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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Sachsen. Lindenau's Rücktritt.
hielt und mithin für eine ernsthafte katholische Reformbewegung den denkbar
ungünstigsten Boden bildete. Die glücklichen ersten Jahre des sächsischen
Verfassungslebens gingen zu Ende. Minister Lindenau, der Schöpfer des
Grundgesetzes fühlte sich nicht mehr sicher. In Wien war er sehr schlecht
angeschrieben; denn er verhehlte nicht, daß er die Beschlüsse der Minister-
conferenzen von 1834 für bedenklich hielt; er wurde in den deutschen,
den französischen, den englischen Zeitungen beständig als Gegner Metter-
nich's gefeiert und hatte einmal eine sehr peinliche diplomatische Aus-
einandersetzung mit den beiden deutschen Großmächten wegen ultraliberaler
Aeußerungen, die ihm die Presse andichtete.*) Am Hofe verzieh man ihm
nie, daß er dem Könige gerathen hatte, die Einkünfte des Kammergutes
gegen eine Civilliste hinzugeben, was nach der strengen Haller'schen Doctrin
für eine Entwürdigung des Königthums galt.**) Die erste Kammer zeigte
sich dem Minister feindlich; der Grundadel wollte weder in die Aufhebung
der Patrimonialgerichte willigen, noch in ein billiges Wildschadengesetz, dessen
die kunstvolle Landwirthschaft des dichtbevölkerten Landes doch gar nicht
entrathen konnte. Auf der anderen Seite begann der Radicalismus, der
hier seit Jahren unter dem Boden arbeitete,***) sichtlich zu erstarken, zu-
erst im Vogtlande. Neue Abgeordnete zogen in die Kammer ein, zunächst
die Vogtländer Todt, Dieskau, Watzdorf, wohlmeinende Liberale, die sich
doch gedankenlos von der Strömung des Tages forttreiben ließen und
bald zu der Forderung des Einkammersystems gelangten. Zwischen diesen
feindlichen Mächten wußte Lindenau's zarte Gelehrtennatur sich nicht zu
behaupten; zum Bedauern aller Einsichtigen im Lande nahm er 1843
seinen Abschied.

An die Spitze des Ministeriums trat nunmehr der Justizminister
v. Könneritz, ein tüchtiger Jurist von hartconservativer Gesinnung. Die
neue Regierung war nicht geradezu reactionär, aber dem Liberalismus
feindlich, da jetzt ein anderer Wind von Berlin her wehte; und man
merkte ihr rasch jene Rathlosigkeit an, welche gemeinhin revolutionären
Bewegungen vorangeht. Die Behörden verfuhren bald schwach bald hart.
Schwere Noth brach herein, mehrere Städte wurden von großen Bränden
heimgesucht; die Dürre des Jahres 1842, die Kartoffelkrankheit, die Ge-
schäftsstockung in vielen großen Gewerbsbetrieben des Erzgebirges nährten
die allgemeine schleichende Unzufriedenheit. Auf dem Landtage vertheidigte
Minister Könneritz tapfer und beredt die völlig verlorene Sache des alten
geheimen schriftlichen Strafprocesses; er stand fast allein, die Liberalen
aber veranstalteten eine Sammlung, damit einer ihrer juristischen Führer,
Braun die Länder des öffentlichen Verfahrens bereisen und sich über die

*) Minister v. Minckwitz, Verbalnote für die Gesandten in Berlin und Wien,
9. Dec. 1834.
**) Jordan's Bericht, 25. Aug. 1843.
***) s. o. IV. 153.

Sachſen. Lindenau’s Rücktritt.
hielt und mithin für eine ernſthafte katholiſche Reformbewegung den denkbar
ungünſtigſten Boden bildete. Die glücklichen erſten Jahre des ſächſiſchen
Verfaſſungslebens gingen zu Ende. Miniſter Lindenau, der Schöpfer des
Grundgeſetzes fühlte ſich nicht mehr ſicher. In Wien war er ſehr ſchlecht
angeſchrieben; denn er verhehlte nicht, daß er die Beſchlüſſe der Miniſter-
conferenzen von 1834 für bedenklich hielt; er wurde in den deutſchen,
den franzöſiſchen, den engliſchen Zeitungen beſtändig als Gegner Metter-
nich’s gefeiert und hatte einmal eine ſehr peinliche diplomatiſche Aus-
einanderſetzung mit den beiden deutſchen Großmächten wegen ultraliberaler
Aeußerungen, die ihm die Preſſe andichtete.*) Am Hofe verzieh man ihm
nie, daß er dem Könige gerathen hatte, die Einkünfte des Kammergutes
gegen eine Civilliſte hinzugeben, was nach der ſtrengen Haller’ſchen Doctrin
für eine Entwürdigung des Königthums galt.**) Die erſte Kammer zeigte
ſich dem Miniſter feindlich; der Grundadel wollte weder in die Aufhebung
der Patrimonialgerichte willigen, noch in ein billiges Wildſchadengeſetz, deſſen
die kunſtvolle Landwirthſchaft des dichtbevölkerten Landes doch gar nicht
entrathen konnte. Auf der anderen Seite begann der Radicalismus, der
hier ſeit Jahren unter dem Boden arbeitete,***) ſichtlich zu erſtarken, zu-
erſt im Vogtlande. Neue Abgeordnete zogen in die Kammer ein, zunächſt
die Vogtländer Todt, Dieskau, Watzdorf, wohlmeinende Liberale, die ſich
doch gedankenlos von der Strömung des Tages forttreiben ließen und
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feindlichen Mächten wußte Lindenau’s zarte Gelehrtennatur ſich nicht zu
behaupten; zum Bedauern aller Einſichtigen im Lande nahm er 1843
ſeinen Abſchied.

