ich anfangs nicht zu helfen. Die<lb/>
Mini&#x017F;ter &#x017F;chöpften er&#x017F;t wieder Muth, als durch Blum&#x2019;s Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit die<lb/>
näch&#x017F;te Gefahr be&#x017F;eitigt war, und nun endlich griffen &#x017F;ie &#x017F;ehr &#x017F;charf ein.<lb/>
In &#x017F;tiller Nacht wurden Truppen mit Ge&#x017F;chützen nach Leipzig ge&#x017F;endet, und<lb/>
gedeckt durch die&#x017F;e bewaffnete Macht er&#x017F;chien am 17. als königlicher Commi&#x017F;&#x017F;är<lb/>
der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Juri&#x017F;t, der &#x017F;ich in allen politi&#x017F;chen<lb/>
Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteii&#x017F;ch verfuhr er<lb/>
auch hier. Er kündigte, wie billig, eine &#x017F;trenge Unter&#x017F;uchung gegen die<lb/>
Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines-<lb/>
wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0360] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. ſchaft Jeſu eine hohe Stellung einnahm: dieſe durch die Schwäche der Be- hörden verwöhnte „ſogenannte Hauptſtadt der Intelligenz“ ſei neben Königs- berg der Hauptſitz des deutſchen Demagogenthums; den Tumult hätten die Literaten veranlaßt und die Studenten als Werkzeuge gebraucht; „hier iſt Alles zur Revolution reif, verſöhnt wird hier Niemand.“ Seine Schilde- rung war ſo grell, daß ſelbſt das preußiſche Miniſterium meinte, der Oeſterreicher ſcheine doch nicht unbefangen. *) Am Morgen nach dem Blutvergießen zeigten ſich die königlichen Be- hörden ganz gelähmt vom Schrecken, kein Soldat erſchien in den Straßen. Die Studenten, die noch in der Nacht den Fechtboden erbrochen hatten, verſahen im Verein mit der Communalgarde allein den Sicherheitsdienſt. Nachmittags drängten ſich Schaaren von Bürgern und Studenten in das Schützenhaus, Alles verwünſchte den Prinzen, dem man eine berechnete Unthat andichtete, und forderte Rache für das vergoſſene Blut. Da trat plötzlich Robert Blum in die furchtbar aufgeregte Verſammlung. Er war am Tage zuvor verreiſt geweſen — was ihm jetzt ſehr zum Vor- theil gereichte — und gradeswegs vom Bahnhofe herbeigeeilt. Augen- blicklich überſah er die Lage und begriff, daß die Zeit für neue Gewalt- thätigkeiten noch nicht gekommen war; in mächtiger, tief ergreifender Rede ſprach er den Verſammelten aus, eine Sühne müſſe der Stadt werden, aber nur auf geſetzlichem Wege. Dann führte er dieſe erbitterten Tau- ſende in ruhiger Ordnung nach dem Markte; kein Unfug befleckte, ſo rühmte Blum, „die wahrhafte Majeſtät dieſer Volksverſammlung“. Nach kurzer Friſt verkündete er vom Altane des Rathhauſes herab, daß der Stadt- rath ſich den Beſchlüſſen des Volks unterworfen habe, Abzug der Garniſon und ſtrenge Unterſuchung vom Könige verlangen wolle. Vier Tage hindurch beherrſchte er die Stadt wie ein Dictator, die Behörden ſchienen ver- ſchwunden. Beim Begräbniß der Erſchoſſenen erklangen wieder ſtürmiſche Reden, doch die Ordnung blieb völlig ungeſtört; die Communalgarde hielt ſtrenge Wacht, nach den Weiſungen des Demagogen. Am Dresdener Hofe wußte man ſich anfangs nicht zu helfen. Die Miniſter ſchöpften erſt wieder Muth, als durch Blum’s Entſchloſſenheit die nächſte Gefahr beſeitigt war, und nun endlich griffen ſie ſehr ſcharf ein. In ſtiller Nacht wurden Truppen mit Geſchützen nach Leipzig geſendet, und gedeckt durch dieſe bewaffnete Macht erſchien am 17. als königlicher Commiſſär der Geh. Rath v. Langenn, ein gelehrter Juriſt, der ſich in allen politiſchen Kämpfen als hochreaktionärer Parteimann benahm. Parteiiſch verfuhr er auch hier. Er kündigte, wie billig, eine ſtrenge Unterſuchung gegen die Aufrührer an, erklärte aber zugleich, daß die Regierung die doch keines- wegs tadelfreien Maßregeln ihrer Organe vertreten würde. Die Stadt, *) Hübner’s Bericht an Metternich, 27. Aug. Schreiben des preuß. Min. des Innern an Canitz, 11. Oct. 1845.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/360
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/360>, abgerufen am 24.04.2024.