worden ist. So war auch damals weit verbreitet eine ganz unhistorische Anschauung vom dreißigjährigen Kriege, die in den Geschichtswerken von Gfrörer und Barthold ihren wissenschaftlichen Ausdruck fand; man über- trug den Gegensatz der Welfen und der Ghibellinen in das Zeitalter der Religionskriege und verurtheilte die Vertheidiger des evangelischen Glaubens kurzweg als Rebellen gegen Kaiser und Reich. Begreiflich genug, daß diese pseudo-ghibellinische Geschichtsansicht dem glühenden Verehrer des Kurfürsten Max wohl gefiel. König Ludwig betrachtete die Gustav-Adolf- Stiftung schon um ihres Namens willen als offenbaren Landesverrath, die Ultramontanen nannten sie "die wahre Spottgeburt der Aufklärung und der deutschen Mißeinheit". Der Verein wurde in Baiern streng verboten, die evangelischen Gemeinden durften nicht einmal Unterstützungen von ihm annehmen, derweil den römischen Proselytenwerbern Thür und Thor offen blieben.
Nur so grobe und hartnäckige Ungerechtigkeit konnte bewirken, daß die alten Parteien sich zersetzten und die an conservativen Kräften so reichen fränkischen Protestanten allesammt in das Lager der ergrimmten Opposition hinüberzogen. In Erlangen war der alte Rationalismus zuerst durch die erweckenden Kanzelreden und die praktische Frömmigkeit des Predigers Krafft bekämpft, nachher durch Lehmus, Harleß, Höfling, Tho- masius und andere neuberufene Theologen völlig überwunden worden. Jetzt herrschte in der theologischen Facultät eine strenge confessionell-luthe- rische Gesinnung; die Erlanger stritten wider die evangelische Union so beharrlich, daß der Vorwurf preußischer Gesinnung, den der Minister gegen die Protestanten zu schleudern liebte, grade hier am wenigsten zutraf. Dabei zeigten sie ernsten wissenschaftlichen Sinn und hielten sich ganz frei von pietistischer Kopfhängerei; das frische, anspruchslos fröhliche Burschen- leben, das diese kleine Hochschule jederzeit ausgezeichnet hatte, blieb ihr noch immer erhalten. Den leidsamen Lutheranern lag die Ehrfurcht vor der Obrigkeit tief im Blute; erst durch Abel's offenbare Verfassungs- verletzungen geriethen sie in Harnisch, und fortan fühlten sie sich in statu confessionis. Wie einst in den Tagen des Augsburger Interims die hartgläubigen Jenenser mehr Widerstandskraft gezeigt hatten als die Schüler des milden Melanchthon, so fanden jetzt die bairischen Protestanten ihre beste Stütze an dem einseitigen, charakterfesten Confessionalismus der Er- langer Theologen. An sie schlossen sich die ebenso conservativ gesinnten Edelleute, voran Graf Giech und Freiherr v. Rotenhan, dann die Nürn- berger, die sich der reichsstädtischen Zeiten und der Kämpfe gegen die katholischen bairischen Nachbarn wieder zu erinnern begannen, endlich das gesammte protestantische Frankenland.
Seit Stahl's Abgange vertrat Harleß die Erlanger Universität im Landtage, der Herausgeber der streng lutherischen Zeitschrift für Prote- stantismus und Kirche, ein tapferer und weltkluger Gelehrter, sehr wirksam
Die fränkiſchen Proteſtanten.
worden iſt. So war auch damals weit verbreitet eine ganz unhiſtoriſche Anſchauung vom dreißigjährigen Kriege, die in den Geſchichtswerken von Gfrörer und Barthold ihren wiſſenſchaftlichen Ausdruck fand; man über- trug den Gegenſatz der Welfen und der Ghibellinen in das Zeitalter der Religionskriege und verurtheilte die Vertheidiger des evangeliſchen Glaubens kurzweg als Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Begreiflich genug, daß dieſe pſeudo-ghibelliniſche Geſchichtsanſicht dem glühenden Verehrer des Kurfürſten Max wohl gefiel. König Ludwig betrachtete die Guſtav-Adolf- Stiftung ſchon um ihres Namens willen als offenbaren Landesverrath, die Ultramontanen nannten ſie „die wahre Spottgeburt der Aufklärung und der deutſchen Mißeinheit“. Der Verein wurde in Baiern ſtreng verboten, die evangeliſchen Gemeinden durften nicht einmal Unterſtützungen von ihm annehmen, derweil den römiſchen Proſelytenwerbern Thür und Thor offen blieben.