An die Spitze des Miniſteriums trat nunmehr der Juſtizminiſter
v. Könneritz, ein tüchtiger Juriſt von hartconſervativer Geſinnung. Die
neue Regierung war nicht geradezu reactionär, aber dem Liberalismus
feindlich, da jetzt ein anderer Wind von Berlin her wehte; und man
merkte ihr raſch jene Rathloſigkeit an, welche gemeinhin revolutionären
Bewegungen vorangeht. Die Behörden verfuhren bald ſchwach bald hart.
Schwere Noth brach herein, mehrere Städte wurden von großen Bränden
heimgeſucht; die Dürre des Jahres 1842, die Kartoffelkrankheit, die Ge-
ſchäftsſtockung in vielen großen Gewerbsbetrieben des Erzgebirges nährten
die allgemeine ſchleichende Unzufriedenheit. Auf dem Landtage vertheidigte
Miniſter Könneritz tapfer und beredt die völlig verlorene Sache des alten
geheimen ſchriftlichen Strafproceſſes; er ſtand faſt allein, die Liberalen
aber veranſtalteten eine Sammlung, damit einer ihrer juriſtiſchen Führer,
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*) Miniſter v. Minckwitz, Verbalnote für die Geſandten in Berlin und Wien,
9. Dec. 1834.
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[341/0355] Sachſen. Lindenau’s Rücktritt. hielt und mithin für eine ernſthafte katholiſche Reformbewegung den denkbar ungünſtigſten Boden bildete. Die glücklichen erſten Jahre des ſächſiſchen Verfaſſungslebens gingen zu Ende. Miniſter Lindenau, der Schöpfer des Grundgeſetzes fühlte ſich nicht mehr ſicher. In Wien war er ſehr ſchlecht angeſchrieben; denn er verhehlte nicht, daß er die Beſchlüſſe der Miniſter- conferenzen von 1834 für bedenklich hielt; er wurde in den deutſchen, den franzöſiſchen, den engliſchen Zeitungen beſtändig als Gegner Metter- nich’s gefeiert und hatte einmal eine ſehr peinliche diplomatiſche Aus- einanderſetzung mit den beiden deutſchen Großmächten wegen ultraliberaler Aeußerungen, die ihm die Preſſe andichtete. *) Am Hofe verzieh man ihm nie, daß er dem Könige gerathen hatte, die Einkünfte des Kammergutes gegen eine Civilliſte hinzugeben, was nach der ſtrengen Haller’ſchen Doctrin für eine Entwürdigung des Königthums galt. **) Die erſte Kammer zeigte ſich dem Miniſter feindlich; der Grundadel wollte weder in die Aufhebung der Patrimonialgerichte willigen, noch in ein billiges Wildſchadengeſetz, deſſen die kunſtvolle Landwirthſchaft des dichtbevölkerten Landes doch gar nicht entrathen konnte. Auf der anderen Seite begann der Radicalismus, der hier ſeit Jahren unter dem Boden arbeitete, ***) ſichtlich zu erſtarken, zu- erſt im Vogtlande. Neue Abgeordnete zogen in die Kammer ein, zunächſt die Vogtländer Todt, Dieskau, Watzdorf, wohlmeinende Liberale, die ſich doch gedankenlos von der Strömung des Tages forttreiben ließen und bald zu der Forderung des Einkammerſyſtems gelangten. Zwiſchen dieſen feindlichen Mächten wußte Lindenau’s zarte Gelehrtennatur ſich nicht zu behaupten; zum Bedauern aller Einſichtigen im Lande nahm er 1843 ſeinen Abſchied. An die Spitze des Miniſteriums trat nunmehr der Juſtizminiſter v. Könneritz, ein tüchtiger Juriſt von hartconſervativer Geſinnung. Die neue Regierung war nicht geradezu reactionär, aber dem Liberalismus feindlich, da jetzt ein anderer Wind von Berlin her wehte; und man merkte ihr raſch jene Rathloſigkeit an, welche gemeinhin revolutionären Bewegungen vorangeht. Die Behörden verfuhren bald ſchwach bald hart. Schwere Noth brach herein, mehrere Städte wurden von großen Bränden heimgeſucht; die Dürre des Jahres 1842, die Kartoffelkrankheit, die Ge- ſchäftsſtockung in vielen großen Gewerbsbetrieben des Erzgebirges nährten die allgemeine ſchleichende Unzufriedenheit. Auf dem Landtage vertheidigte Miniſter Könneritz tapfer und beredt die völlig verlorene Sache des alten geheimen ſchriftlichen Strafproceſſes; er ſtand faſt allein, die Liberalen aber veranſtalteten eine Sammlung, damit einer ihrer juriſtiſchen Führer, Braun die Länder des öffentlichen Verfahrens bereiſen und ſich über die *) Miniſter v. Minckwitz, Verbalnote für die Geſandten in Berlin und Wien, 9. Dec. 1834. **) Jordan’s Bericht, 25. Aug. 1843. ***) ſ. o. IV. 153.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/355>, abgerufen am 19.04.2024.