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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Straßenkampf in Leipzig.
die behagliche Bürgerwehr. Um seine Furchtlosigkeit zu beweisen kam
der Prinz selbst einen Augenblick heraus und verlangte daß man für die
Räumung des Platzes sorgte, dann kehrte er zu seinen Gästen in den Garten-
saal zurück ohne zu ahnen was sich nun begeben sollte.*) Unterdessen
hatten die Schützen ohne Gewaltthätigkeit den Haufen von dem Platze
größtentheils hinweggedrängt. Jetzt staute sich die Menge in den Baum-
gängen der Promenaden, die den Roßplatz umsäumten. Abermals Stein-
würfe, abermals Geschrei und Toben; wiederholte Aufforderungen zum
Auseinandergehen verhallen ungehört oder unbeachtet; da feuern zwei Pelo-
tons der Schützen in die dichtgedrängte Masse hinein, sieben aus der Menge
werden getödet, mehrere verwundet. Es war eine unglückselige Uebereilung,
ganz gewiß nicht planvoll vorbereitet, aber auch nicht entschuldigt durch drän-
gende Noth; allem Anschein nach hatten zwei Offiziere inmitten der wüsten
Verwirrung, im abendlichen Dunkel den Ueberblick verloren und die augen-
blickliche Gefahr zu hoch angeschlagen. Als die Communalgarde endlich
durch Generalmarsch aufgeboten wurde, da verliefen sich die Massen, aber
ein tiefer Groll blieb in den Herzen der Bürgerschaft zurück. Der durch
den blutigen Vorfall schmerzlich überraschte Prinz Johann sollte wieder
an Allem die Schuld tragen, und als er am Frühmorgen abreiste, wurde
sein Wagen mit Flüchen und Steinwürfen verfolgt.

Alle Parteien überschätzten das traurige Ereigniß, denn das Vor-
gefühl einer großen Entscheidung zitterte durch die Welt. Freiligrath sang
die volltönende Ode auf Leipzigs Todte:

Ich bin die Nacht, die Bartholomäusnacht,
Mein Fuß ist blutig und mein Haupt verschleiert.
Es hat in Deutschland eine Fürstenmacht
Zwölf Tage heuer mich zu früh gefeiert --

prächtige Verse, die sich neben der nüchternen Wirklichkeit doch fast lächer-
lich ausnahmen. Ebenso aufgeregt betrachtete man in Wien diese Pöbel-
unruhen, denen die wackere Bürgerschaft der Meßstadt ganz fern ge-
blieben war. Metternich sah die seit einem Menschenalter befürchtete
Revolution jetzt mit Riesenschritten herannahen und hatte schon im April
seinen Diplomaten geschrieben: "Tritt das Uebel einmal deutlich aus dem
Verstecke, in dem es sich hält, hervor, dann werden die Regierungen sich
zu erheben bemüßigt sein aber Freischaaren gegenüberstehen, denen die
geregelte Macht in die Länge nur schwer zu widerstehen vermag."**)
Ganz im Sinne des Meisters berichtete nunmehr der k. k. Generalconsul
Hübner in Leipzig, ein kluger, ehrgeiziger Reactionär, der in der Gesell-

*) So berichtet der Prinz selbst (Falkenstein, König Johann von Sachsen S. 160).
Seine Erzählung ist, wie sich von selbst versteht, in allem Wesentlichen zuverlässig; doch
stammt sie unverkennbar erst aus späterer Zeit und enthält daher einige leicht erklärliche
kleine Ungenauigkeiten.
**) Metternich's Denkschrift, 30. April 1845.

Straßenkampf in Leipzig.
die behagliche Bürgerwehr. Um ſeine Furchtloſigkeit zu beweiſen kam
der Prinz ſelbſt einen Augenblick heraus und verlangte daß man für die
Räumung des Platzes ſorgte, dann kehrte er zu ſeinen Gäſten in den Garten-
ſaal zurück ohne zu ahnen was ſich nun begeben ſollte.*) Unterdeſſen
hatten die Schützen ohne Gewaltthätigkeit den Haufen von dem Platze
größtentheils hinweggedrängt. Jetzt ſtaute ſich die Menge in den Baum-
gängen der Promenaden, die den Roßplatz umſäumten. Abermals Stein-
würfe, abermals Geſchrei und Toben; wiederholte Aufforderungen zum
Auseinandergehen verhallen ungehört oder unbeachtet; da feuern zwei Pelo-
tons der Schützen in die dichtgedrängte Maſſe hinein, ſieben aus der Menge
werden getödet, mehrere verwundet. Es war eine unglückſelige Uebereilung,
ganz gewiß nicht planvoll vorbereitet, aber auch nicht entſchuldigt durch drän-
gende Noth; allem Anſchein nach hatten zwei Offiziere inmitten der wüſten
Verwirrung, im abendlichen Dunkel den Ueberblick verloren und die augen-
blickliche Gefahr zu hoch angeſchlagen. Als die Communalgarde endlich
durch Generalmarſch aufgeboten wurde, da verliefen ſich die Maſſen, aber
ein tiefer Groll blieb in den Herzen der Bürgerſchaft zurück. Der durch
den blutigen Vorfall ſchmerzlich überraſchte Prinz Johann ſollte wieder
an Allem die Schuld tragen, und als er am Frühmorgen abreiſte, wurde
ſein Wagen mit Flüchen und Steinwürfen verfolgt.