Nur ſo grobe und hartnäckige Ungerechtigkeit konnte bewirken, daß die alten Parteien ſich zerſetzten und die an conſervativen Kräften ſo reichen fränkiſchen Proteſtanten alleſammt in das Lager der ergrimmten Oppoſition hinüberzogen. In Erlangen war der alte Rationalismus zuerſt durch die erweckenden Kanzelreden und die praktiſche Frömmigkeit des Predigers Krafft bekämpft, nachher durch Lehmus, Harleß, Höfling, Tho- maſius und andere neuberufene Theologen völlig überwunden worden. Jetzt herrſchte in der theologiſchen Facultät eine ſtrenge confeſſionell-luthe- riſche Geſinnung; die Erlanger ſtritten wider die evangeliſche Union ſo beharrlich, daß der Vorwurf preußiſcher Geſinnung, den der Miniſter gegen die Proteſtanten zu ſchleudern liebte, grade hier am wenigſten zutraf. Dabei zeigten ſie ernſten wiſſenſchaftlichen Sinn und hielten ſich ganz frei von pietiſtiſcher Kopfhängerei; das friſche, anſpruchslos fröhliche Burſchen- leben, das dieſe kleine Hochſchule jederzeit ausgezeichnet hatte, blieb ihr noch immer erhalten. Den leidſamen Lutheranern lag die Ehrfurcht vor der Obrigkeit tief im Blute; erſt durch Abel’s offenbare Verfaſſungs- verletzungen geriethen ſie in Harniſch, und fortan fühlten ſie ſich in statu confessionis. Wie einſt in den Tagen des Augsburger Interims die hartgläubigen Jenenſer mehr Widerſtandskraft gezeigt hatten als die Schüler des milden Melanchthon, ſo fanden jetzt die bairiſchen Proteſtanten ihre beſte Stütze an dem einſeitigen, charakterfeſten Confeſſionalismus der Er- langer Theologen. An ſie ſchloſſen ſich die ebenſo conſervativ geſinnten Edelleute, voran Graf Giech und Freiherr v. Rotenhan, dann die Nürn- berger, die ſich der reichsſtädtiſchen Zeiten und der Kämpfe gegen die katholiſchen bairiſchen Nachbarn wieder zu erinnern begannen, endlich das geſammte proteſtantiſche Frankenland.
Seit Stahl’s Abgange vertrat Harleß die Erlanger Univerſität im Landtage, der Herausgeber der ſtreng lutheriſchen Zeitſchrift für Prote- ſtantismus und Kirche, ein tapferer und weltkluger Gelehrter, ſehr wirkſam
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Die fränkiſchen Proteſtanten.
worden iſt. So war auch damals weit verbreitet eine ganz unhiſtoriſche
Anſchauung vom dreißigjährigen Kriege, die in den Geſchichtswerken von
Gfrörer und Barthold ihren wiſſenſchaftlichen Ausdruck fand; man über-
trug den Gegenſatz der Welfen und der Ghibellinen in das Zeitalter der
Religionskriege und verurtheilte die Vertheidiger des evangeliſchen Glaubens
kurzweg als Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Begreiflich genug, daß
dieſe pſeudo-ghibelliniſche Geſchichtsanſicht dem glühenden Verehrer des
Kurfürſten Max wohl gefiel. König Ludwig betrachtete die Guſtav-Adolf-
Stiftung ſchon um ihres Namens willen als offenbaren Landesverrath,
die Ultramontanen nannten ſie „die wahre Spottgeburt der Aufklärung
und der deutſchen Mißeinheit“. Der Verein wurde in Baiern ſtreng
verboten, die evangeliſchen Gemeinden durften nicht einmal Unterſtützungen
von ihm annehmen, derweil den römiſchen Proſelytenwerbern Thür und
Thor offen blieben.
Nur ſo grobe und hartnäckige Ungerechtigkeit konnte bewirken, daß
die alten Parteien ſich zerſetzten und die an conſervativen Kräften ſo
reichen fränkiſchen Proteſtanten alleſammt in das Lager der ergrimmten
Oppoſition hinüberzogen. In Erlangen war der alte Rationalismus zuerſt
durch die erweckenden Kanzelreden und die praktiſche Frömmigkeit des
Predigers Krafft bekämpft, nachher durch Lehmus, Harleß, Höfling, Tho-
maſius und andere neuberufene Theologen völlig überwunden worden.
Jetzt herrſchte in der theologiſchen Facultät eine ſtrenge confeſſionell-luthe-
riſche Geſinnung; die Erlanger ſtritten wider die evangeliſche Union ſo
beharrlich, daß der Vorwurf preußiſcher Geſinnung, den der Miniſter
gegen die Proteſtanten zu ſchleudern liebte, grade hier am wenigſten zutraf.
Dabei zeigten ſie ernſten wiſſenſchaftlichen Sinn und hielten ſich ganz frei
von pietiſtiſcher Kopfhängerei; das friſche, anſpruchslos fröhliche Burſchen-
leben, das dieſe kleine Hochſchule jederzeit ausgezeichnet hatte, blieb ihr
noch immer erhalten. Den leidſamen Lutheranern lag die Ehrfurcht vor
der Obrigkeit tief im Blute; erſt durch Abel’s offenbare Verfaſſungs-
verletzungen geriethen ſie in Harniſch, und fortan fühlten ſie ſich in statu
confessionis. Wie einſt in den Tagen des Augsburger Interims die
hartgläubigen Jenenſer mehr Widerſtandskraft gezeigt hatten als die Schüler
des milden Melanchthon, ſo fanden jetzt die bairiſchen Proteſtanten ihre
beſte Stütze an dem einſeitigen, charakterfeſten Confeſſionalismus der Er-
langer Theologen. An ſie ſchloſſen ſich die ebenſo conſervativ geſinnten
Edelleute, voran Graf Giech und Freiherr v. Rotenhan, dann die Nürn-
berger, die ſich der reichsſtädtiſchen Zeiten und der Kämpfe gegen die
katholiſchen bairiſchen Nachbarn wieder zu erinnern begannen, endlich das
geſammte proteſtantiſche Frankenland.
Seit Stahl’s Abgange vertrat Harleß die Erlanger Univerſität im
Landtage, der Herausgeber der ſtreng lutheriſchen Zeitſchrift für Prote-
ſtantismus und Kirche, ein tapferer und weltkluger Gelehrter, ſehr wirkſam
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/333>, abgerufen am 25.11.2024.
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