Alle Parteien überſchätzten das traurige Ereigniß, denn das Vor-
gefühl einer großen Entſcheidung zitterte durch die Welt. Freiligrath ſang
die volltönende Ode auf Leipzigs Todte:

Ich bin die Nacht, die Bartholomäusnacht,
Mein Fuß iſt blutig und mein Haupt verſchleiert.
Es hat in Deutſchland eine Fürſtenmacht
Zwölf Tage heuer mich zu früh gefeiert —

prächtige Verſe, die ſich neben der nüchternen Wirklichkeit doch faſt lächer-
lich ausnahmen. Ebenſo aufgeregt betrachtete man in Wien dieſe Pöbel-
unruhen, denen die wackere Bürgerſchaft der Meßſtadt ganz fern ge-
blieben war. Metternich ſah die ſeit einem Menſchenalter befürchtete
Revolution jetzt mit Rieſenſchritten herannahen und hatte ſchon im April
ſeinen Diplomaten geſchrieben: „Tritt das Uebel einmal deutlich aus dem
Verſtecke, in dem es ſich hält, hervor, dann werden die Regierungen ſich
zu erheben bemüßigt ſein aber Freiſchaaren gegenüberſtehen, denen die
geregelte Macht in die Länge nur ſchwer zu widerſtehen vermag.“**)
Ganz im Sinne des Meiſters berichtete nunmehr der k. k. Generalconſul
Hübner in Leipzig, ein kluger, ehrgeiziger Reactionär, der in der Geſell-

*) So berichtet der Prinz ſelbſt (Falkenſtein, König Johann von Sachſen S. 160).
Seine Erzählung iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht, in allem Weſentlichen zuverläſſig; doch
ſtammt ſie unverkennbar erſt aus ſpäterer Zeit und enthält daher einige leicht erklärliche
kleine Ungenauigkeiten.
**) Metternich’s Denkſchrift, 30. April 1845.
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[345/0359] Straßenkampf in Leipzig. die behagliche Bürgerwehr. Um ſeine Furchtloſigkeit zu beweiſen kam der Prinz ſelbſt einen Augenblick heraus und verlangte daß man für die Räumung des Platzes ſorgte, dann kehrte er zu ſeinen Gäſten in den Garten- ſaal zurück ohne zu ahnen was ſich nun begeben ſollte. *) Unterdeſſen hatten die Schützen ohne Gewaltthätigkeit den Haufen von dem Platze größtentheils hinweggedrängt. Jetzt ſtaute ſich die Menge in den Baum- gängen der Promenaden, die den Roßplatz umſäumten. Abermals Stein- würfe, abermals Geſchrei und Toben; wiederholte Aufforderungen zum Auseinandergehen verhallen ungehört oder unbeachtet; da feuern zwei Pelo- tons der Schützen in die dichtgedrängte Maſſe hinein, ſieben aus der Menge werden getödet, mehrere verwundet. Es war eine unglückſelige Uebereilung, ganz gewiß nicht planvoll vorbereitet, aber auch nicht entſchuldigt durch drän- gende Noth; allem Anſchein nach hatten zwei Offiziere inmitten der wüſten Verwirrung, im abendlichen Dunkel den Ueberblick verloren und die augen- blickliche Gefahr zu hoch angeſchlagen. Als die Communalgarde endlich durch Generalmarſch aufgeboten wurde, da verliefen ſich die Maſſen, aber ein tiefer Groll blieb in den Herzen der Bürgerſchaft zurück. Der durch den blutigen Vorfall ſchmerzlich überraſchte Prinz Johann ſollte wieder an Allem die Schuld tragen, und als er am Frühmorgen abreiſte, wurde ſein Wagen mit Flüchen und Steinwürfen verfolgt. Alle Parteien überſchätzten das traurige Ereigniß, denn das Vor- gefühl einer großen Entſcheidung zitterte durch die Welt. Freiligrath ſang die volltönende Ode auf Leipzigs Todte: Ich bin die Nacht, die Bartholomäusnacht, Mein Fuß iſt blutig und mein Haupt verſchleiert. Es hat in Deutſchland eine Fürſtenmacht Zwölf Tage heuer mich zu früh gefeiert — prächtige Verſe, die ſich neben der nüchternen Wirklichkeit doch faſt lächer- lich ausnahmen. Ebenſo aufgeregt betrachtete man in Wien dieſe Pöbel- unruhen, denen die wackere Bürgerſchaft der Meßſtadt ganz fern ge- blieben war. Metternich ſah die ſeit einem Menſchenalter befürchtete Revolution jetzt mit Rieſenſchritten herannahen und hatte ſchon im April ſeinen Diplomaten geſchrieben: „Tritt das Uebel einmal deutlich aus dem Verſtecke, in dem es ſich hält, hervor, dann werden die Regierungen ſich zu erheben bemüßigt ſein aber Freiſchaaren gegenüberſtehen, denen die geregelte Macht in die Länge nur ſchwer zu widerſtehen vermag.“ **) Ganz im Sinne des Meiſters berichtete nunmehr der k. k. Generalconſul Hübner in Leipzig, ein kluger, ehrgeiziger Reactionär, der in der Geſell- *) So berichtet der Prinz ſelbſt (Falkenſtein, König Johann von Sachſen S. 160). Seine Erzählung iſt, wie ſich von ſelbſt verſteht, in allem Weſentlichen zuverläſſig; doch ſtammt ſie unverkennbar erſt aus ſpäterer Zeit und enthält daher einige leicht erklärliche kleine Ungenauigkeiten. **) Metternich’s Denkſchrift, 30. April 1845.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/359>, abgerufen am 28.03.2024.